Sie ist stets top gestylt, aber nicht immer gut drauf – genau dafür lieben wir sie: Sylvie Grateau ist der eigentliche Star in "Emily in Paris". Wie es die Schauspielerin Philippine Leroy-Beaulieu geschafft hat, Lily Collins in den Schatten zu stellen, und was wir von der 61-Jährigen lernen können.
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"Wenn ich Ihre Meinung hören will, frage ich danach" – harsche Sätze wie dieser sind typisch für Sylvie Grateau. Die strenge Agenturchefin aus der Erfolgsserie "Emily in Paris" nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Très chic und très authentique beschreitet sie ihren Alltag zwischen Business und Party. Sylvie zeigt uns: Um erfolgreich zu sein, müssen Frauen endlich nicht mehr ständig ein Lächeln aufsetzen. Im Gegenteil. Ihre Unverfrorenheit ist eine erfrischende Abwechslung zur angepassten und immer fröhlich wirkenden Emily. Und ziemlich empowernd. Kein Wunder, dass die französische Schauspielerin mit ihrer Rolle zunehmend zum Publikumsliebling avanciert: Philippine Leroy-Beaulieu wird als neue Ikone für Frauen über 50 gefeiert. Dabei können sich auch jüngere Zuseher:innen etwas von ihr abschauen.
Neben ihrem außergewöhnlichen Stil – für ihre Garderobe ist die Pariser Kostümbildnerin Marylin Fitoussi verantwortlich – vor allem, dass es kein Widerspruch ist, für sich selbst und andere einzustehen und gleichzeitig big im Business zu sein. Spätestens als Sylvie in der vierten Staffel gegen ihren ehemaligen sexistischen Arbeitgeber aussagt, wird klar: So unempathisch sie auch manchmal wirkt, ihr Charakter ist weitaus vielschichtiger und sensibler, als er anfangs vermuten lässt. Nur: Wer ist die Frau, die Lily Collins in den Schatten stellt, in Wirklichkeit? Und wie viel Sylvie Grateau steckt in der Französin Philippine Leroy-Beaulieu?
Liest man sich durch Interviews mit der 61-Jährigen, bekommt man den Eindruck: Die beiden Charaktere haben tatsächlich so einiges gemeinsam. So sagte die Schauspielerin der britischen Zeitung The Times, sie sei keine Person, die Regeln befolge. "Frauen können dieser Tage machen, was sie wollen." Das spiegelt sich auch in der Serie wider: etwa darin, dass für die taffe Marketerin das Alter keine Rolle zu spielen scheint und sie in sich viele vermeintliche Gegensätze vereint. Probleme in ihrer offenen Ehe finden genauso statt wie spontane heiße Flirts oder knallharte Verhandlungsgespräche, gefolgt von schillernden Partynächten. Kurzum: Philippine verkörpert mit Sylvie eine Frau, die sich selbst keine Grenzen setzt und das Leben genießt.
So viel Selbstbestimmtheit und feministische Energie kommt in der patriarchalen Welt nicht überall gut an. Und so sagte Leroy-Beaulieu im selben Interview, manche Männer und Frauen hätten Angst vor ihr, seit sie auf Netflix die knallharte Agenturchefin verkörpere. Was die einen als Kritik verstehen könnten, ist wohl der beste Beweis dafür, wie authentisch sich die 61-Jährige in der Rolle gibt. Dass Produzent Darren Star diese ursprünglich mit einer jüngeren Schauspielerin besetzen wollte, gibt dem Macher von "Sex and the City" hoffentlich selbst zu denken.
Erinnerungen
Als Grund dafür, warum sie sich mit Sylvie so sehr identifizieren könne, nennt Leroy-Beaulieu ihr Aufwachsen inmitten der Film- und Fashion-Industrie. Ihr Vater, Philippe Leroy, war Schauspieler, ihre Mutter, Françoise Laurent, arbeitete als Model unter anderem für Christian Dior. Eine glamouröse Welt mit bitterem Beigeschmack. Denn während Männer das Sagen hatten, wurden Frauen vor allem objektifiziert. "Ich sah all diese eleganten, kreativen Frauen, die versuchten, die gläserne Decke zu durchbrechen", erinnert sie sich.
Und so musste auch Leroy-Beaulieu als junge Schauspielerin lernen, dass es in der Branche nicht unbedingt karrierefördernd ist, Grenzen aufzuzeigen: "Aber ich bevorzugte meine Freiheit." Wichtiger, als nach Hollywood zu gehen, sei es ihr ohnehin gewesen, Erfahrungen zu sammeln und zu reisen. Etwas, das auch Sylvie Emily ständig nahelegt: neben der Arbeit genug Zeit für Leben und Spaß einzuplanen. Heute sieht sich die 61-jährige Mimin als lebender Beweis dafür, dass es auch später im Leben noch gelingen kann, eine Karriere wiederaufzubauen. Und erinnert damit erneut an Sylvie, die sich ebenfalls von nichts und niemandem einschränken lassen würde.
Zwar bedient "Emily in Paris" viele französische Klischees, weswegen die Serie zu Beginn in Frankreich eher kritisiert als gefeiert wurde, einiges davon sei aber durchaus wahr, weiß Leroy-Beaulieu. Viel zu trinken, zu rauchen und Affären zu haben, etwa. Und dass die Französ:innen sehr unfreundlich und verschlossen sein können. So viel Kritik von einer Mademoiselle? Die in Rom geborene Schauspielerin fühlt sich mit ihrer Wahlheimat vielleicht auch deshalb nicht patriotisch verbunden, weil ihre Tochter, Taïs Bean, als Künstlerin in London lebt. Dass sie Mutter ist, unterscheidet die 61-Jährige übrigens dann doch von ihrem fiktiven Alter ego. Und noch etwas haben sie nicht gemeinsam: Anders als Sylvie Grateau ist Philippine Leroy-Beaulieu nicht verheiratet oder liiert – und hat auf Dates derzeit keine Lust. "Sylvie ist nur ein Teil von mir", unterstreicht sie im Gespräch mit The Times. Was für eine Bereicherung, dass wir diesen kennenlernen durften.