Das wollten wir immer schon wissen! Wie geht's eigentlich ihm dabei? Christian Seidel tut in seinem Buch das, was Männer sonst gerne vermeiden: offen und ehrlich über Sex reden. Da wollten wir natürlich mehr erfahren und fühlten ihm auf den äh ... Zahn.
"Näherte sich meine Erregung dem Höhepunkt, hatte ich ein Gefühl im Hals, als würde ein verschlucktes Knödelstück langsam die Speiseröhre runterrutschen. Gleichzeitig schienen sich meine Eier aufzublähen, und im Becken ging ein Brennen los, ich wuchs praktisch von innen zu einer Kugel heran. Unausweichlich ergriffen die Kräfte von mir Besitz, bis ich ihnen vollkommen ausgeliefert war."
Was du hier liest? Die Beschreibung eines Orgasmus männlicher Natur. Sie stammt aus Christian Seidels neuestem Buch "Ich komme" (Heyne, € 13,40), das ganz und gar seinen Sexgefühlen gewidmet ist. "Eine Enthüllung. Noch nie hat ein Mann so frei von seiner Sexualität erzählt", schwärmt der Verlag in der Buchbeschreibung.
Dem Autor geht hingegen schon die berühmte "Muffn": "Ganz ehrlich", gesteht er, "mir ist schon ein wenig klamm, ob ich wegen meiner Offenheit nicht in der Luft zerrissen werde. Aber durch so eine Angst muss man eben durch bei diesem Thema." Christian Seidel zählt jedenfalls zu den bekanntesten Autoren für Genderthemen und Selbsterfahrungsprojekte. Über seinen Selbstversuch, in die Rolle einer Frau zu schlüpfen ("Die Frau in mir"), berichteten wir bereits. In der aktuelle Lektüre schildert er, was im Mann beim Sex vorgeht. Von ersten sexuellen Regungen als Bursche bis zu den erotischen Erlebnissen als Erwachsener. Du willst wissen, ob dein Liebster ähnlich empfindet? Frag ihn doch einfach.
WOMAN: Wow! Sie nehmen sich ja wirklich kein Blatt vor den Mund. Was faszinierte Sie an der Idee zu diesem Buch?
SEIDEL: Mir ist aufgefallen, dass nie über die männliche Sexualität gesprochen wird. Der Sex der Männer ist ein kommunikativer Blind Spot. Über den richtigen Wein oder die Flüchtlingskrise unterhalten sie sich virtuos, über ihre Sexgefühle null. Da heißt es: Passt schon. Dabei passt gar nichts. Trotz unserer super Aufklärung sprechen wir bis heute auch in Beziehungen kaum darüber, was wir beim Sex fühlen.
WOMAN: Sie haben viel erlebt und ausprobiert. Denken Sie, dass Ihre Erfahrungen stellvertretend für viele Männer stehen?
SEIDEL: Die Grundbotschaften meines Buches sind die Sehnsucht nach Verschmelzung, nach der Öffnung der Gefühle und die Warnung vor der Funktionalisierung unserer Sexualität, besonders durch die Porno-Hydra. Dieses Anliegen kann ich bestimmt auf viele Männer übertragen. Manche, das weiß ich, haben fast gar keine sexuellen Erfahrungen, weil sie nie aufgeklärt wurden, weil sie sich nicht trauen, weil sie nie gelernt haben, ihre Gefühle zu öffnen. Sie stecken daher, wenn's hoch kommt, im stereotypen Rammeln oder in einer Onaniersucht fest.
WOMAN: Das Pornowichsen, wie Sie es nennen, ist laut Therapeuten zum echten Problem geworden. Vor allem bei Jungen.
SEIDEL: Genau. Es dreht sich dabei um Sucht, um Kontrolle und um Gewohnheit. Den gewichsten Orgasmus kann Mann so kontrolliert herbeiführen, wie Mann will. Dabei kann er sich jede Fantasie vorstellen oder als Porno anschauen. Das Pornowichsen entspricht der männlichen Geschlechterrolle: Machtausübung über Frauen, indem man ihnen die sinnliche Empathie verweigert. Viele Jungen lernen Sex durch Porno kennen, nicht durch eine liebevolle Erklärung. Ihre ersten Orgasmen sind daher pornogewichste - und zwar sehr viele. Dabei gewöhnt sich das Gefühl im Schwanz an den festen Griff durch die Hand. In Folge wird die sanfte Reibung in der Muschi als zu gering empfunden, und man kann nicht so leicht kommen. Die Lust auf Sex mit einer Frau kann einem bei solch einem Stellvertretersex sogar ganz vergehen.
WOMAN: Was wäre eine Lösung?
SEIDEL: Ich bin für eine Reglementierung oder eventuell sogar für ein Verbot der Pornografie. In eine sinnliche Parallelwelt eintauchen, emotionale Probleme verdrängen und sich selbst dafür mit einem Orgasmus belohnen - das birgt eine enorme Suchtgefahr.
WOMAN: Sie selbst haben, wie Sie schreiben, Onanie als Untreue erlebt.
SEIDEL: Ja, hab ich. Weil ich ab einer bestimmten Häufigkeit der Masturbation meine sexuelle Lust meiner Partnerin entziehe. Ich betrüge sie praktisch mit mir selbst. Das Resultat ist, dass ich dann weniger Lust auf sie habe.
WOMAN: Und was entgeht da nicht ihr, sondern Ihnen selbst, provokant gefragt?
SEIDEL: Fast alles. Mein Körper besteht aus viel mehr als aus dem Bereich zwischen meinen Beinen. Meinen Kopf auf dem Körper einer nackten Frau ausruhen zu können, gestreichelt zu werden, ist nicht nur wunderbar. Es kann auch eine Öffnung sein. Weil dadurch viel mehr Sinne frei werden.
WOMAN: Ein Mann, der Gefühle zeigt. Das hört Frau gerne. Man kennt ja auch die andere Sorte, die nur ganz zielgerichtet auf den eigenen Orgasmus hinsteuert.
SEIDEL: Weiblicher Sex fängt lange vor dem Orgasmus an. Männer dagegen steuern auf ihn zu. Das wird auch in allen Pornos so dargestellt. Aber auch der dürre Wortschatz zum Thema signalisiert das. Man spricht von "kommen", man fragt sich danach "bist du gekommen" oder "war ich gut?" So, als wäre es die Aufgabe gewesen, eine bestimmte Leistung zu erbringen, die dann bewertet werden kann. Aber als Mann habe ich auch die Schönheit kennengelernt, nicht zu kommen und die Wellen des Erregtseins weitergleiten zu lassen.
WOMAN: Sie haben viel Erfahrung. Was ist denn für Sie wirklich gute Sexualität?
SEIDEL: Wenn es mir gelingt, mich in Anwesenheit meiner Partnerin so zu öffnen, dass ich mich mit ihr wie ein einziger sinnlicher, brodelnder Körper fühle. Sex hat aber kein Rezept und ist nichts Abgegrenztes, das beim Vorspiel anfängt und beim Orgasmus aufhört. Sex ist grenzenlos und immer da. Auch im Büro, bei jeder Begegnung.
WOMAN: Aber am Anfang des Buches schreiben Sie, das "Zentralorgan" des Mannes mache oft genug einfach, was es will...
SEIDEL: Ja, der Sextrieb des Mannes entsteht immer wieder auch ganz von alleine, das kann fast täglich sein. Unabhängig von Liebesgefühlen. Ein Mann kann Sex als völlig isolierte Sache machen, losgelöst von Liebe.
WOMAN: Also doch schwanzgesteuert, oder?
SEIDEL: Wenn ich das als Mann leugnen würde, würde ich lügen. Und andere Männer auch.
WOMAN: Was ist beim Sex, bei dem das Herz dabei ist, dann anders?
SEIDEL: Die Gefühle. Eine Frau lässt einen Mann in sich hinein. Das erfordert die volle Beteiligung eines Menschen, das ist ein Aufnehmen, ein Zulassen. Bei einem Mann ist es das vom Körperlichen her nicht. Er kann Sex daher mechanischer haben. Aber emotional könnte ein Mann auch so empfinden wie die Frau, wenn die Liebe hinzukommt oder das Öffnen der Gefühle, für das ich so plädiere. Und keine Sorge: Fühlen ist auch erlaubt, ohne gleich ein Paar werden zu müssen. Und auch ein fühlender Mann ist ein echter Mann.
WOMAN: Vollste Zustimmung natürlich. Sie sagen ja auch explizit, was Mann beim Anfassen mit Hand oder Mund an- und abtörnen kann. Was denn?
SEIDEL: Zum Beispiel: Den Schwanz nicht unbedingt immer sofort anfassen. Einen Weg zu ihm auch über den anderen Körper finden. Ein Mann besteht schließlich nicht nur aus dem Teil dort unten. Den Mann sinnlich etwas hochkochen, ein wenig wehrlos werden lassen. Wenn man das beste Stück dann anfasst, ihn richtig in die Hand nehmen. Ähnlich wie ein lascher Händedruck ist auch ein lauer Schwanzgriff entsetzlich ernüchternd. Unterschiedliche Berührungsweisen ausprobieren, den Partner auch mal fragen. Ich etwa mag das Wichsen mit der ganzen Hand lieber als mit zwei Fingern. Und beim Blasen sollte nicht der Eindruck entstehen: Jetzt eben kurz mal, weil es sich gehört. Das soll kein Programmpunkt sein, so wie in Pornos. Furchtbar. Wunderschön ist es dagegen, dabei auch die Erregung der Frau zu spüren, wenn ihre Hände gleichzeitig über den Körper des Mannes streichen.
WOMAN: Und wie empfinden Sie es, wenn Sie eine Frau oral befriedigen?
SEIDEL: Interessant ist, dass Frauen unterschiedlich schmecken, auch je nachdem, wie sie drauf sind. Das geht von süßlich-lieblich bis alkalisch-bitter. Ich mag letzteres Aroma sehr. Die Muschis glücklicher Frauen schmecken beim Küssen eindeutig besser. Auch deswegen halte ich es für so bedeutend, sich mehr zu öffnen. Jeder und jede soll offen sagen, wie er oder sie tickt. Ich finde die Sprache beim Sex ganz wichtig.