
Während die EU zunehmend auf Nachhaltigkeit setzt, schwindet in den USA das Interesse an grünen Investments. Was es mit dem Vertrauensverlust auf sich hat und ob sich der Trend umkehren lässt, erklären zwei Expertinnen.
Die Debatte um ESG-Kriterien hat in den vergangenen Jahren weltweit an Bedeutung gewonnen. Die EU setzt nun mit einem Legal Framework Nachhaltigkeitsstandards, die darauf abzielen, Umwelt und soziale Aspekte sowie eine verantwortungsvolle Unternehmensführung in den Mittelpunkt von Investitionsentscheidungen zu stellen. In den USA hingegen scheint die Euphorie jüngst deutlich nachgelassen zu haben. Noch 2020 sprach Larry Fink, CEO von BlackRock, dem weltweit größten Vermögensverwalter, von "fundamentalen Umwälzungen der Finanzen". In einem offenen Brief kündigte er an, dass BlackRock den Fokus seines Investmentansatzes künftig auf Nachhaltigkeit legen werde. Bereits 2022 aber ruderte Fink wieder zurück und verlautbarte, Abstand von ESG nehmen zu wollen.
Die Entscheidung spiegelt einen breiteren Trend wider, wie Catharina Ahmadi, Mitbegründerin des Beratungsunternehmens environomics, erklärt: "Im Jahr 2023 wurden mehr ESG-Fonds geschlossen als eröffnet, insbesondere in den USA, wo das Vertrauen in nachhaltige Investments nachgelassen hat." Ein Grund für den Rückgang "ist der mäßige Erfolg vieler ESG-Fonds an den Märkten", so Ahmadi weiter. Viele Anleger:innen haben erkannt, dass ein ESG-Fokus nicht zwangsläufig zu höheren Renditen führt, verstärkt werde das durch die wachsenden politischen Spannungen. Generell sei die Auseinandersetzung mit ESG in den USA laut Ahmadi vielschichtig, es gebe sowohl Befürworter:innen als auch Gegner:innen. "Konservative Politiker:innen argumentieren, dass ESG eine ideologische Agenda vorantreibt, die in wirtschaftlichen Entscheidungen keinen Platz haben sollte. BlackRock beispielsweise sieht sich infolgedessen sowohl von der politischen Linken als auch der Rechten kritischen Stimmungen ausgesetzt", erklärt die ESG-Beraterin.
Eine ganz klare Mehrheit der Amerikaner:innen ist für das Abtreibungsrecht oder verstärkte Maßnahmen gegen den Klimawandel. Diese Themen werden von den Republikaner:innen aber zum Kulturkampf gemacht, um sie zu politisieren.
Stimmungsmache
Der Kulturkampf zwischen Konservativen und Progressiven hat damit in den USA auch die Finanzbranche erreicht. Teresa Eder, die das Außen-und Sicherheitsprogramm der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, D.C., leitet, ordnet diese Entwicklung wie folgt ein: "Eine ganz klare Mehrheit der Amerikaner:innen ist für das Abtreibungsrecht oder verstärkte Maßnahmen gegen den Klimawandel. Diese Themen werden von den Republikaner:innen aber zum Kulturkampf gemacht, um sie zu politisieren." Dass Privatwirtschaft und Wall Street in puncto Nachhaltigkeit an Bord sind, sei wichtig, "aber das Land und die grüne Energiewende voranbringen kann nur die Regierung und der Kongress – und an allererster Stelle der Präsident". Was würde ein potenzieller Wahlsieg Donald Trumps in diesem Zusammenhang bedeuten? "Er wird auf jeden Fall wieder aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen, Subventionen auf Öl und Gas ausweiten und so den dringend notwendigen Umstieg auf erneuerbare Energie wieder erschweren", sagt Eder. Und ergänzt: "Jede Erwähnung des Klimawandels würde aus sämtlichen Regierungsdokumenten gestrichen werden – genau wie das Wort 'Gender'."
ESG ist gekommen, um zu bleiben.
Mögliche Folgen
Wie schätzt Ahmadi die Situation ein? "Ein möglicher Wahlsieg von Trump könnte erhebliche Auswirkungen auf die ESG-Investing-Bewegung in den USA haben. Er hat sich in der Vergangenheit stark gegen diese Kriterien ausgesprochen und könnte versuchen, bestehende Regelungen zu lockern oder rückgängig machen. Diese politischen Unsicherheiten könnten das Vertrauen in nachhaltige Investitionen weiter untergraben und dazu führen, dass Unternehmen sich von ESG-Initiativen abwenden, um sich an die politische Realität anzupassen."
Für die EU könnte der Anti-ESG-Trend in den USA laut Ahmadi sowohl Herausforderungen als auch Anreize schaffen. Einerseits sei es möglich, dass ein Rückgang des Vertrauens in ESG-Kriterien in den USA auch in europäischen Märkten Skepsis schürt, andererseits könnte die EU, "die bereits über strenge regulatorische Rahmenbedingungen für nachhaltige Investitionen verfügt, ihre eigenen Standards weiter stärken und so als globaler Vorreiter agieren, um zu zeigen, dass ESG-Kriterien und Renditen nicht im Widerspruch zueinander stehen müssen". Und die Expertin gibt auch zu bedenken: "Die Entwicklungen in den USA sind nur eine Momentaufnahme. Weltweit gibt es weiterhin ein wachsendes Interesse an ESG-Kriterien, und viele Länder verfolgen eigene Rahmenwerke. Die Spielregeln ändern sich weiter, und die Unternehmen passen sich bereits an diese neuen Gegebenheiten an, ebenso wie der Finanzsektor. Viele Marktteilnehmer sind bereits auf diese Reise aufgebrochen, und ich denke, dass wir aktuell einen Dominoeffekt sehen, der nicht mehr aufzuhalten ist."
Ahmadis Zukunftsbild ist klar: "ESGist gekommen, um zu bleiben. Die Bewertung eines Unternehmens wird zunehmend nicht mehr ausschließlich auf finanziellen Kennzahlen basieren, sondern auch auf nichtfinanziellen KPIs. Die Definition von Performance, wie wir sie bislang am Markt verwendet haben, wird sich verändern. Firmen müssen auch in Zukunft profitabel sein, aber dieses Ziel wird nachhaltig erreicht werden müssen."