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Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) wird in Asien seit mehreren Jahrtausenden praktiziert. Krankheiten werden dabei im Gegensatz zur westlichen Medizin nach einem ganzheitlichen Prinzip diagnostiziert und therapiert.
- Kurzüberblick: Was ist TCM?
- Was steckt hinter der TCM und woher kommt sie?
- Auf welchen Grundlagen baut die traditionelle chinesische Medizin auf?
- Was sind die fünf Säulen der Traditionellen Chinesischen Medizin?
- Was wird bei TCM gemacht?
- Welche Einsatzbereiche gibt es? Was kann man mit TCM behandeln? Eignet sich TCM bei chronischen Beschwerden?
- Welche Vor- und Nachteile bietet TCM?
- Gibt es wissenschaftliche Belege zur TCM?
- Welche Richtlinien gelten für die Zulassung von TCM-Praktizierenden in Österreich?
- Mit welchen Kosten ist zu rechnen?
- Inhaltsstoffe & Qualität von Arzneimitteln der TCM
- Welche Nebenwirkungen kann TCM haben?
- Steckbrief der Expertin Brigitte Elisabeth Scheffold
Kurzüberblick: Was ist TCM?
TCM
Traditionelle Chinesische Medizin ist ein ganzheitliches Heilsystem mit Ursprung in China. Die Behandlungsformen der traditionellen chinesischen Medizin basieren dabei auf 5 Säulen.
Die recht bekannte Akupunktur ist nur ein kleiner Teil der TCM. Wichtig sind zudem Ernährung und Bewegung im mehrere tausend Jahre alten Therapiekonzept. Welche Behandlungen dabei kombiniert werden, richtet sich nach dem jeweiligen Krankheitsbild.
Laut dem globalen Report der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über traditionelle und komplementäre Medizin (2019) erkennen 88 % der WHO-Mitgliedstaaten die Anwendung von traditioneller und komplementärer Medizin in der Gesundheitsversorgung in ihren jeweiligen Ländern an. Die traditionelle Medizin (TM) hat eine lange Geschichte im Einsatz der Erhaltung von Gesundheit, der Prävention und Behandlung von Krankheiten.
TCM ist darunter eine der weltweit am häufigsten eingesetzten Gesundheitsressourcen: Laut einer Erhebung der (WHO) ist Akupunktur die weltweit beliebteste Form der traditionellen und komplementären Medizin. Sie ist anerkannt von 113 Mitgliedstaaten der WHO.
Die Anwendung anderer Aspekte der traditionellen chinesischen Medizin wird von 100 Mitgliedstaaten anerkannt. Daher arbeitet die WHO gemeinsam mit Experten aus diesem Bereich an einer internationalen Standardterminologie für die traditionelle chinesische Medizin.
Die Kosten der komplementärmedizinischen Behandlung werden in Österreich von den Krankenversicherungsträgern im Regelfall nicht übernommen. Es kann bei chefärtzlicher Bewilligung, aber zu Ausnahmen kommen.
Was steckt hinter TCM? Woman.at hat bei Expertin Frau Dr. med. univ. Brigitte Scheffold nachgefragt!
Was steckt hinter der TCM und woher kommt sie?
Dr. med. univ. Brigitte Scheffold: Der Name verrät es (lacht). Die erste Dokumentation beginnt in China ungefähr 1100 vor Christus, als begonnen wurde Pathogene (Krankheitseinflüsse, die sich schlecht auf den Körper auswirken) in eine Systematik einzuteilen, die noch heute verwendet wird: Wind, Feuchtigkeit, Trockenheit, Kälte, Hitze.
Ungefähr 100 v.Chr. wurde das "Werk des Gelben Kaisers" verfasst, welches fundiert die Meridiane und Organe beschreibt. Daher kommt der oft zitierte Spruch, die TCM ist über 2000 Jahre alt.
Zirka 100 n.Chr. ist das erste Werk der chinesischen Pharmazie herausgekommen - ein Kräutersammelwerk von Shen Nong Ben Cao Jing. Um 200 n.Chr. entstand das erste Allgemeinmedizinische/internistische Werk. Darin werden Krankheitsverläufe und zugeordnete Arzneirezepturen genau beschrieben. Es entstand in einer Zeit der Pandemie, wie wir sie jetzt gerade selbst mit Corona hatten. Das war ein wichtiger Meilenstein.
Unter Mao wurde die TCM zwischenzeitlich verboten und die Wissenschaft verlegte sich teilweise nach Hongkong, Malaysien und größtenteils nach Taiwan, dort lebt die TCM in ihrem traditionellen und auch in einem sehr guten Standard weiter. Später wurde die TCM unter Mao wieder erlaubt und vereinfacht. So entstand dann das vereinfachte System der 5 Elemente. Dieses wurde dann von Amerika ausgehend auch im Westen der Welt verbreitet.
Auf welchen Grundlagen baut die traditionelle chinesische Medizin auf?
Dr. med. univ. Brigitte Scheffold: In der chinesischen Medizin wird basierend auf Organsystemen und zugehörigen Meridianen therapiert.
Die Organe und Meridiane werden in der TCM paarweise zueinander in Bezug gestellt. Beispiele sind Paaren wie Magen und Pankreas, die beide für die Verdauung zuständig sind oder Blase und Niere. Dabei wird jeweils ein Organ Yin und das andere Yang zugeordnet.
Yang-Organe sind Hohlorgane- oder Ausscheidungsorgane, die mit Nahrung, Urin und Abfallstoffen zu tun haben. Diese sind Harn- und Gallenblase, Magen, Dünn- und Dickdarm. Die Yin-Organe sind volle Organe, welche Stoffe im Körper umformen, regulieren oder verteilen (Nieren, Leber, Herz, Pankreas und Lungen).
Den Organen sind Meridiane zugeordnet: Sie stellen die Verbindung zwischen Körperinnerem und Äußerem dar und verbinden aber auch die Organsysteme miteinander. Einfach zu verstehen ist der Verlauf des Herzmeridians, der genau dort liegt, wo auch der Schmerz beim Herzinfarkt ausstrahlt.
Meridiane laufen dort, wo Faszienzüge verlaufen, wo neurologische Dermatome/Nervenversorgungsgebiete liegen oder wo Schmerzzonen ausstrahlen (referred pain). Darauf liegende Akupunkturpunkte können Triggerpunkten oder Austrittspunkten von Nerven/Arterienbündeln an Muskeln und Fasziengruppen ähneln.
Was sind die fünf Säulen der Traditionellen Chinesischen Medizin?
Chinesische Arzneimittellehre
Akupunktur (mit Schröpfen, Moxibustion)
Tuina/Shiatsu (Manualtherapie)
TaiJi/QiGong
Ernährungslehre
Was wird bei TCM gemacht?
Dr. med. univ. Brigitte Scheffold: Zuerst erfolgt in einer ausführlichen Anamnese und Untersuchung inklusive Pulsdiagnostik die Beurteilung der Körperkonstitution. Dann wird darauf basierend die Behandlung angepasst.
Oft wird von Ganzheitlichkeit gesprochen. Das bedeutet, dass der Patient und die Erkrankung nach 8 Prinzipien begutachtet werden: liegt eine Fülle oder Leere Symptomatik vor, handelt es sich um eine Hitze- oder Kälte-Problematik, liegt die Erkrankung im Inneren oder Äußeren und letztendlich wird beurteilt ob die Erkrankung Yin oder Yang zugeordnet werden kann.
Diese genaue Beurteilung der Körperkonstitution und der vorliegenden Erkrankung ist der größte Vorteil gegenüber der westlichen Medizin, da solche individuellen Körperzustände in der Schulmedizin oft nicht so genau angeschaut werden.
Wie läuft ein TCM-Termin von Diagnose bis zur Behandlung ab?
Zuerst wird wie oben beschrieben die Körperkonstitution des Patienten bestimmt und eine Diagnose der Erkrankung anhand der 8 TCM Prinzipien erstellt.
Schulmedizinische Diagnosen werden selbstverständlich in Betracht gezogen. Sodbrennen ist in der westlichen sowie in der chinesischen Medizin ein Sodbrennen. Nur schaut man in der TCM auch an, ob der Patient zu viel Säure im Magen hat, ob die Verdauung ein wenig zu langsam ist, oder ob das Problem z.B. durch Stress oder Hormonschwankungen verursacht wird. Es wird anders differenziert, auch unter Einbeziehung des Wechselspiels von Körper und Geist.
Dann würde man mit der/m Patient:in besprechen, welche Behandlungsmöglichkeiten gewünscht werden - von Akkupunktur bis Kräutermedizin.
Bei der Arzneimitteltherapie mit Kräutern kann gewählt werden, ob man das Rezept als gekochtes Dekokt (hergestellt aus getrockneten Rohkräutern in einer Glasflasche) oder als Granulat (getrocknete gepresste Mischung zum Aufgießen) mit nach Hause bekommt.
Häufig wird bei Schmerzen in Gelenken, Muskeln und Faszien mit Akupunktur therapiert. Methoden wie Akupressur, Tuina und Shiatsu kommen mit ihren manualtherapeutischen Griffen auch ohne Nadeln aus.
Liegen Erholung, Atmung, mentale Beschwerden im Vordergrund eignen sich Qigong und TaiJi zum Wiedererlangen von Energie und Balance. Diese Methoden unterstützen die Genesung und dienen der Stärkung von Personen, die von einer schweren Erkrankung geschwächt sind.
Die Ernährungslehre nach den Prinzipien der TCM zeigt uns passend zur Erkrankung und Körperkonstitution, welche Nahrungsmittel uns gut tun. TCM Ernährung kann das Immunsystem unterstützen und den Körper stärken.
Welche Einsatzbereiche gibt es? Was kann man mit TCM behandeln? Eignet sich TCM bei chronischen Beschwerden?
Dr. med. univ. Brigitte Scheffold: Die TCM eignet sich sehr gut bei akuten und chronischen Beschwerden. Hierzulande hat sie vor allem bei chronischen Erkrankungen große Bedeutung, da in diesen Fällen die körperlichen Eigenschaften des Patienten besser in Betracht gezogen werden können.
Den stärksten Vorteil sieht man bei der Behandlung schwierig abzusteckender Beschwerdebilder, wie z.B. bei unerfülltem Kinderwunsch, menopausalen Beschwerden, bei diffusen Unverträglichkeiten, rezidivierenden Infekten und chronischer Erschöpfung. Auch in der Behandlung unerwünschter Nebenwirkungen z.B. während Chemotherapie wird TCM oft eingesetzt.
Die Methoden wie Akupunktur, Tuina, Shiatus, TaiJi und QiGong bringen tolle Ergebnisse bei chronischen Beschwerden des Bewegungsapparates und können vor allem einen wichtigen Teil zur Erhaltung der Gesundheit und Prävention von Erkrankungen beitragen.
Welche Vor- und Nachteile bietet TCM?
Vorteile | Nachteile |
---|---|
Viele Feinheiten werden beachtet: Körperkonstitution der Patienten, bessere Anpassung der chinesischen Arzneimittel an die individuelle Patientenkonstitution
| keine "One-fits-them-all"-Methodik |
Akupunktur ist kostengünstig und hat kaum Nebenwirkungen. | Kräuter sind hierzulande teuer. |
Prävention und Gesundheitserhalt mittels TCM Ernährung, Tuina, Shiatsu, TaiJi und QiGong könnte das Gesundheitssystem unterstützen | Rückerstattung erfolgt fast nur über Zusatzversicherungen, über die Krankenkasse nur in bestimmten eingeschränkten Fällen |
Gute Hilfe bei Beschwerdebildern wie ungeklärten Unverträglichkeiten, rezidivierenden Infekten, Erschöpfung, LongCovid | Meist nicht mit nur einer Behandlung beendet, fordert die Mitarbeit der Patienten |
Gibt es wissenschaftliche Belege zur TCM?
Viele! Es ist leider salonfähig geworden zu sagen, dass es keine Evidenz für Akupunktur oder chinesische Arzneitherapie gäbe. Diese gibt es jedoch, sonst würde die österreichische Ärztekammer Akupunktur und Chinesische Arzneimitteltherapie nicht als Zusatzausbildung für Ärzte unterstützen.
Als schönstes Beispiel wäre zu nennen, dass Tu YouYou 2015 den Nobelpreis bekommen hat für die Entwicklung eines Malariamedikaments, welches sie aus einem TCM Kraut namens Artemisia beforscht und weiterentwickelt hatte. Sie nannte es das "Geschenk der traditionellen chinesischen Medizin an die Welt".
Weiters gibt es viele qualitativ hochwertige Studien zur Wirksamkeit von Einzelkräutern. Schwierig sind nur die kombinierten Rezepturen. Das Problem ist die Mannigfaltigkeit der Wirkstoffe in einer Pflanze, man weiß oft nicht genau, welcher biologische Stoff es ist, der wirkt, sondern kann nur die Wirkung der Kombination beurteilen. An der Durchführung von Studien zu Kräutern sind Pharmafirmen nicht interessiert, da keine Patente beantragt werden können und da die Pflanzen durch safe clinical practice längst freigegeben sind und nicht weiter vermarktet werden können.
Ein Beispiel für die Wirksamkeit der Akupunktur sind die die GERAC-Studien (German Acupuncture Trials von 2002-2007). Sie waren die Grundlage für die Einführung der Akupunktur als deutsche Kassenleistung für die chronischen Kreuzschmerz und chronischen Knieschmerz bei Gonarthrose unter definierten Voraussetzungen.
Welche Richtlinien gelten für die Zulassung von TCM-Praktizierenden in Österreich?
Dr. med. univ. Brigitte Scheffold: In Österreich sind die Richtlinien für Akupunktur und Kräutertherapie im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr streng durch die Ärztekammer geregelt und nur Ärzten vorbehalten. Für hohe Qualitätsstandards in der Ausbildung und Ausübung der TCM Ernährungsberatung, bei Tuina, Shiatsu sowie QiGong und TaiJi engagieren wir uns von Seiten des Dachverbands für TCM. Diese Berufe sind durch Ausbildungen zertifiziert und sollen künftig im nationalen und europäischen Qualifikationsrahmen (NQR/EQR) einheitliche Standards gewährleisten. Hier setzen wir uns von Seiten des Dachverbandes stark ein!
Auf der Homepage des Dachverbands für TCM findet man eine Liste zertifizierter, seriöser Ärzte, Therapeuten und TCM Anbieter.
Mit welchen Kosten ist zu rechnen?
Dr. med. univ. Brigitte Scheffold: Manche Privatversicherungen refundieren Teile der Kosten. Ansonsten liegen die Kosten für den ersten Termin mit ausführlicher Anamnese und Untersuchung meist zwischen 100-200 Euro. Folgetermine kosten meist nur die Hälfte, Akupunktur, Tuina, Shiatsu oder QiGong wird oft als 10er Block vereinbart.
Inhaltsstoffe & Qualität von Arzneimitteln der TCM
Woman.at: Zuweilen hört man auch von Problemen mit der Qualität von pflanzlichen Arzneimitteln – Worauf sollte hier geachtet werden? Welche pflanzlichen oder tierischen Inhaltstoffe sind hier in Österreich erlaubt bzw. verboten?
Dr. med. univ. Brigitte Scheffold: Verboten sind längst die viel zitierte Bärengalle und andere Grausamkeiten, das ist selbstverständlich. Sowohl bei der Herstellung von Kräuterpräparaten als auch von Mineralstoffen und Tierprodukten gelten die Kriterien der "good agricultural practice" sowie der Arten- und Tierschutz (egal in welchem Land). Österreichische Importeure führen teils sogar persönlich Begutachtungen der Produktionen im Ausland durch. Beim Import in die EU wird auf Sauberkeit und Verunreinigungen geprüft und beim Import nach Österreich nochmal einmal durch die importierenden pharmazeutischen Firmen. Die Apotheken gewährleisten die fachgerechte Lagerung und eine kontrollierte Abgabe der Arzneimittel. Der Anteil an verschriebenen Tierprodukten liegt verhältnismäßig niedrig mit unter 5 Prozent. Der größte Anteil der Arzneimittel ist pflanzlicher Herkunft.
Welche Nebenwirkungen kann TCM haben?
Dr. med. univ. Brigitte Scheffold: Wie bei allen Medikamenten kann es in der chinesischen Arzneimitteltherapie ebenfalls zu Unverträglichkeiten kommen. Um Wechselwirkungen und allergische Reaktionen zu vermeiden, werden vorbestehende Unverträglichkeiten, Leber- sowie Nierenfunktion erhoben.
Bei der Körperarbeit mit Akupunktur, Tuina und Shiatsu treten als häufigste schwache Nebenwirkungen Schwindel und Kreislaufschwankungen auf. Zu den Nebenwirkungen der Akupunktur gab es auch kürzlich eine Studie von der Ludwigs-Maximilian-Universität München: Die schwersten unerwünschten Wirkungen waren v.a. Rötungen und Schwellungen im Einstichsbereich, welche auch als Teil der gewünschten Wirkung angesehen werden könnten, da sie zeigen, wie die Durchblutung im Gewebe angeregt wird.
Steckbrief der Expertin Brigitte Elisabeth Scheffold
Steckbrief
Brigitte Elisabeth Scheffold
Masterstudium Chinesische Medizin, Acupuncture Science in Taichung, Taiwan (Republik China)
Masterstudium Chinesische Kräutermedizin in London (UK)
Dozentin für Chinesische Medizin an der WSTCM
Ärztin i.A. am Institut für Physikalische Medizin & Rehabilitation