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Stealthing: Wenn Männer beim Sex ungefragt das Kondom abziehen

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12 min

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Oft geht es so schnell, dass man gar nicht realisieren kann, was passiert ist. Stealthing, das heimliche Abziehen des Kondoms, verletzt die sexuelle Selbstbestimmung der Frau. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Form des sexuellen Übergriffs nicht im Verborgenen bleibt, sensibilisieren und aufklären.

Stealthing ist kein Sextrend, sondern ein schwerwiegender Verstoß gegen den gegenseitigen Respekt und den sexuellen Konsens. Dieser Übergriff ist weder zu rechtfertigen, hinzunehmen noch zu verharmlosen.

Die Risiken sind vielfältig: Neben der Möglichkeit einer ungewollten Schwangerschaft und der Übertragung von Geschlechtskrankheiten, geht Stealthing mit einem massiven Missbrauch von Macht und Vertrauen einher. Das Problem: Viele Männer sind sich dem Ausmaß ihres Handelns nicht bewusst. Frauen hingegen schweigen und suchen oft die Schuld bei sich. Ein Spiegel unserer Gesellschaft?

Was ist Stealthing?

Wenn Vertrauen missbraucht wird. Eine Frau und ein Mann haben Sex. Gemeinsam haben sie davor entschieden, dass sie ein Kondom zur Verhütung nutzen. Wie abgesprochen, zieht der Mann das Kondom auch über. Bei einem Stellungswechsel nimmt er es jedoch heimlich ab – ohne, dass die Frau es mitbekommt.

Stealthing (engl. Heimlichkeit, List) bedeutet, dass der Sexualpartner heimlich das Kondom abzieht und der Sex ungeschützt fortgeführt wird. Diese Grenzüberschreitung ist eine Form des sexuellen Übergriffs.

Das Patriarchat: Sex ist politisch

Sexualität ist unausweichlich mit der Gesellschaft verbunden, in der sie existiert, und somit auch von den Einflüssen patriarchaler Geschlechterrollen geprägt.

Stealthing ist ein gesellschaftspolitisches Problem, das tiefe Fragen der Autonomie, Integrität und sexuellen Sicherheit aufwirft. Es entsteht aus einem komplexen Geflecht individueller Grenzen, sozialer Normen und persönlicher Entscheidungen im Kontext von Intimität und sexuellen Beziehungen.

Wieso denken Männer, dass sie das Kondom während dem Sex ohne Zustimmung abziehen dürfen? Nur für das kurzweilige Vergnügen und das Steigern der eignen Lust? Es ist wichtig, dass das Bewusstsein für die Risiken und psychischen Belastungen dieses Verhaltens in unserer Gesellschaft thematisiert wird.

Sex ist politisch. Das hat auch schon Carrie Bradshaw in "Sex and the City" festgestellt: "Which led me to wonder if the two weren't in fact inextricably linked, and if so, can there be sex without politics?” - Carrie

Unsere sexuellen Begegnungen finden nicht isoliert von den sozialen und politischen Strukturen statt, sondern sind vielmehr von ihnen geprägt. In einer Gesellschaft, die sexuelle Gewalt und Übergriffe nicht angemessen adressiert, könnten Männer denken, dass sie bestimmte Handlungen ausführen dürfen, ohne die Zustimmung ihrer Partnerin einzuholen.

"Sexuelle Gewalt sind alle sexuellen Handlungen, die gegen den Willen einer Person erfolgen", heißt es laut dem Bundeskanzleramt. Nein heißt Nein und MUSS respektiert werden.

Gründe: Was bewegt Männer dazu, das Kondom abzuziehen?

Weil es sich besser anfühlt.

Weil ich schneller komme.

Ich hatte Probleme mit meiner Erektion.

Ich dachte, sie wollte es auch.

Das sind nur einige der Gründe, die Männer nennen, wenn man sie auf Stealthing anspricht. Das Erschreckende: Für viele Männer, aber auch Frauen, scheint diese Form des Übergriffes nicht neu zu sein.

"Ja, das ist mir auch schon passiert", oder "Ja, das passiert leider manchmal.", berichten Frauen, mit denen ich gesprochen habe.

"Passieren" sollte so etwas nicht einfach, das trägt zur Normalisierung sexueller Gewalt bei. Dem Ausmaß ihres Handelns sind sich viele Männer nicht bewusst.

Folgen von Stealthing: Verlust der körperlichen Selbstbestimmung

Stealthing ist eine Form des sexuellen Übergriffes, die enorme Konsequenzen nach sich ziehen kann – sowohl gesundheitlich als auch psychisch. Was es besonders schlimm macht: Der Mann entfernt das Kondom im vollen Bewusstsein darüber, welche Folgen sein Verhalten für seine Sexpartnerin haben kann: Sexuell übertragbare Krankheiten wie HIV/Aids, Syphilis, Chlamydien oder Hepatitis, können dabei weitergeben werden. Auch an ihn.

Oft geht es so schnell, dass man erst gar nicht realisieren kann, was dort grade passiert ist. Schockstarre, man sagt nichts, ist wie gelähmt und tausend Gedanken schießen durch den Kopf. Zur Sicherheit wird die Pille danach geholt, die den ganzen Hormonhaushalt komplett durcheinander bringt. Auch ein Test, um sich auf Geschlechtskrankheiten untersuchen zu lassen, wird von vielen Frauen danach vereinbart.

Das Schlimmste ist für viele jedoch, dass sie in dem Moment einen Kontrollverlust erleben. Kontrolle über den eigenen Körper und die Freiheit, eine eigene Entscheidung zu treffen. Das eigene Welt- und Selbstbild wird in Frage gestellt. Betroffene beschäftigen sich oft noch wochenlang mit dem, was ihnen widerfahren ist.

Ist Stealthing in Österreich strafbar?

Gesellschaftliche Entwicklungen vollziehen sich oftmals schneller als ihre rechtliche Regelung. Beim Thema Stealthing gab es lange eine Regelungslücke in Österreich. Die Verhandlung von Stealthing-Fällen erweist sich rechtlich als kompliziert, da im Zweifel immer Aussage gegen Aussage steht.

Es ist nicht einfach, über sexuelle Gewalt zu sprechen und sich damit auseinander zu setzen. Ich habe bei Ursula Kussyk von der Frauenberatungsstelle bei sexueller Gewalt nachgefragt, wie häufig sie von "Stealthing"-Fällen in ihrer Beratungspraxis hört. Die Realität: Fälle gibt es - aber nur wenige Frauen haben sich bei einer der BAFÖ-Einrichtungen wegen "Stealthing" gemeldet. Meist aus Scham oder Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird.

Laut dem Bundesministerium für Justiz sind Fälle von Stealthing nach §205a StGB strafbar, wenn vorher die Verwendung eines Kondoms vereinbart wurde. Es gibt bis dato aber nur einen Fall in Österreich, bei dem es zu einer Verurteilung nach §205a kam.

Es bedarf sexueller Bildung und Aufklärung

Wenn Männer glauben, dass sie während des Geschlechtsverkehrs ohne Konsens das Kondom abziehen können und Frauen aus Scham dieses Verhalten nicht hinterfragen oder anzeigen - liegt ein strukturelles Problem vor.

Es bedarf Aufklärungsarbeit und Bewusstseinsbildung, um Menschen über Einvernehmlichkeit, Respekt und gesundheitliche Risiken zu sensibilisieren.

  • Aufklärung über Verhütungsmethoden, Safe Sex und Geschlechtskrankheiten. Eine Infektion mit Chlamydien kann bei Frauen beispielsweise zu langfristigen Folgen wie Eileiter-, Eierstockentzündung oder Unfruchtbarkeit führen (das passiert bei ungefähr 4 von 10 infizierten Frauen). Das heimliche Kondomabziehen kann für Frauen somit schwere gesundheitliche Folgen haben.

  • Körperwissen und Körperbewusstsein - insbesondere über den Hormonhaushalt der Frau. Die Ausrede: "Sie kann ja die Pille danach nehmen", darf nicht zur Regel werden. Die Pille danach hat eine hohe Hormondosis. Das ist nicht gut für den Körper und zugleich der Grund, warum viele Nebenwirkungen auftreten können.

  • Bestehende Geschlechterstereotype und patriarchale Denkmuster hinterfragen und aufbrechen.

Handelt es sich bei Stealthing um Vergewaltigung?

Die rechtliche Einordnung von "Stealthing" als Vergewaltigung ist umstritten und stellt Opfer oft vor große Herausforderungen, um zu verstehen, was ihnen widerfahren ist.

Der Geschlechtsverkehr selbst fand einvernehmlich statt. Allerdings wurde die Zustimmung möglicherweise explizit oder implizit unter der Bedingung erteilt, dass ein Kondom verwendet wird, und das heimliche Entfernen des Kondoms steht im Widerspruch zu diesem Konsens.                                     

Wie der erkennbare Wille einer Person gedeutet wird, kann dabei zum Problem werden, insbesondere wenn es zu einem Konflikt zwischen den Erwartungen und dem tatsächlichen Verhalten während des Geschlechtsverkehrs kommt. Zudem bemerken Betroffene oft erst später, dass das Kondom entfernt wurde.

Victim Blaming sorgt dafür, dass Betroffene keine Anzeige erstatten

Bist du sicher, dass es so war?"

"Hast du ihm vielleicht das Gefühl gegeben, dass du es auch möchtest?"

"Warst du zu betrunken und hast es deshalb nicht gemerkt?

Beim sogenannten "Victim Blaming" wird die Glaubwürdigkeit des Opfers durch genau solche Fragen untergraben. Dies führt dazu, dass sie Angst haben, eine Anzeige zu machen.

Im Kontext von "Stealthing" kann Victim Blaming als eine Form von Ungerechtigkeit betrachtet werden, bei der die Glaubwürdigkeit des Opfers durch vorherrschende Meinungen, die auf negativen Stereotypen basieren, in Frage gestellt wird.

Diese Dynamik kann dazu führen, dass Betroffene von "Stealthing" befürchten, dass sie nicht ernst genommen werden oder dass ihnen die Schuld zugeschoben wird. Im schlimmsten Fall schweigen sie und zweifeln das Erlebte und ihre eigene Realität an.

Prozessbegleitung: Soll ich eine Anzeige machen?

"Nach einer sexuellen Gewalterfahrung an die Öffentlichkeit zu gehen, sich zu einer Anzeige zu entschließen, kann eine schwierige Entscheidung sein. Wir beantworten alle Ihre Fragen vertraulich und auf Wunsch anonym. Im Fall einer Anzeige beraten und begleiten wir und eine unserer Rechtsanwältinnen Sie auf Wunsch kostenlos vom Beginn bis zum Ende des Verfahrens. Unsere sonstigen Unterstützungsangebote (frauenberatung.at; sexuellegewalt.at) sind nicht mit einer Anzeigenerstattung verbunden", so Ursula Kussyk, Leiterin der Frauenberatung.

Hilfsangebote für Frauen

Es ist nicht deine Schuld, wenn dir sexuelle Gewalt angetan wird. Du bist nicht allein. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich hier melden:

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