
Opernstar. Stimm-Malerin. Kühle Blonde aus dem hohen Norden. Beschreibungen wie diese sind eng mit ihrem Namen verbunden. Elīna Garanča ist all das, aber noch viel mehr: Offen spricht sie mit uns über Höchstleistungen auf der Bühne, Alltagsstress als Zweifachmama und lang ersehnte Tage im Pyjama.
Elīna Garanča, 48, ist irgendwie immer auf dem Sprung: "Ich gebe Konzerte rund um die Welt. Zur Ruhe komme ich kaum." Für unser Gespräch nimmt sich die Mezzosopranistin jedenfalls viel Zeit. "Ich warte gerade auf meinen Flug nach Barcelona. Das passt sehr gut", sagt die Lettin in nahezu perfektem Deutsch. Zwischen zahlreichen Konzerten fließe ihre Energie derzeit vor allem in "Klassik unter Sternen". Bei der renommierten Open-Air-Gala bietet sie zusammen mit ihrem Mann, dem Dirigenten Karel Mark Chichon, aufstrebenden Talenten am 2. Juli erneut eine Bühne (klassikuntersternen.at).
Dass sie sich mit der Förderung auch mehr Konkurrenz ausbildet, sieht der Opernstar nicht so: "Es dauert mindestens zehn bis 15 Jahre, bis man dort angekommen ist, wo eine erfahrene Künstlerin steht. Und viel länger werde ich nicht mehr singen", verkündet sie und fügt lachend hinzu: "Hoffentlich sterbe ich dann nicht gleich. Denn ich kann mir Unterrichten sehr gut als Nebenbeschäftigung in der Pension vorstellen."
Frau Garanča, denken Sie ernsthaft schon ans Aufhören?
Na ja, irgendwie lerne ich nicht aus meinen Fehlern, jedes Jahr möchte ich kürzertreten, schaffe es aber nicht. (lacht) Als Mezzosopranistin habe ich mir alle Träume erfüllt, und ich genieße, dass ich die Früchte meiner Arbeit jetzt ernten und auch mal experimentieren kann, ohne damit riskieren zu müssen, meine Karriere zu ruinieren.
Sie sagen oft, nie eine Getriebene Ihres Berufs gewesen zu sein. Ohne Ehrgeiz wären Sie aber sicher nie so weit gekommen ...
Ja, ich will das Maximum aus mir herausholen. Je näher am Limit, desto besser. Man muss nur regelmäßig überprüfen, wie es sich mental und körperlich ausgeht. Disziplin gehört ohnehin immer dazu, denn ich muss, allein schon wegen meiner Kinder, Projekte mindestens ein halbes Jahr im Vorhinein planen. Für Spontanität bleibt da wenig Raum.
Das klingt sehr zielstrebig. Kennen Sie Selbstzweifel?
Oh ja, täglich. Erst heute früh habe ich meiner älteren Tochter gesagt, dass es mir leidtut, wenn ich nicht immer alles richtig mache, aber ich habe keine Enzyklopädie, die mir sagt, wie ich eine perfekte Mutter sein kann. Ich versuche jeden Tag aufs Neue mein Bestes. Manchmal überlege ich abends im Bett, ob ich heute eine gute Mama oder Sängerin war oder wie ich dieses Konzert morgen anlegen soll.
Wie gelingt es Ihnen, auf der Bühne immer Top-Leistung abzurufen?
Das ist nicht immer leicht. Ich verlasse mich auf die Technik, die ich mir jahrelang hart erarbeitet habe. Manchmal bin ich froh, wenn der Abend endlich vorbei ist, dann wieder überrascht, weil es doch einfacher wurde, als ich dachte. Ab und zu muss ich absagen, weil ich mich ja nur bis zu einem gewissen Punkt hochpushen kann. Ganz ehrlich, die Abende, an denen stimmlich alles tippitoppi läuft, sind von 50 vielleicht fünf oder acht.
Das merkt aber niemand …
Na hoffentlich – ich gebe für meine Lehrer:innen und Coaches auch viel Geld aus. (lacht)


Sie gelten als völlig allürenfrei, sind alles andere als eine Diva …
Die Ursache dafür liegt sicher in meiner Herkunft aus Lettland, einem armen Land. Wir mussten und müssen für sehr vieles kämpfen. Da ist kein Platz für Eitelkeiten. Dennoch kann ich durchaus eine Diva sein. (lacht) Ich lebe das aber nicht durch Exzesse aus, sondern werde eher ungeduldig und lasse mir meine Unzufriedenheit über einen von mir empfundenen Zeitverlust viel zu deutlich anmerken. Wenn Kolleg:innen ewig herumprobieren, sage ich: "Okay, erst mal erledigt ihr eure Sachen, dann komme ich dazu."
Sie haben Ihre Kindheit und Jugend in Riga verbracht. Wer hat Sie am meisten geprägt?
Meine Mutter, die leider vor fast zehn Jahren gestorben ist. Ich vermisse sie sehr als Oma für meine Töchter. Sie wäre für uns eine große Entlastung und Bereicherung. Sie war ebenfalls klassische Sängerin und eine sehr, sehr starke Persönlichkeit. Sie wusste, was einem dieser Beruf abverlangt. Zum Beispiel wenn man etwas sechs Wochen vorbereitet und dann unfair kritisiert wird, weil der oder die Kritiker:in vielleicht nicht gut geschlafen hat oder sich über irgendetwas geärgert hat und das bei einem rauslässt. Ohne darüber nachzudenken, wie tief der eine oder die andere damit getroffen wird. Sie hat auch immer gesagt, man soll arbeiten, wenn man jung ist und die meiste Kraft hat, und diese Zeit nicht mit Spaß vergeuden. Das Leben kann man später genießen. So ist es. Irgendwann sitze ich auf meiner Terrasse und trinke Gin Tonic, ohne darüber nachzudenken, ob dieses Eisgetränk meiner Stimme schaden könnte.
Wie privilegiert wachsen Ihre Töchter (13 und 10) auf?
Sie wachsen sicher unter anderen Umständen als ich auf und pendeln zwischen unseren Häusern in verschiedenen Ländern. Ich kann sie nicht zwingen, bei uns in Lettland Kartoffeln zu ernten, so wie ich es in meiner Kindheit bei meinen Großeltern, die auch sehr wichtig für mich waren, getan habe. Aber ich bringe sie auch in Situationen außerhalb ihrer Komfortzone. Wir waren zum Beispiel vor Kurzem in Los Angeles. Dort haben sie einerseits riesige Villen gesehen, andererseits die vielen Obdachlosen. Das war natürlich erschütternd, aber diese Sichtweise tut ihnen gut.
Haben die beiden das musikalische Talent von Ihnen und Ihrem Mann geerbt?
Auf jeden Fall, und wir versuchen, das zu pflegen. Es ist allerdings eine große Entlastung, dass beide nicht zur klassischen Musik tendieren. Die Große will Filmschauspielerin werden, nimmt begeistert Schauspielunterricht. Sie wäre im Kino gut aufgehoben, denn sie ist fotogen. Die Kleine tendiert mehr zur Sängerin wie Ariane Grande oder Beyoncé. Ihre Stimme hat eine interessante Farbe. Sie lernt zusätzlich Gitarre spielen. Mal schauen …
Sie sind viel unterwegs. Wie managen Sie den Alltag?
Das verlangt eine große Logistik, wie bei jeder arbeitenden Mutter. Nur fahre ich nicht mit dem Auto oder den Öffis in den Job, sondern fliege. In meinem Job ist man viel weg von zu Hause, und die Zeitverschiebung macht einem zu schaffen. Wir teilen alles so ein, dass sich immer ein Familienmitglied um die Kinder kümmert. Natürlich haben wir auch Nannys als Hilfe. Da die beiden in eine Privatschule gehen, können wir sie zwischendurch rausnehmen, und sie lernen online weiter. Manchmal ist es schwer für sie, aber es ist auch nicht leicht für uns. Und ich stehe natürlich mehr als einmal um vier Uhr morgens auf, um schnell übers Wochenende nach Hause zu fliegen. Aber ganz ehrlich, jünger wird man nicht, und das zehrt. Ich muss wirklich planen und überlegen, ob ich tatsächlich jeden Flug schaffen kann. Aber meine Töchter kennen es nicht anders. Mami kommt und Mami geht, aber oft kommen sie auch mit. Wir waren vor Kurzem in China. Da haben die Mädchen wieder hautnah gesehen, wie müde ich nach einem Konzert bin und dass ich trotzdem noch eine Stunde signieren und danach noch auf einen Empfang gehen muss, weil das vom Sponsor so vorgegeben ist. Ich komme selten vor Mitternacht ins Hotel. Wir setzen sie gerne solchen Situationen aus, damit sie nicht glauben, ich trällere ein bisschen, bekomme viel Applaus und Geld, und alles ist wunderbar. Nein, das ist harte Arbeit.
Die Abende, an denen stimmlich alles tippitoppi läuft, sind von 50 vielleicht fünf bis acht.
Inwiefern haben Ihre Kinder Ihre Einstellung zum Leben verändert?
Nur Karriere wäre für mich nicht infrage gekommen. Ich wollte nie mit 50 oder 60 zu Hause sitzen und mir wehmütig Fotos aus der glanzvollen Vergangenheit anschauen. Irgendwann ruft keiner mehr an, keiner interessiert sich mehr für dich, weil man eine alte Sängerin geworden ist. Viele meiner Kolleg:innen haben alles für ihre Karriere geopfert. Ich habe nichts gegen diese Einstellung, aber das war nie mein Weg. Ich sehe oft, wie sehr sie dann mit dem Älterwerden hadern.
Wie verbringen Sie die Festtage?
Am 20., spätestens 21. Dezember habe ich meinen letzten Auftritt für heuer. Danach wechsle ich komplett in die Weihnachtslaune. Wir feiern immer abwechselnd mit der Familie meines Mannes in Spanien, das Jahr darauf in Lettland. Heuer sind wir in meiner Heimat. Dann wird alles dekoriert, und ich koche und backe. Es ist Tradition, an Festtagen neun Gerichte auf den Tisch zu bringen. Wir bleiben tagelang zu Hause im Pyjama, ohne zu duschen. Dazwischen schleichen wir immer wieder in die Küche, um etwas zu essen, schauen viel fern, gehen spazieren oder mit Opa einen Schneemann bauen. Kein einziger Termin. Einfach mal völlig abschalten und regellos leben. Ein Traum!