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Ich bin ein "Sonnenbrillenjunkie", lacht Christl Clear, als sie ihre nudefarbene Cat-Eye-Brille aufsetzt. Christl, die eigentlich Christiana heißt, räumt gleich zu Beginn unseres Treffens ein, dass sie privat gerade eine schlechte Nachricht erhalten hat. Ein geplantes Projekt geht doch noch nicht auf. Sie müsse das kurz loswerden, bevor wir mit dem Interview starten.
So geradeheraus und ehrlich kennt man die 38-jährige Wienerin von Instagram: Dort erzählt Christl Clear gut gelaunt - und meistens top gestylt - von ihrem Alltag zwischen Terminen, Fotoshootings und sagt auch, wenn sie sich mit ihrem Mann Markus mal wieder unnötigerweise gezofft hat.
Ihre Offenheit kommt gut an: Mittlerweile folgen der ehemaligen Lifestyle-Redakteurin Tausende Menschen auf der sozialen Plattform. Wofür Christl von ihrer Community außerdem geschätzt wird, ist, dass sie auch zu ernsten und feministischen Themen eine Meinung hat. Ihre Gedanken hat die Bloggerin jetzt in ein Buch gepackt. In "Let me be Christl Clear" gibt die 38-Jährige auf unterhaltsame Weise Handlungsanleitungen für einen selbstbestimmten Umgang mit sich selbst und anderen - und lässt teilweise noch mehr Einblick in ihr Privatleben zu, wie sie im Gespräch mit WOMAN erzählt.
WOMAN: Gleich auf der ersten Seite Ihres Buches schreiben Sie, dass Sie Erwartungen hassen. Sind diese nicht unumgänglich, wenn man an Projekten arbeitet?
CLEAR: Ich habe schon Erwartungen an mich - aber eben wirklich nur an mich. Denn ich glaube, wenn wir nicht alle zu viel von Menschen und Situationen erwarten würden, auf die wir teilweise keinen Einfluss haben, würde es uns besser gehen. Dann wär alles ein bissl entspannter.
Haben Sie das Gefühl, dass speziell von Influencerinnen viel erwartet wird?
CLEAR: Ja, aber es ist nicht anders als im echten Leben auch - von Frauen wird mehr verlangt als von Männern. Wir können uns viel weniger Fehler erlauben. Bei männlichen Influencern heißt es "blöd gelaufen", bei Frauen sind die Nachrichten viel emotionaler und oft unter der Gürtellinie, wenn etwas Unangebrachtes gepostet wird.
Erst kürzlich wurde eine deutsche Influencerin kritisiert, weil sie unsensibel mit den Vorfällen in Afghanistan umgegangen ist. Sie wollte zwar Awareness für das Thema schaffen, hat es aber mit einer Werbung verbunden. Auf der anderen Seite gibt es jene, die sich politisch gar nicht äußern. Was ist besser?
CLEAR: Ich verstehe, dass es manche irritiert, wenn sich Menschen mit einer hohen Reichweite nicht zu politischen Vorfällen äußern. Ich bin deswegen auch schon jemandem entfolgt. Trotzdem ist es doch ihre Entscheidung, wie sie mit ihrer Plattform umgehen. Wir müssen immer bedenken, dass wir nicht wissen, was privat im Hintergrund passiert. Es ist oft sehr leicht, jemanden zu verurteilen.
Auch Sie sprechen nicht über alles auf Instagram, was Sie privat beschäftigt - Ihren Kinderwunsch thematisieren Sie nur im Buch.
CLEAR: Ja. Ich glaube, ich werde online nicht so offen darüber sprechen, weil diese Plattform dafür zu unberechenbar ist. Ich war mir auch lange nicht sicher, ob und wie ich es im Buch unterbringe, weil ich Frauen, denen es gleich geht wie mir, abholen möchte. Also dachte ich, warum nehme ich nicht einfach das, was ich mir an Gedanken in dieser Zeit notiert habe. Jetzt ist es eben sehr persönlich und nahbar.
Es ist das einzige Kapitel, in dem Sie die männliche Perspektive nicht betrachten. Dabei werden beim Thema Fruchtbarkeit Männer oft außen vor gelassen, und es wird zuerst mal von Frauen erwartet, dass sie sich durchchecken lassen.
CLEAR: Das stimmt, aber es ist ein sehr persönliches Thema, und ich wollte nichts aufgreifen, das nicht in meinen Notizen steht. Das sind meine Gedanken, als ich im Wartezimmer saß oder von der gefühlt 1000. Untersuchung nach Hause gekommen bin. Ich konnte das nicht aus einem männlichen Blickwinkel betrachten. Mein Mann Markus hat ja das alles ganz anders erlebt. Da geht es teilweise auch um eine Hilflosigkeit, weil sich nur wenige Männer mit dem Thema Fruchtbarkeit befassen, bevor sie müssen. Auf uns Frauen kann das wie eine riesige Last liegen.
Sie schreiben, dass sich Frauen generell zu sehr aufopfern. Wann wurde Ihnen das bewusst?
CLEAR: Es gab viele Gespräche mit meiner Schwester und meinen Freundinnen, in denen wir festgestellt haben, wie müde wir alle sind. Weil wir alles schupfen und es von uns erwartet wird, dass wir es als Frauen wieder richten. Und wir machen es ja auch! Viele opfern sich auf, weil sie so sozialisiert wurden. Es ist ein Wahnsinn!
Typisch ist auch, etwas aus reiner Höflichkeit zu machen. Die Situation, als Sie ein schlechtes Date ausgesessen haben, beschreibt das gut. Wie lernt man, in solchen Fällen einfach zu gehen?
CLEAR: Man muss sich fragen: Warum tue ich mir das an? Wofür? Zu sagen, nein, dafür bin ich mir zu schade, macht auch etwas mit dem Selbstwert - und darum geht es letztendlich. Neinsagen ist Übungssache! Irgendwann merkt man, dass eh nix passiert, wenn man geht, und dann macht man es öfter.
Sehen Sie Ihr Buch also auch als eine Anleitung zur Selbsthilfe?
CLEAR: Ich will mich nicht hinstellen und sagen, ich habe ein Buch geschrieben, das euch alle rausreißen wird. Wenn ihr etwas daraus mitnehmen könnt, schön! Wenn nicht, habt ihr wenigstens kurz gelesen und nicht in euer Handy geschaut. (lacht)