Beeindruckend: die Buchhandlung "Book City" in der chinesischen Stadt Xiamen.
©Getty ImagesDer Leseherbst bringt Vielfalt ins Regal: Welche Trends zeichnen sich ab, welche Klassiker sind angesagt – und welche Neuerscheinungen dürfen auf keinen Fall fehlen – der große WOMAN-Überblick.
Der Herbst ist traditionell jene Jahreszeit, in der die meisten Verlage neue Bücher herausbringen. Zur Orientierung gibt es einen Überblick über Entdeckungen aus unterschiedlichen Genres, sofern sie nicht bereits von WOMAN empfohlen wurden. Die Lust am Lesen, erklärt Nicole List, Inhaberin der mehrsprachigen Buchhandlung List im 9. Wiener Bezirk, ist jedenfalls ungebrochen, auch bei der jüngeren Generation.
"Social Media haben wesentlich dazu beigetragen, dass Jugendliche und junge Erwachsene einen Zugang zum gedruckten Wort finden. Gerade durch Plattformen wie TikTok werden Bücher einem breiteren Publikum nähergebracht", so die Expertin. Neben "BookTok" lässt sich diese Entwicklung auch auf "Bookstagram", wie die Buch-Subcommunity auf Instagram genannt wird, beobachten.
Aber auch bei Lists langjährigen Kund:innen ist die Begeisterung für Literatur groß, vor allem, was die Nachfrage nach gebundenen Büchern betrifft. "Das haptische Erlebnis spielt noch immer eine große Rolle. Es gibt sogar Leute, die ein Buch zweimal kaufen – eines zum Lesen und eines für das Regal." Die Expertin ist überzeugt: "Die Freude an guten Büchern ist da und wird immer da sein."
Neue Wege
Trotzdem spüre auch der Buchhandel die Auswirkungen der aktuell angespannten wirtschaftlichen Lage. "Früher kauften Kund:innen drei oder vier Bücher auf einmal, heute oft nur noch eines oder zwei." Zwar seien die Preise nur moderat angehoben worden, doch die steigenden Kosten würden nun eine weitere Anpassung der Verlage notwendig machen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sei laut List die Kreativität der Buchhandlungen gefragt. "Einfach ,nur‘ Bücher zu verkaufen, reicht heute in den seltensten Fällen. Man muss auf jeden Fall neue Ideen haben und sich ausprobieren."
So gibt die 34-Jährige beispielsweise regelmäßig Buchtipps in "Café Puls", dem Frühstücksfernsehen von Puls 4. Dorthin "nehme ich echt nur Bücher mit, hinter denen ich zu 100 Prozent stehe". Auch auf Instagram gibt es auf dem Account @buchhandlunglist Empfehlungen und Infos zu Autor:innen-Lesungen und Erstpräsentationen, die regelmäßig in ihrem Geschäft stattfinden.
Welche Trends zeichnen sich derzeit in der Branche ab? Für bemerkenswert hält die Buchhändlerin die große Nachfrage nach dem Genre "Romantasy" und Büchern, die zum Nachdenken anregen, wie jene des britischen Autors Matt Haig (allen voran "Die Mitternachtsbibliothek", Droemer Knaur, € 13,40). Diese Werke, die häufig durch soziale Netzwerke bekannt werden, sprechen vor allem Jüngere an. Aber auch das Lesen in Originalsprache gewinne an Bedeutung. "Die jüngeren Generationen sprechen immer besser Englisch, was sich auch in ihrem Leseverhalten widerspiegelt", sagt List, die deutsch-, französisch-, italienisch- und englischsprachige Literatur führt.
Italienische Titel
Nicht nur die Bestsellerlisten und jugendliche Lesetrends prägen den Markt. Ein weiteres großes Thema in diesem Jahr ist italienische Literatur. Italien war Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Dass das Interesse an italienischen Autor:innen zugenommen hat, freut List besonders: "Es gibt viele wunderbare italienische Gegenwartsautor:innen, die nun ins Deutsche übersetzt werden." Die Expertin hat natürlich auch Empfehlungen, wie zum Beispiel "Endlich das ganze Leben" von Roberta Recchia (Fischer, € 24,70) oder den Thriller "All das Böse, das wir tun" von Sandrone Dazieri (HarperCollins, € 18,50).
Buchtipps
Frauen
Wachbleiben garantiert
Melanie Raabe, "Der längste Schlaf", btb, € 25,50
Die junge Wissenschafterin Mara Lux, führende Schlafexpertin, leidet selbst seit Jahren unter quälender Insomnia. Unerwartet erhält sie eine Nachricht aus Frankfurt: Jemand will ihr anonym ein altes Herrenhaus vermachen. Neugierig reist sie in die Provinz und entdeckt eine mysteriöse Verbindung zwischen ihren Träumen und dem Ort.
Unaufgeregt berührend
Sina Scherzant, "Taumeln", park x ullstein, € 24,50
Eine junge Frau namens Hannah verschwindet spurlos. Noch zwei Jahre später sucht eine Gruppe jeden Samstag nach ihr, darunter ihre Schwester Luisa. Ohne in Pathos zu verfallen, beleuchtet Sina Scherzant die Einsamkeit der Suchenden und den emotionalen Kampf der Angehörigen.
Das Lebensgefühl der Millennials
Caroline O’Donoghue, "Die Sache mit Rachel", Kiepenheuer & Witsch, € 25,50
Als die Studentin Rachel auf den lebhaften James trifft, entwickelt sich sofort eine lebensverändernde Freundschaft. Gemeinsam planen sie eine Lesung, um Rachels Schwarm, den Literaturprofessor Dr. Fred Byrne, zu beeindrucken. Doch die Situation nimmt eine unerwartete Wendung.
Geister der Vergangenheit
Ulla Lenze, "Das Wohlbefinden", Klett-Cotta, € 26,50
In den Lungenheilstätten Beelitz entsteht 1907 eine Verbindung zwischen zwei ungleichen Frauen: der Fabrikarbeiterin Anna, die als Medium verehrt wird, und der Schriftstellerin Johanna. Doch der Wettkampf um Anerkennung macht sie zu Rivalinnen. Erst 60 Jahre später bringt Johannas Urenkelin Vanessa Licht in die Vergangenheit.
Lebenslinien
Unterhaltsamer Eskapismus
Jenny Mustard, "Okaye Tage", Eichborn, € 25,50
Müssen große Entscheidungen endgültig sein? Die Protagonist:innen Luc und Sam lernen sich in London kennen. Und stürzen sich über einen Sommer in eine Beziehung – im vollen Bewusstsein, dass ihre Verbindung nur von kurzer Dauer sein wird. Eine authentische Liebesgeschichte, die den Nerv einer ganzen Generation trifft.
Wirkt lange nach
Ewald Arenz "Zwei Leben", DuMont, € 26,50
Meisterhaft erzählt Ewald Arenz die Geschichte zweier Frauen, deren Schicksale in den frühen Siebzigerjahren eng miteinander verknüpft sind. Beide hinterfragen das Leben in einem süddeutschen Dorf und müssen Entscheidungen treffen, besonders als ein tragisches Unglück ihr Leben auf den Kopf stellt.
Mitreißend erzählt
Anne Cathrine Bomann, "Rosa", hanser blau, € 23,50
Wie schon in ihrem Bestseller „Agathe“ widmet sich Anne Cathrine Bomann erneut den großen Fragen des Lebens: Vigga, Ende 20, lebt zurückgezogen. Das verstärkt sich, als ihre Freundin Maiken schwanger wird. Bis sie in einem Aquarium dem Oktopus Rosa begegnet, der sie fasziniert und inspiriert, ihr Leben neu zu gestalten.
Schatzkiste voller Geschichten
Monika Helfer, "Wie die Welt weiterging", Hanser, € 32,–
Monika Helfer gilt als Meisterin der kurzen Form. In diesem neuen Band versammelt sie 365 Geschichten – für jeden Tag des Jahres eine. Dabei schreibt die Autorin persönlich, ehrlich und klug vom Leben und der Welt – und macht aus kleinen Alltäglichkeiten große Erzählungen.
Familie
Geschichte einer Obsession
Maud Ventura, "Mein Mann", Hoffmann & Campe, € 25,50
Der Nummer-1-Bestseller aus Frankreich: Die Protagonistin in Maud Venturas Debüt ist eine Frau, die alles hat: Karriere, Haus, zwei Kinder und einen perfekten Ehemann, den sie nach 15 Jahren liebt wie am ersten Tag. Doch liebt er sie genauso? Um das herauszufinden, stellt sie ihn auf die Probe – erst vorsichtig, dann immer extremer.
Zutiefst ergreifend
Coco Mellors, "Blue Sisters", Eichborn, € 25,50
Schicksalsschläge, Sucht und Schmerz: Nach dem Unfalltod von Nicky kämpfen die verbliebenen Blue- Schwestern Avery, Bonnie und Lucky mit ihren eigenen Dämonen. Gelingt es ihnen, sich gegenseitig zu unterstützen und einen Weg zurück ins Leben zu finden? Coco Mellors’ zweiter Roman überzeugt mit Tiefe und Wärme.
Trifft ins Herz
Ulrike Draesner, "zu lieben", Penguin, € 25,50
Ulrike Draesner hat ein persönliches Buch geschrieben, das autobiografische Erzählung und Roman zugleich ist. Sie zeichnet darin die Geschichte ihrer Tochter nach, die als Dreijährige aus einem Kinderheim in Sri Lanka zu ihr und ihrem Mann nach Deutschland kam – und erforscht, was Mutterschaft bedeutet.
Krimi
Weibliche Perspektive
Jessica Knoll, "Bright Young Women", Eichborn, € 19,–
Inspiriert vom ersten Serienmörder, der in den USA Berühmtheit erlangte, erzählt Jessica Knoll die Geschichte zweier Frauen, die sich nach dessen grausamen Verbrechen auf der Suche nach der Wahrheit zusammenschließen. Und zeigt, dass nicht der Täter außergewöhnlich war, sondern die wahren Heldinnen seine Opfer sind.
Feministisches Roadmovie
Ana Wetherall-Grujić, "Blutsschwestern", Kremayr & Scheriau, € 25,–
Bitterböse rechnet Ana Wetherall-Grujić mit dem Klischee der wehrlosen Frau ab: Die schwer verwundete Ljiljana und ihre Schwester Sanja fliehen in ihre alte Heimat Serbien. Doch statt Zuflucht finden sie sich in einer Fehde zwischen Mafia-Patin und ihren Widersachern wieder.
Politische Dystopie
Paul Lynch, "Das Lied des Propheten", Klett-Cotta, € 27,50
Wie schnell wird aus einem demokratischen Land eine Diktatur? Davon handelt "Das Lied des Propheten" von Booker-Preisträger Paul Lynch. Es ist die Geschichte einer Familie, in deren Alltag sich der Schrecken zunehmend einschleicht. Und eine eindringliche Warnung vor der Entstehung autoritärer Regime.
Sachbuch
Staunen und entdecken
Axel Hacke, "Aua!", DuMont, € 21,50
Aus der Perspektive eines Mannes in der zweiten Hälfte der Sechziger erkundet Axel Hacke humorvoll und nachdenklich den Körper, mit dem er schon sein ganzes Leben verbringt. Und teilt dabei jede Menge persönlicher Erlebnisse wie jenes, als er sich beim Meditieren mal eine Rippe gebrochen hat.
Unbeugsam und furchtlos
Alexej Nawalny, "Patriot", Fischer, € 29,50
Die Autobiografie des Kremlgegners, der im Februar im Straflager in der russischen Arktisregion unter bis heute nicht geklärten Umständen gestorben ist, wurden nun posthum veröffentlicht. Von seinem Aktivismus bis zu seinem Überlebenskampf im Gefängnis zeigt das Buch seine unerschütterliche Überzeugung: Der Wandel kommt.
Die Sanftmut nicht verlieren
Jagoda Marinić, "Sanfte Radikalität", Fischer, € 21,50
In einer Zeit wachsender Empörung plädiert Jagoda Marinić dafür, "leise, aber beharrlich Räume zu schaffen, die das Denken ändern". Seit über zehn Jahren arbeitet die Gründerin des Interkulturellen Zentrums Heidelberg für eine vielfältigere Gesellschaft und zeigt, wie echte Veränderung jenseits von Social Media gelingen kann.
Aufruf zum Dialog
Delphine Horvilleur, "Wie geht’s?", Hanser Berlin, € 21,50
Nach dem Massaker am 7. Oktober bricht der Rabbinerin Delphine Horvilleur der Boden unter den Füßen weg. In einem mitreißenden inneren Gespräch geht sie dem Antisemitismus auf den Grund und betont die Notwendigkeit, offenzubleiben, den Schmerz der anderen wahrzunehmen, damit Hoffnung möglich ist.