Sie hat eines der erfolgreichsten Start-ups des Landes gegründet und für 180 Millionen Euro verkauft. Sok-Kheng Taing hielt beim WOMAN ELEVATE Circle ein Plädoyer für den Wirtschaftsstandort Österreich und warum es jetzt an der Zeit für Optimismus ist.
"Als wir 2005 begonnen haben, war es nicht cool, ein Start-up zu gründen", lacht Sok-Kheng Taing. "Damals haben alle gesagt: Wieso bleibst du nicht in deiner aktuellen Position? Dort hast du viel mehr Karrierechancen." Nach ihrem Studium an der Johannes Kepler Universität Linz baute sie mit ihren Kollegen Bernd Greifeneder und Hubert Gerstmayr das zukunftsweisende Tech-Unternehmen Dynatrace auf, das später für 180 Millionen Euro von einem US-Konzern gekauft wurde. Dynatrace entwickelt Software, die IT-Systeme automatisch überwacht, Probleme erkennt und deren Ursachen analysiert, um Anwendungen schneller, zuverlässiger und effizienter zu machen. "Unsere Vision", sagt sie, "ist ganz einfach – eine Welt, in der die Software perfekt funktioniert. Um diese Idee in eine erste Produktversion zu übersetzen, hat es ein Jahr gedauert, mit der großartigen Unterstützung des Austria Wirtschaftsservice und dem FFG. Ohne deren Finanzierung in der Seedphase wäre es nicht möglich gewesen." Heute unterstützt die Entrepreneurin auch junge Unternehmer:innen mit Kapital und Know-how, außerdem engagiert sie sich für Initiativen zur Förderung von Kindern sowie Jugendlichen im Bereich Informatik und Technik. Warum Diversität in Teams zu innovativeren Lösungen führt und welche Chancen sich daraus für alle ergeben, erklärt sie im Gespräch …
Dynatrace war eines der erfolgreichsten Tech-Start-ups in Österreich. Welche Faktoren haben Ihrer Meinung nach den entscheidenden Unterschied gemacht?
Es gehört Glück dazu, aber wir haben auch sehr hart gearbeitet. Die Kompetenzen waren klar verteilt – jeder hat das gemacht, was er oder sie am besten konnte. Natürlich ist unser innovatives Produkt, das auf viel Forschung und Entwicklung basiert, ein Erfolgsfaktor. Dafür haben wir sofort Patente angemeldet – mittlerweile haben wir sogar über 150 Patente, das ist Teil unserer Strategie. Und wir sind bereits von Anfang an als diverses Team aufgetreten. Uns war klar, dass wir gute Mitarbeiter:innen gewinnen müssen, weil es zu dritt eng wird. Das war als No-Name schwierig, weil wir mit den großen Softwareunternehmen konkurriert haben.
Sie haben gerade die Innovationskraft angesprochen. Ihr Mitgründer Bernd Greifeneder meinte vor Kurzem in einem Interview, man müsse sich alle sieben Jahre neu erfinden. Sie belohnen Ihre Mitarbeiter:innen sogar mit speziellen Erfinderboni. Wie funktioniert das?
Ich würde sogar sagen, man muss sich alle drei bis fünf Jahre neu erfinden, um schon vorher zu wissen, was kommt, wie man die eigenen Produkte dafür adaptiert. Wir fördern das. Ein Teil unseres Teams forscht immer schon an den übernächsten Technologieentwicklungen. Wir arbeiten eng mit Universitäten, Fachhochschulen, Forschungspartnern zusammen. Klassische Erfinderboni gibt es bei uns auch, mit dem Unterschied, dass der Bonus nicht nur einer Person zugutekommt, sondern dem gesamten Team. Ein Teil davon wird wieder in bestimmte Projekte investiert, etwa in die Jugend. Wir unterstützen Schulen mit Mentor:innen, sponsern das österreichische Team bei der Informatikolympiade und die Roboter-Olypmpiade World Robot Olympiad (WRO) in Kollaboration mit der Initiative der Digitale Mile Linz.
Rückblickend ist Dynatrace eine Erfolgsgeschichte, anfangs gab es bestimmt aber auch schwierige Momente: Was hat Sie motiviert, dranzubleiben?
Die größte Challenge im ersten Jahr war die Liquidität – am Anfang ist man immer am Limit. Wir haben uns jeden Monat angeschaut: Wie viel Geld bleibt uns, wie lange geht sich das noch aus? Ich hatte viele schlaflose Nächte, denn meine Aufgabe war es, Geld und Kund:innen zu akquirieren. Aber: Wir haben den richtigen Zeitpunkt erwischt und immer an die Idee geglaubt, weil es am Markt nichts Vergleichbares gab. Uns war damals schon klar, dass die Nachfrage aufgrund der enorm steigenden Komplexität in der IT innerhalb weniger Jahre enorm wachsen würde. Man muss genau wissen, wo der eigene "Sweet Spot" liegt, sonst ist man immer im Wettbewerb mit anderen Unternehmen, die es schon länger gibt.
Dynatrace wurde 2011 für 180 Millionen verkauft. Wie schwierig war es, den Standort Österreich zu halten?
Für uns war klar, dass wir nicht umziehen wollen: Unser Lebensmittelpunkt ist in Österreich, die ganze Familie ist da. Schon bei unserer Gründung haben viele gesagt: "Ihr müsst nach Amerika, was wollt ihr in Linz?" Niemand hat geglaubt, dass wir überleben werden, aber wir wollten zeigen, dass auch von Linz aus Großes entstehen kann. Wir haben hier sehr gute Talente, auch dank unserer Universitäten und Fachhochschulen. Unser Know-how im Ingenieurwesen oder in der Informatik ist exzellent. Das sehen wir auch, nachdem Dynatrace mittlerweile weltweite Niederlassungen hat. Wir weiten den Standort in Linz sogar aus und bauen einen Campus, wo 1.500 Mitarbeiter:innen Platz haben sollen. Es ist an der Zeit für Optimismus – wir glauben an den Standort Europa. Aber es ist eine ständige Herausforderung, die besten internationalen Talente für Österreich zu gewinnen.
Was müssen Unternehmen, aber auch die Politik tun, damit wir international mithalten können?
Es geht darum, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Der Onboarding-Prozess für Kolleg:innen aus anderen Ländern ist so schwierig, vieles ist zu wenig digitalisiert, und wenn ich zu den Behörden gehe, spricht niemand Englisch. Es wäre ein erster Schritt, die Formulare zweisprachig anzubieten und die Mitarbeiter:innen in den öffentlichen Ämtern darauf zu sensibilisieren, dass sie offen sind, Englisch zu sprechen. In Linz haben wir das bei unserem Immigration Officer geschafft. Wir haben eng mit dem Büro zusammengearbeitet und unsere Erfahrungen mit dem Onboarding von Internationals geteilt. Die Mitarbeiter:innen im Linzer Immigration Office sind offen, Englisch zu sprechen, und Formulare wurden auf unsere Initiative hin übersetzt und online gestellt. Jetzt hat das Business Immigration Office Linz österreichweit sogar den Award für das freundlichste Ausländerbüro bekommen. Da sehen wir, was alles erreichbar ist.
Bleiben wir gleich bei diesem weltoffenen Zugang: Wie verändert sich Ihrer Erfahrung nach auch die Firmenkultur, wenn Teams divers sind?
Es hilft, unterschiedliche Ansichten zu hören und die eigenen blinden Flecken aufzudecken. Wenn man über diese Themen diskutiert, kommt man plötzlich auf ganz andere Lösungen, die oft nachhaltiger sind, weil sie verschiedene Blickwinkel miteinbeziehen und nicht nur die eigene eingeschränkte Erfahrung. Das macht uns zukunftsfähig. Alles andere wäre aus meiner Sicht sehr kurzsichtig gedacht. Mir ist wichtig, dass unsere Mitarbeiter:innen schon im Bewerbungsprozess merken: Wertschätzung, Respekt und auf Augenhöhe miteinander zu kollaborieren, ist eine Normalität für uns.
Aktuell wird von allen und überall von KI gesprochen. Wie kann man älteren wie jungen Menschen die Angst davor nehmen?
Lifelong Learning gewinnt immer mehr an Bedeutung: Die Welt verändert sich immer schneller, da ist es essenziell, aktiv Kontakt mit neuen Technologien zu suchen und sich nicht davor zu verstecken. Am besten durch Blended Learning – etwas, wo ich online in meinem Tempo trainieren kann, gepaart mit Präsenzschulungen. Auch Kinder sollten schon Offenheit gegenüber Technik lernen: Ich bin Mutter von zwei Töchtern, wir haben mit Büchern begonnen, diese sind überall verfügbar. Sie tauchen dabei in andere Welten ein, und es schult ihre Konzentration. Danach haben sie einen Laptop bekommen, kein Kindergerät, einen normalen. Damit sind unsere Töchter aufgewachsen, es war wie ein Spielzeug für sie. Wenn etwas nicht funktioniert hat, sind sie zu mir gekommen und meinten: "Mama, ich muss das aufschrauben." Wir üben in der Schule Lesen, Rechnen und Schreiben, aber wir sollten auch bereits im Kindergarten spielerisch lernen, wie Coden funktioniert, weil Software uns im Alltag begleitet.
Das war der WOMAN ELEVATE Circle mit Sok-Kheng Taing
Über die Autor:innen
Melanie Zingl
Melanie ist seit 2007 bei der Verlagsgruppe News (VGN) tätig. 2016 wurde sie Leitende Redakteurin und 2018 Stellvertretende Chefredakteurin. Seit 2024 ist Melanie Chefredakteurin bei WOMAN. Ihr erklärtes Ziel: "Make the World more WOMAN. Weil wir davon überzeugt sind, dass eine gleichberechtigte Welt eine bessere ist."