
Drei Dinge sind Ari Martínez bei ihren Gerichten wichtig: „Feine Schärfe, wunderbare Frische und spannende Konsistenzen.“
©Susanne EinzenbergerSusanne Jelinek, Chefredakteurin des Food-Magazins GUSTO, trifft für Woman kulinarische Persönlichkeiten zum Genuss-Talk. Dieses Mal: Küchenchefin Ari Martínez, die mit ihrem Restaurant Aris Cantina faszinierende mexikanische Aromen in eine kleine niederösterreichische Gemeinde bringt.
Oberflächlich betrachtet könnte man meinen, der Zusatz „Fusion“ in der Selbstbeschreibung des Aris Cantina beziehe sich rein auf die kulinarische Vereinigung von Mexiko und Österreich. Das Absdorfer Restaurant ist jedoch ein Ort, an dem das Zusammenspiel von Gegensätzen in vielen Bereichen Sinn und Freude macht. Etwa gehobene Küche und Freibadkantine unter einem Dach. Fine Dining, bei dem auch ein (hervorragender) Burger Platz hat.
Elegantes Ambiente mit bewusst entspannter, persönlicher Atmosphäre. Hinter diesem Mix stehen Ari Martínez und ihr Mann Johannes Mantler, die Aris Cantina zusammen mit Schwägerin und Küchenpartnerin Doris Sochurek (sowie Schwiegermama Brigitte Mantler im Service) führen. Die Geschichte des Paars ist dabei eine, wie sie sonst nur Filme schreiben – vom Kennenlernen während Martínez’ Doktoratsstudium in Wien über die gemeinsame Zeit in Mexiko nach einem schweren Schicksalsschlag bis schließlich zum Wagnis, in einer niederösterreichischen Gemeinde ein für die Gegend ungewöhnliches Restaurant zu eröffnen.


Fine Dining, aber bitte nicht steif – so der Anspruch im Aris Cantina.
© Susanne EinzenbergerEs ist beeindruckend, wie mühelos Sie auf den ersten Blick Gegensätzliches im Aris Cantina vereinen. Wie kam es dazu?
Das hat sich ganz natürlich entwickelt und spiegelt wider, wer wir sind. Wir haben als Familie beschlossen, die Freibadkantine zu übernehmen, wollten aber mehr daraus machen: Fine Dining, das nicht steif oder einschüchternd ist. Wir wollten einen Ort schaffen, an dem sich jeder wohlfühlt. Unser Burger, ein Relikt aus der Pandemiezeit, ermög- licht etwa genau das – dass man auch in einer Runde hier essen kann, in der nicht jeder etwas mit Fine Dining anfangen kann. Unsere Küche ist eine spannende Fusion, das hat man hier so nicht gekannt – und das war natürlich ein Risiko. Anfangs war es hart, wir hatten auch Tage, an denen niemand gekommen ist. Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei.
Aris Cantina ist Ihre Leidenschaft. Ist die Freibadkantine eher Pflicht?
Was wir für die Badegäste kochen, ist anders und bodenständiger, aber es ist auch nicht altbekanntes Freibadessen. Es gibt etwa Specials wie Aris Hot Dog mit Jalapenos und Chipotle-Mayo. Die Kantine ist harte Arbeit, aber sie gibt uns Sicherheit. Wenn wir einen guten Sommer mit vielen Gästen haben, dann nimmt das Druck aus dem restlichen Jahr heraus. Was schön ist: Im Sommer machen mittlerweile viele Gäste einen Tagesausflug zu uns. Zuerst gehen sie ins Bad, essen in der Kantine zu Mittag, abends werfen sie etwas Nettes über und kommen ins Restaurant.


Die Langos mit wechselnden Toppings zählen zu den Favoriten der Gäste
© Susanne EinzenbergerMexikos Küche wird oft falsch gesehen. Viele denken dabei nur an Burritos, Quesadillas, Nachos. Was macht sie wirklich aus?
Natürlich gibt es Tex-Mex-Elemente, aber eigentlich stehen Farben, Frische, Aromen und eine für viele überraschende Feinheit im Mittelpunkt. Wir verwenden bunte, abwechslungsreiche Zutaten, Zitrusfrüchte, Koriander, unterschiedlichste Arten von Chilis. Schärfe kann markant oder fruchtig sein, das sind großartige Nuancen, mit denen wir spielen. Generell habe ich den Eindruck, dass sich das Bild der mexikanischen Küche wandelt. Dazu tragen Ausnahmeköche wie Enrique Olvera oder Daniela Soto-Innes, die als beste Köchin der Welt ausgezeichnet wurde, viel bei. Sie sind eine große Inspiration.
Sie sind Autodidaktin, haben ursprünglich internationale Wirtschaft studiert. Wo- her kommt Ihre Begeisterung fürs Kochen?
Mein Vater war Universitätsprofessor und hatte eine große Leidenschaft für Reisen, Restaurants und das Entdecken von Rezepten. All das hat er mir weiter- gegeben. An den Wochenenden haben wir zu Hause immer gemeinsam für viele Menschen gekocht, nicht nur für Verwandte, sondern auch für viele seiner Studenten. Ich habe das geliebt. Von außen habe ich stets sehr viel Anerkennung und Zuspruch für mein Essen bekommen, aber als ich angefangen habe, professionell zu kochen, habe ich mir schwergetan, mir zu vertrauen. Diesbezüglich auf mich stolz zu sein, musste ich erst lernen.


Achteinhalb Jahre gibt es Aris Cantina bereits. Dass es sich bisher den Status als Geheimtipp bewahrt hat, ist für GUSTO-Chefredakteurin Susanne Jelinek im Gespräch mit Ari Martínez ein kleines Wunder.
© Susanne EinzenbergerIst es herausfordernd, so eng mit der Familie zusammenzuarbeiten?
Wir sind Familienmenschen und auch außerhalb der Arbeit die ganze Zeit zusammen, sogar im Urlaub. Unstimmigkeiten gibt es selten, und wenn, dann klären wir es gleich in der Arbeit. Wie gut Johannes und ich funktionieren und wie sehr wir uns aufeinander verlassen können, hatte sich schon in dem einen Jahr gezeigt, in dem wir in Mexiko ein Catering betrieben haben. Wir waren zuvor etwa ein halbes Jahr zusammen, dann ist mein Vater schwer erkrankt. Ich flog heim und konnte ihn noch ein- mal sehen, bevor er gestorben ist. „Meine Familie braucht mich jetzt, ich bleibe“, habe ich Johannes gesagt. Und er hat einfach sein Auto verkauft, seinen Job gekündigt und ist in kürzester Zeit in Mexiko an meiner Seite gewesen. Das Catering war unsere gemeinsame Idee – da hat übrigens schon die kulinarische Fusion unserer Welten begonnen: Seine Mama Brigitte hatte mir Ausstecher und ein Buch mit Weihnachtskeksen geschenkt. Die Mexikaner haben unsere Kekse geliebt, wir hatten so viele Aufträge – Johannes und ich sind tagein, tagaus in der Küche gestanden und haben gebacken, weil sie so gut angekommen sind. Im Nachhinein betrachtet, war das eigentlich der Startschuss für Aris Cantina.
Was denken Sie, würde Ihr Vater als der Mensch, der Ihnen die Liebe für Kulinarik vermittelt hat, über Aris Cantina sagen?
Als mein Vater krank und ich in Wien war, habe ich ihm immer ganz genau erzählt, wo wir essen waren und was wir bestellt haben. Das war für ihn so, als wäre er selbst dabei. Es hat ihn glücklich gemacht, dass ich all das erlebe. Er hat mir immer gesagt, dass ich mit meiner Art zu kochen ins Ausland gehen und dort zeigen solle, was ich kann. Ich denke, das war sein Traum für mich. Ich bin mir ganz sicher, dass er auf Aris Cantina und das, was wir tun, sehr stolz wäre. In Mexiko glauben wir daran, dass die Menschen, die wir geliebt haben, auch nach ihrem Tod immer bei uns sind. Die Essenz meines Vaters lebt in allen Menschen, denen er begegnet ist, weiter. Und oft, wenn ich etwas koche, das ihm besonders gut geschmeckt hätte, spüre ich, dass er bei mir ist.


Eine halbe Stunde von Wien entfernt und in Gehnähe des Bahnhofs Absdorf: Aris Cantina lockt mit mexikanisch-österreichischer Fusionküche und einer einzigartigen Auswahl an Tequila und Mezcal. ariscantina.com
© Susanne Einzenberger