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In jeder WOMAN-Ausgabe geben unsere Redakteurinnen Antworten auf drei (un)wichtige Fragen, dieses Mal: Spürst du dich noch oder trackst du schon?
Mathe habe ich schon immer gehasst, und mit Zahlen konnte ich so gut wie noch nie etwas anfangen. Was mich nicht davon abhielt, trotzdem zwei Semester Psychologie zu studieren und jede Statistikprüfung mit Bravour zu versemmeln. Und trotzdem - oder vor allem deswegen! - bewundere ich Menschen, die mit Zahlen und Statistiken so leichtfüßig durchs Leben tänzeln wie Ryan Gosling in diesem absurd schönen Tanzfilm "La La Land". Oder mein Bekannter M., der mit seinen Tracking-Apps eine fast schon zärtliche Beziehung führt. Seine Smartwatch sagt ihm, wann sein Puls zu hoch ist und wie gut er im Bett war. Also sein Schlaf, Leute, wie gut sein Schlaf war! Immer wieder streichelt er sie, wenn wir uns treffen, manchmal piepst sie, und dann erzählt er mit ausschweifender Begeisterung, wie es um seinen durchgetrackten Body gerade so steht.
Self-Tracking - was kann das eigentlich wirklich? Fühlen wir uns besser, wenn uns unsere Smartwatch zuflüstert, dass wir mit gottgleichen acht Stunden Tiefschlaf so ausgeruht sein sollten wie eine Bärin nach dem Winterschlaf? Was, wenn unser Gefühl ganz und gar nicht mit der Datenlage übereinstimmt? Mein Freund M. - ich nenne ihn oft Stabilo Boss, weil ich niemanden kenne, der so ausgeglichen ist wie er - hat nicht einmal mit Schlaf ein Problem. Pragmatisch-nüchtern veranlagt, wie er ist, sagt er: "Wenn die App meint, dass ich zu wenig Schlaf abbekomme, dann gehe ich einfach früher schlafen." Ha! Ein Genie!
Hallo, Selbstoptimierung
Die Hamburger Trendforscherin Corinna Mühlhausen weiß, dass das Zählen unserer Körperdaten ein Megatrend ist. "Das Tracken der inneren Werte ist hip und sexy geworden", sagt sie. Es soll uns alle zufriedener und glücklicher machen. Expert:innen behaupten, wir müssen dringend messen, wie viel wir arbeiten, lesen, schlafen und Geld ausgeben, und hauen dafür reihenweise neue Selbstoptimierungs-Apps raus. Es gibt Stufenzähler, Lese-Apps, die die gelesene Seitenzahl mitzählen, und Produktivitätsprogramme, die mitschneiden, wie viel Arbeit "passiert", wenn man das Prokrastinieren mit zuckersüßen Katzenvideos, Insta-Doom-Scrolling und Rauchpausen einmal abzieht. Moment, Rauchpausen? Ja, es gibt sogar Zigarettenzähl-Apps.
Kotzgrenze
Jeder unsere Lebensbereiche kann rein theoretisch erfasst werden. Und das ist auch gut so, findet der Hamburger Mediziner Marc Weitl. Er ist einer der führenden Medicial-Health-Experten und behauptet in einem Interview mit Carpe Diem, dass wir unserem Köpergefühl nicht trauen können. Wie er darauf kommt? Er untersuchte Läufer:innen und fragte deren gefühlte Belastung ab. Die Proband:innen sollten im mäßig bis schweren Bereich trainieren. 90 Prozent gaben alles - und hatten dabei einen Puls von über 170, quasi direkt an der Kotzgrenze.
Seine Schlussfolgerung: "Wir sind drauf konditioniert, bis zum Umfallen zu performen. Im Job, im Sport, in unseren Familien. Wir spüren unsere Überforderung nicht." Wir ignorieren diese so lange, bis wirklich gar nix mehr geht. Insofern könnten wir mit dem Tracken unserer Daten unser Körpergefühl erziehen, glaubt er. Denn das eigene Gefühl für unseren Körper und seine Bedürfnisse ist ja immer noch das Entscheidende. Datenwahnsinn hin oder her. Momentan spür ich's noch nicht so, ehrlich gesagt. Aber vielleicht werde ich ja noch zu einer Heldin der Zahlen. Ich erZÄHLE es euch dann, okay?