Eine Unterhaltung in 5 Gängen
Es soll Menschen geben, die ihre Freunde nicht mehr einladen wollen, weil sich die Menü-Zusammenstellung als zu kompliziert erweist: die einen essen kein Fleisch, die anderen keine Knödel, die nächsten nur vegan (und nicht einmal Karotten, die mit einem Pferdefuhrwerk geliefert wurden) und wieder andere trinken nach 16 Uhr ausschließlich Wasser oder Kräutertee.
Ich habe da großes Glück. Meine Freunde essen alles, Hauptsache viel.
1. Die Vorspeise: War die Musik früher besser?
Wir sind zu acht. Der Beste kümmert sich um die Aperitif-Wünsche und schenkt Gin Tonic, Gelben Muskateller aus der Südsteiermark und diverse Bier-Sorten ein (drei Damen, fünf Männer). Es gibt viel zu besprechen, wir haben uns länger nicht gesehen. Ich serviere die Vorspeise, die ich mich nicht trauen würde, auf Social Media zu posten: Avocadohälften mit Shrimps in Petersilien-Chili-Dressing. Weder Avocados noch Shrimps gelten als ethisch korrekt, aber das Rezept ist einfach so gut – es ist von der besten Freundin meiner Mutter, einer geborenen Französin, die ein Faible für einfache, aber raffinierte Speisen hat (und ein moralisch einwandfreier, ja sogar besonders liebenswerter Mensch ist, ich sage das nur sicherheitshalber dazu).
Keine Frage, unser Leben ist komplexer und oft auch schwieriger geworden. „Die Musik war früher auch besser“, sagt Freund G. und löffelt seine Avocado aus. Erst unlängst habe er sich wieder den Queen-Film „Bohemian Rhaposidy“ (2018) angesehen, so toll gemacht, und der Auftritt der Band bei „Live Aid“ im Sommer 1985 sei der beste Live-Act einer Band überhaupt gewesen – während U2 schon immer total überschätzt wurden. Niemand widerspricht.
Unglaublich, meint Freund G., er habe das „Live Aid“-Konzert damals tatsächlich noch in Schwarz-Weiß gesehen. Jetzt widersprechen alle. Blödsinn! Wir haben doch schon seit den frühen 70-er Jahren Farbfernsehen! In seinem Zimmer, darauf beharrt G., hatte er Mitte der Achtziger nur ein winziges Schwarz-Weiß-Fernsehgerät. Möglicherweise musste er auch bei Kerzenschein lesen und in die Schule reiten und vielleicht war früher doch nicht alles besser.
2. Die Suppe: Urlauben wir noch einmal gemeinsam?
Meine Selleriecremesuppe ist moralisch einwandfrei und voll bio – alles frisch vom Markt. Nur den Koriander drauf mögen nicht alle, was sich auch in der nächsten Unterhaltung abzuzeichnen beginnt: unsere Geschmäcker sind verschieden. Freundin G. (gleicher Buchstabe, sorry!) will im Sommer ans Meer, am liebsten nach Korsika und am allerliebsten noch einmal mit uns. Wir haben zehn Jahre lang fast immer den Sommerurlaub gemeinsam verbracht. Wir waren wie Familie. Aber leider können wir uns nicht einigen; zu unterschiedlich sind unsere Bedürfnisse (und die unserer Kinder) geworden.
Freund F. erzählt nach seinem dritten Bier von seiner Fastenwoche im Kloster. Dort habe es nur Wasser, Tee und klare Suppen gegeben. Man dürfe das aber nicht mehr „Heilfasten“ nennen, sondern es heißt jetzt „Fasten für Gesunde.“ Diesmal (er hat das schon öfter gemacht) sei die Gruppe besonders harmonisch gewesen und das Beste daran sei, dass man im Zuge dieser Woche erkennt, wie wenig man tatsächlich braucht, um zufrieden zu sein. Und das führt uns direkt zur Hauptspeise und zu nächsten Frage.
3. Die Hauptspeise: Macht Konsum glücklich?
Freund G., der meist die spannenden Themen anreißt, meint, er brauche überhaupt keine Urlaube mehr. Es genüge ihm, daheim an seinem Pool zu sitzen. Überhaupt sei es ja so, dass wir alle längst geschnallt hätten: echtes Glück könne man sich nicht erkaufen.
Da müssen wir ein bisschen lachen. Warum er dann im Sommer mit seiner Familie in einem sauteuren Luxusclub war? Na ja, meint G.: er wolle es im Urlaub halt wenigstens nicht schlechter haben als daheim.
Großes Lob für das Ragout mit Pappardelle, für das der Beste extra Rindfleisch aus der Keule beim Fleischer seines Vertrauens erstanden hat. Freund W., der bis jetzt nachdenklich geschwiegen hat (und dies meist tut), schweigt immer noch. Freund S. füllt die nächste Flasche Rotwein in den Dekanter und klärt uns über den Unterschied zwischen Dekanter und Karaffe auf. Aber zum Glück brauchen wir ja das alles nicht.
4. Das Dessert: Was steht auf der Bucket-List?
Beim Tiramisu landen wir wieder einmal beim Thema: Was wollen wir in diesem Leben unbedingt noch machen? Noch einmal nach Afrika, sagt Freundin G. Und Freundin F. meint, sie möchte eigentlich nicht bis zur Pension Lehrerin bleiben. Vielleicht eröffnet sie ein Café. Oder baut ein Haus am Land. Oder kauft sich einen Hund. Freund F. könnte sich vorstellen, seinen hoch dotierten Job in der Schweiz hinzuschmeißen und ein Start-up zu gründen. Freund W. scheint mit seinem Leben sehr zufrieden und schweigt.
Freund S. ärgert sich: Ihr und eure Pläne! Er nehme sich gar nichts vor, außer vielleicht etwas mehr Zeit mit seinen Lieben zu verbringen. Für seine alte Mutter da sein, zum Beispiel. Das ist mein Stichwort für eines meines liebsten Lennon-Zitate: „Life is what happens to you while you are busy making other plans.“ Und Freund S. googelt gleich mal; er kann nicht glauben, dass diese weisen Worte tatsächlich von John Lennon stammen: „Der ist ab jetzt mein Guru.“ Na bitte.
5. Käse, Brezen, Lebkuchen: Technischer Fortschritt und der Bergdoktor?
Wir sind satt. Jetzt kommt die Käseplatte auf den Tisch und ein neues Thema: Wird uns der rasante Fortschritt der Technik im Alter Probleme machen? Freund G. ist überzeugt davon: „Wir werden viel früher da sein, wo unsere Eltern jetzt schon sind.“ Immer mehr vormals analoge Produkte werden digitalisiert – bis hin zur Speisekarte im Restaurant, die nur mehr via QR-Code abrufbar ist. Damit sei die ältere Generation komplett überfordert. Das Problem sei, sagt Freund W., der meist lieber denkt als spricht, dass dadurch die Ausgrenzung der Älteren gefördert wird. Es wird schwerer für sie, an der Gesellschaft teilzunehmen. Andererseits ergeben sich durch den technischen Fortschritt auch neue Möglichkeiten für ältere Menschen – wie etwa Smart-Watches mit Notruf-Funktion. Wir erörtern weitere Chancen bis hin zum Einsatz humanoider Roboter in der Altenpflege und essen Weintrauben zum Käse. Resveratrol soll die Gefäße länger jung halten.
Wir entkorken noch eine Flasche Rotwein. Es ist weit nach Mitternacht und es gibt noch ein paar trockene Salzbrezen und Lebkuchen vom Diskonter. Selbst hier greifen die Gäste beherzt zu und ich liebe sie dafür. Freund S. erzählt von einer peinlich-lustigen Begebenheit und zur Überraschung aller outet sich Freundin G. plötzlich als „Bergdoktor“-Fan.
Ich glaube, du musst deine Freunde nur lange genug bewirten, dann kitzelst du wirklich alles aus ihnen raus.
Kristin Pelzl-Scheruga ist Chefredakteurin von Lust aufs LEBEN