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Mein Weg aus der Magersucht

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8 min
Birte Jensen wurde 1996 geboren. Heute studiert sie Soziale Arbeit.
Birte Jensen wurde 1996 geboren. Heute studiert sie Soziale Arbeit.© Schwarzkopf & Schwarzkopf/ Anne Kurras©Schwarzkopf & Schwarzkopf/ Anne Kurras
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Für die 16-jährige Birte Jensen beginnt alles mit einer vermeintlich harmlosen Diät, die bald in einer Magersucht endet. In ihren Gedanken geht es nur noch darum, wie man Kalorien einspart und verbraucht. Als ihr Körpergewicht lebensbedrohlich niedrig ist, beginnt sie mit der Hilfe von Familie und Freunden eine Therapie. Im Interview erzählt sie, was ihr am Weg aus der Krankheit geholfen hat.

Wie geht es Ihnen heute?
Birte Jensen: Gut! Die Probleme, die ich hatte, sind heute kein Thema mehr. Das Kalorienzählen und der übermäßige Sport haben mit meinem Alltag heute nichts mehr zu tun. Meine Eltern haben zwar immer noch ein wachsameres Auge auf mich. Ich lebe gesund beziehungsweise die gesunden und die ungesunden Phasen gleichen sich aus, wie bei anderen Menschen auch.

Wann war für Sie rückblickend der Zeitpunkt als Sie selbst gemerkt haben, dass das keine Diät mehr ist?
Als ich bei 51,9 Kilo angekommen bin. Ich dachte damals „Jetzt bin ich zufrieden und könnte aufhören“, aber dann habe ich gemerkt, dass das gar nicht geht.

Wann haben Ihre Eltern das gemerkt?
Meine Eltern haben das viel früher bemerkt als ich. Als ich 52 Kilo gewogen habe und meine Mutter den Arzt anrief, war ich total wütend und habe nicht verstehen können, warum sie sich Sorgen macht.

Ihre Mutter hat irgendwann die Initiative ergriffen und sie zum Therapeuten gebracht. Was hat Ihnen in dieser Zeit am meisten geholfen aus der Magersucht wieder herauszukommen?
Ich glaube, das war der Rückhalt von Freunden und Familie. Ohne Therapeut hätte ich es aber nicht geschafft.

Was haben Sie mit diesem besprochen?
Wir haben viel darüber geredet, warum ich das betreibe und wie man den gleichen Effekt mit gesunden Methoden erzielen kann, also ohne zu hungern. Mit seinen Fragen hat er mir Raum gegeben, selbst eine Lösung zu finden.

Haben Sie gleich von Anfang an eine gute Beziehung zu Ihrem Therapeuten gehabt?
Anfangs war ich der Therapie gegenüber skeptisch, weil ich mir nicht sicher war, ob ich einem Fremden vertrauen kann. Aber man hat ja fünf Stunden Zeit, um sich das zu überlegen. Bei meinem Therapeuten hatte ich gleich das Gefühl, mit ihm auf einer Wellenlänge zu sein.

Sie haben es ohne Klinikaufenthalt geschafft, wieder zu einem normalen Essverhalten zurück zu kehren, obwohl sie kurz vor der Einweisung in eine solche waren – ist Ihnen das schwer gefallen?
Für mich war das gut, aber ich glaube für meine Familie war das schon eine Mehrbelastung. Von denen wäre schon eine Last weggefallen, wenn ich stationär behandelt worden wäre.

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Birte Jensen während der Magersucht © Privat

Sie haben in der ersten Phase der Genesung noch viel Essen wegschüttet oder weggeworfen ...
Das war nur am Anfang, weil ich gar nicht essen konnte. Mir war klar, ich muss essen, aber ich konnte nicht. Irgendwann hat es Klick gemacht und dann hat es geklappt. Manche Dinge konnte ich aber lange nicht essen – ich fand Butter, Nudeln, Marmelade, Nutella etc. ganz schrecklich.

Und heute?
Heute esse ich alles. Ich habe dann wieder mit kleinen Portionsschälchen angefangen, weil ich Mengen gar nicht mehr abschätzen konnte.

Wie viel Sport machen Sie heute?
Ich gehe zwei- bis dreimal in der Woche bis zu einer Stunde laufen. Viel mehr mache ich nicht.

War das schwer von diesem hohen Level – sie waren täglich stundenlang Radfahren – wieder runterzukommen?
Anfangs war ich etwas unruhig, weil ich mich nicht mehr so viel bewegt habe, aber dann hatte ich schnell wieder viel um die Ohren und hatte gar keine Zeit mehr dafür. Mein Fokus liegt heute auf ganz anderen Dingen. Ich höre viel mehr auf meinen Körper, ich weiß genau, wann ich Hunger habe und wann nicht und dann esse ich auch oder wenn ich keinen Hunger habe, dann eben nicht.

Hatten Sie Kontakt mit anderen Betroffenen?
Gar nicht. Nur mit einem Mädchen aus der Schule, das früher selbst betroffen war und das mich dann irgendwann angesprochen hat, weil sie gemerkt hatte, dass ich so extrem abgenommen habe. Mit ihr habe ich mich ausgetauscht. Mehr war es aber nicht, trotzdem tat es mir gut, weil ich wusste, dass sie es geschafft hat, gesund zu werden.
Ich weiß gar nicht, ob Kontakte zu anderen, gerade selbst akut Betroffenen, in jedem Fall hilfreich sind.
Ich glaube das muss jeder für sich selbst entscheiden, ob so etwas "triggernd" auf einen wirkt, bzw. in eine Art Konkurrenzdenken umschlägt, oder ob man sich gegenseitig unterstützend zur Seite stehen kann.

Haben Sie sich zu dem Thema auch im Internet Hilfe gesucht?
Nein, im Internet habe ich während der Erkrankung nur geschaut, was ich essen durfte.

Was würden Sie anderen jungen Mädchen raten, die vielleicht auch eine zu starke Diät machen?
Ich finde, man sollte sehr auf seine Haltung achten und sich nicht so sehr auf das konzentrieren, was man nicht hat, sondern auf das, was man hat oder kann. Probleme nehmen im Leben oft viel zu viel Raum ein.

Und wenn jemand schon wirklich Essprobleme hat?
Wenn man merkt „Mit mir stimmt etwas nicht“, dann sollte man sich trauen, etwas zu sagen. Dann sollte man sich unbedingt einen Vertrauten suchen. Entweder einen Arzt, Therapeuten oder jemanden im persönlichen Umkreis. Wie man das dann letztendlich schafft, ist individuell, dazu kann ich dann kein Rezept geben.

Und was raten Sie Freunden und Familie von Betroffenen?
Dass sie den Betroffenen bei 4-Augengesprächen zuhören und viel fragen, aber nicht werten oder vermeintlich kluge Ratschläge von sich geben. Mir hat das viel geholfen, dass ich mir alles von der Seele reden konnte und die anderen haben einfach nur versucht, mich zu verstehen. Da kam nie „Mach das so oder so“. Die Menschen in meiner Umgebung sind mir immer auf Augenhöhe begegnet und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Wie geht es Ihrer Familie heute?
Meine Eltern sind sicher noch ein bisschen in Alarmbereitschaft. Aber ich denke, dass ist in diesem Fall normal. Wir nehmen aber wie jede andere Familie ein gemeinsames Abendessen ein, das ist nicht anders als bei anderen Familien auch.

Sie lassen sich gerade zur Lebens- und Sozialberaterin ausbilden. Hat Ihr Erlebnis etwas zu Ihrer Berufswahl beigetragen?
Bestimmt. Ich habe so gemerkt, dass ich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten will. Somit habe ich auch etwas Positives daraus mitgenommen. Ich freue mich darauf, direkt mit den Menschen zu arbeiten und etwas bewirken und verändern zu können.

Buchtipp:
Extra Small von Birte Jensen, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, um € 10,30.

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Cover Das Leben ist nicht Extra Small © Schwarzkopf&Schwarzkopf/ Anne Kurras
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