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"Das Ich ist ein Luder": Mein erstes Achtsamkeits-Retreat

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Meditieren und Schweigen in Griechenland

Manchmal knallen zwei Welten aufeinander: Ich führe Small Talk und nippe Champagner im Palais Ferstel bei der diesjährigen Duftstars-Gala, trage High Heels und ein figurbetontes, schulterfreies Abendkleid. Wie Cinderella husche ich vor Mitternacht über die Fest-Stiegen nach Hause.

Drei Stunden später sitze ich im Taxi Richtung Flughafen und ziehe mir die Kapuze meines grauen Hoodies ins müde Gesicht. Mein Ziel: Peli Kastri – ein kleiner Ort in der mystischen Region des Südpelions. Ein abgeschiedener Strand, eine Taverne, ein Guesthouse, etwa 20 Bootsminuten von der Urlaubsinsel Skiathos entfernt.

Kein Alkohol, kein Fleisch, keine Gespräche

Schon bei der Ankunft spüre ich eine tiefe Verbundenheit, die ich mir nicht genau erklären kann. Am nächsten Morgen beginnt unser Kurs, in dem wir in das „Das Geheimnis der Achtsamkeit“ eingeweiht werden sollen: Ich habe gut gefrühstückt und stapfe über den staubigen Boden inmitten Jahrhunderte alter Olivenbäume zur Yoga-Plattform hinauf, wo Meditationslehrer Peter Riedl schon auf uns wartet. Es ist heiß, windig und ich höre die Grillen quasseln. "Die dürfen das!", denke ich ein wenig neidisch. Wir sollen schweigen, auch bei den Mahlzeiten. Außerdem: Kein Alkohol, kein Fleisch, kein Social Media, kein Sex.

Ich bin gespannt, was uns erwartet. Es ist alles sehr einfach und gleichzeitig wunderschön hier. Neun bordeauxfarbene Meditationskissen liegen kreisförmig auf dem geölten Holzboden verteilt. Peter hat frische Blumen mitgebracht und stellt sie in eine große Vase, die neben einer Buddha-Figur steht. Man kann von unserer Yoga-Plattform aus das Meer sehen. Heute morgen hat es wie wild getobt; die Wellen waren fast zu hoch zum Schwimmen. Genauso aufgewühlt fühle ich mich. Die letzten Wochen waren von allem zu viel: zu viel Arbeit, zu viel Instagram, zu viele Verpflichtungen – darunter auch durchaus schöne, wie etwa die Maturafeier meiner Tochter.

Wie die Beatles in Rishikesh

Ich schließe meine Augen. Ein wenig Meditationserfahrung habe ich, 45 Minuten lang bin ich aber noch nie gesessen. Mein unterer Rücken beginnt zu schmerzen, mein Magen grummelt. "Wir erschaffen unsere Leiden selbst", erklärt Peter Riedl.  Ziel des Kurses ist es, bewusster leben zu lernen. Das ist alles andere als leicht. "Das Ich ist ein Luder", schmunzelt Peter, schelmisch wie ein Bub. Er ist 81. Und meint damit, dass die Gründe für unsere Unzufriedenheit fast immer im Ich begründet sind. Buddhistisches Geistestraining sei ein Weg, die eigene Egozentrik zu überwinden. Also üben wir.

Am nächsten Morgen legt sich der Wind; das Meer hat sich beruhigt. Ich sehe klarer, höre besser und fühle deutlicher – auch wo meine Grenzen sind. Wir meditieren wieder, diesmal noch länger. Mir huscht ein Lächeln übers Gesicht: Die Szene erinnert mich an Fotos der Beatles in Indien, wie sie, im Februar 1968 gemeinsam mit ihren Frauen, fast andächtig an den Lippen des Guru Maharishi hängen, um von ihm die Transzendentale Meditation zu erlernen. Peter Riedl ist aber kein Guru, er möchte auch keiner sein. Er übersetzt die alten buddhistischen Weisheiten in den modernen Alltag. Und das klingt dann zum Beispiel so: Was muss ich heute ändern, um morgen nicht den Fehler von gestern zu machen?

Schweigen fällt schwer, tut aber gut

Wenn wir nicht gerade lernen, lassen wir uns von Julia verwöhnen. Sie ist die Tavernen-Chefin und kocht wunderbar. Gefüllte Melanzani, Tsatziki, Tarama, Bougatsa: "It's für people who love the simple life", lacht sie. Wir schaffen es nicht immer, uns an das Schweigegebot zu halten. Zu sehr interessieren uns die Lebensgeschichten der anderen.

Andererseits ist das Schweigen auch entlastend. Höflichkeits-Floskeln, der ständige Drang, alles kommentieren, bewerten oder beschreiben zu müssen – das fällt auf einmal weg. Im Still-Werden liegt enorme Kraft und man wechselt fast automatisch in einen Zustand bewusster Gegenwärtigkeit. Immer öfter gelingt es mir, Gedanken und Gefühle als solche zu identifizieren. Das ganze Leben ist plötzlich Meditation.

Natürlich vergeht die Woche zu schnell. Wehmütig spaziere ich nach dem letzten gemeinsamen Abendessen noch einmal den Strand entlang, barfuß. Ich fühle den feuchten Sand, die glatten Steine und die spitzen. Der volle Mond wacht über dem Meer, darüber ein Schleier in Pfirsich-Rosé, hinter dem die Umrisse der Nachbarinsel Euböa zu erkennen sind. Was wird mich zu Hause erwarten?

"Alle Probleme zu lösen, ist unmöglich. Aber es sollte aufwärts gehen", hat Peter in unserer letzten Kurseinheit gesagt. Das ist ein schönes Schlusswort, finde ich. Und zugleich ein guter Anfang.

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