
In jeder WOMAN-Ausgabe geben unsere Redakteurinnen Antworten auf drei (un)wichtige Fragen, dieses Mal: Nie mehr leben im Konjunktiv!?
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Hätte ich die Nachricht bloß unterwegs geschrieben, hätte ich die U-Bahn nicht verpasst und wäre nicht so knapp dran. Dann würde ich mir im Yogaraum noch einen feinen Platz aussuchen können – dann wäre ich weniger gestresst und könnte bestimmt besser abschalten. Hui, was für ein wilder Gedankenritt! Wird dir beim Galopp durch die letzten Zeilen auch ein bisschen schwindelig? Oder kennst du derartige innere Monologe selbst nur zu gut? Gerade rund um den Jahreswechsel haben solche Überlegungen bei vielen – in Kombination mit gut gemeinten Vorsätzen – Hochkonjunktur.
Mein Leben findet häufig im Konjunktiv statt. Und ich sag’s, wie’s ist: Ich möchte bitte ausziehen. Denn "hätte, könnte, wäre" sind ziemlich nervige Mitbewohnerinnen. Im Grunde ist ihr einziger Beitrag, von innen mit dem Zeigefinger auf vermeintliche Fehlentscheidungen zu zeigen. Tschüss Leichtigkeit, hallo schlechtes Gewissen!
Was, wenn?
Besonders bitter: Tritt der Konjunktiv auf, bezieht er sich meistens auf Dinge, die man sowieso nicht mehr ändern kann. Oder auf Entscheidungen, die gefühlt in einem anderen Leben getroffen wurden. Sie können derart belanglos sein, dass es mich teilweise fast amüsiert. "Warum hast du in der dritten Klasse Gym nicht Italienisch gewählt?", poppt es in meinem Kopf auf, während ich in Venedig auf dem Weg zur Biennale bin. Ja, okay, dann würde ich jetzt vielleicht noch drei Halbsätze mehr sagen können, wenn ich meinen Cappuccino und ein Cornetto alla Crema bestelle. Würde es etwas an meinem Gefühl, mit dem ich mich durch die wunderschöne Lagunenstadt bewege, verändern? – Ha, schon wieder der Konjunktiv! – Ich bezweifle es.
Denn glücklich macht mich vor allem eines: Einfach mal nicht zu grübeln. Nur: Warum dreht sich das Gedankenkarussell bei manchen überhaupt schneller als bei anderen? Aus wissenschaftlicher Sicht ist das bislang unklar. Eine Theorie besagt, dass es mit den eigenen Erwartungen zusammenhängen könnte: Weicht die Realität von diesen ab, meldet sich die Unzufriedenheit. Wichtig ist jedenfalls, sich in den hypothetischen Gedanken nicht zu verlieren und der inneren Kritikerin nicht alles zu glauben. Denn am Ende sind diese Monologe eben nur eines: Hypothesen. Wäre ich wirklich entspannter gewesen, wäre ich früher im Yogaraum angekommen? Wer weiß das schon.
‚Hätte, könnte, wäre‘ sind lästige Mitbewohnerinnen. Und zeigen mit dem Mittelfinger auf vermeintliche Fehlentscheidungen im Leben.
Kühne Träume
Wer es schafft, öfter im Hier und Jetzt zu leben, kann Hättiwari-Gedanken getrost als kleine Wegweiser verstehen: Sie zeigen uns, was wir loslassen dürfen, um zufriedener zu werden – insofern wir daraus aktive Handlungen ableiten. Zum Beispiel könnte ich mir künftig einfach den Wecker stellen, um pünktlich(er) loszukommen.
Zum Schluss sei noch gesagt: So anstrengend der Konjunktiv manchmal ist, er macht etwas möglich, ohne das ich mir das Leben gar nicht vorstellen möchte: Träume. Der österreichische Schriftsteller Robert Musil verstand ihn deshalb als Möglichkeitssinn, der unser Dasein bereichern kann. "Solche Möglichkeitsmenschen leben, wie man sagt, in einem feineren Gespinst, in einem Gespinst von Dunst, Einbildung, Träumerei und Konjunktiven", schrieb er in seinem Buch "Der Mann ohne Eigenschaften". Was wir schaffen könnten, wenn wir uns aller unserer kühnsten Träume annehmen würden? Darüber die Gedanken kreisen zu lassen, könnte sich ausnahmsweise tatsächlich lohnen.
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