Seit 2014 werden Frauen zwischen 45 und 69 zweijährlich zur Mammografie geladen. Das Screeningprogramm stößt nach wie vor auf Widerstand. Fünf Experten diskutieren über den Status quo, Probleme & Verbesserungspotenzial.
Wie effizient ist das Österreichische Brustkrebs-Früherkennungsprogramm nun wirklich?
Marianne Bernhart: Wir hatten vor, in der Zielgruppe 1,5 Millionen Frauen anzusprechen und innerhalb von zwei Jahren anzuschreiben. 1,25 Millionen Frauen waren bei der Mammografie. Die Zahl spricht für sich. Ob das mehr oder weniger als früher waren, weiß man nicht, da wir von früher keine Daten haben. Erstaunlich ist, dass im Jahr 2014, also im ersten Jahr des Programms, immerhin 66.000 Frauen zur Mammografie gegangen sind, die niemals vorher waren. Das war auch ein Ziel: jene Frauen anzusprechen, die eben keinen Gynäkologen haben. Und da war jeder neugierig, wie wir diese Frauen erreichen.
Sind die Frauen ausreichend darüber informiert, wann sie zur Mammografie sollen oder dürfen?
Bernhart: Die Frauen kennen sich recht gut aus. Aber sie äußern oft Kritik, dass ihre Ärzte nicht ausreichend informiert sind. Hier besteht Nachholbedarf.
Paul Sevelda: Man macht so ein Programm immer, um die Sterblichkeit zu senken. Das ist ein sehr hohes Ziel und der Weg dorthin ist sehr lange. Es ist ein dynamischer Prozess und der Start in Österreich war mehr als holprig. Vor allem das erste Jahr war schwierig, aber es wird besser und ich stehe zu diesem Programm. Ich glaube, dass die Vorgaben der Intervalle der Untersuchungen heute sogar über die Norm hinausgehen. Wir sind das einzige Land, das den Ultraschall in diesem Programm enthalten hat. Einer der schwerwiegendsten Fehler war, dass man die Ärzteschaft, und hier speziell die Allgemeinmediziner und die Gynäkologen, von Beginn an nicht ausreichend gut integriert hat. Das Abschaffen der Zuweisung zur Mammografie durch den Arzt hat zwei Nachteile: Viele Frauen, die es gewohnt waren, vom Arzt geschickt zu werden, gehen nun nicht mehr zur Mammografie. Und: Der zuweisende Arzt bekommt keine Rückinformation in Form eines Befundes, sondern nur ein Schreiben, dass seine Patientin bei der Mammografie war. Als drittes mögliches Problemfeld sehe ich auch, dass die Befundübermittlung, die bis dato vom zuweisenden Arzt durchgeführt wurde, jetzt an die Radiologie delegiert worden ist. Daher rührt sicher ein großer Teil der Ablehnung der Gynäkologen her: Sie sehen das alles nun nicht mehr als ihre Angelegenheit.
Warum ändert man das nicht wieder?
Sevelda: Es gab in letzter Zeit Initiativen, diese Fehlentwicklungen auszugleichen. Aber da fehlt es noch an Dynamik.
Elisabeth Pittermann: Das kann ich nur unterstreichen. Viele Frauen gehen nach dem Wechsel nicht mehr zum Gynäkologen. Früher sind sie hingegangen, weil sie dadurch zur Mammografie überwiesen wurden. Die gynäkologische Untersuchung ist aber sehr wichtig. Und: Gerade Frauen zwischen 70 und 85 haben einem Bericht des Gesundheitsministeriums zufolge eine steigende Inzidenz des Mammakarzinoms. Natürlich sind weniger Frauen betroffen als in der Altersguppe zwischen 45 und 69. Aber das ist selbstverständlich, dass diese Frauen auch untersucht gehören. Dass Ärzte und Gynäkologen den Mammografie-Befund nicht bekommen, empfinde ich ebenfalls als großes Manko. Frauen über 69 sollen ohne Hürden zur Mammografie gehen dürfen, ohne Einloggen auf Webseiten, ohne Hotlines, und sie sollen natürlich auch nicht dafür bezahlen müssen. 150 bis 200 Euro sind gerade für viele Pensionistinnen viel Geld.
Marcus Hörmann: Das Screening-Programm wäre effizient, wenn man damit die geforderten 70 Prozent der Frauen erreichen würde. Aber da sind wir halt noch lange nicht. Wir liegen jetzt nach zwei Jahren bei 54 Prozent. Es gab auch Überschneidungen: In unserem Diagnosezentrum hatten wir auch viele Frauen, die zu einem Vorsorge-Screening gekommen sind, aber eine kurative Überweisung hatten (kurativ bedeutet, dass die Erkrankung bereits eingetreten ist, Anm.).
Bernhart: Die 70 Prozent haben in Europa nur die Länder erreicht, die das Programm schon mehr als zehn Jahre laufen haben.
Hörmann: Aber dort müssen wir hin. Wir haben seit dem Screening 21 Prozent weniger Mammografien, das ist schon viel.
Sevelda: Der Anfang des Programms war sicher holprig. Wichtig ist, dass man für zukünftige Screenings dazulernt. Und man muss sagen, dass man mittlerweile viel dazugelernt hat und das Programm täglich besser wird.
Ist der zweijährige Abstand wirklich optimal?
Hörmann: Es gibt weltweit viele unterschiedliche Studien. Ich finde, dass die zwei Jahre schon ganz vernünftig sind, wenn es darum geht, Krebs zu entdecken und zu verhindern, dass dieser zu groß wird. Risikopatienten sind eine andere Geschichte, da wird jährlich kontrolliert und man fängt mit 35 Jahren an.
Frau Safer, Sie selbst hatten Brustkrebs: Wie wurde dieser bei Ihnen entdeckt?
Susanne Safer: Ich war 35, als bei mir Brustkrebs entdeckt wurde. Ich war beim Ultraschall, weil es Bikinisaison war und ich einen Knoten hatte, der auffällig war. Mir hat man im März gesagt, mein Knoten sei ein inaktiver Lymphknoten, der würde schon wieder weggehen. Ich hatte keine Schmerzen. Drei Monate später war der Knoten von acht Millimetern auf vier Zentimeter gewachsen. Ich war so paff – wie bitte, jetzt habe ich Krebs? Ich war doch gerade beim Arzt! Mich stört wahnsinnig, dass man als junger Mensch so schnell bei der Mammografie abgewiesen wird. Viele Freundinnen von mir dürfen nicht gehen; sie werden einfach abgeschreckt. Da muss man die Kommunikation verbessern. Gerade in der Situation wünscht man sich doch jemanden, der einen an der Hand nimmt und leitet, weil man selbst überfordert ist.
Bernhart: Frau Safer spricht mir aus der Seele. Da muss man ganz sachlich zwischen dem Früherkennungsprogramm und der diagnostischen Schiene unterscheiden. Dafür sind die niedergelassenen Ärzte zuständig. Das Früherkennungsprogramm richtet sich an gesunde Frauen. Bei Problemen ist nach wie vor der behandelnde Arzt zuständig.
Wie hat sich die Mammografie in den vergangenen Jahren entwickelt? Ist die Strahlenbelastung geringer? Tut es noch weh?
Hörmann: Die Schmerzen sind nun sicher geringer, da die Geräte besser geworden sind. Es hängt natürlich auch ein bisschen vom Assistenten ab. Manchmal zwickt es leider etwas. Die Strahlenbelastung ist kein Risiko. Es sterben 85 von 100.000 Personen an einer strahleninduzierten Erkrankung. Das bedeutet: Wenn man 100.000 Frauen über ein 20 Jahre langes Screening untersucht, dann können 85 Frauen daran sterben. Nichtsdestotrotz ist die Strahlenbelastung ein Thema, sie muss indiziert sein, sonst wäre es schwere Körperverletzung. Wir machen bei vielen jungen Damen Ultraschall. Die kommen mit einer Mammografiezuweisung und wir machen aber einen Ultraschall, weil man bei dichtem Gewebe nicht viel sieht. Wenn wir noch Zweifel haben, dann machen wir eine Mammografie. Alternativ zur Mammografie bietet sich bei gleicher Dosis wie die Mammografie die Tomosynthese an. Bei dieser neuen Technik werden mehrere Bilder der Brust gemacht, die dann als Datensatz zu einem Bild zusammengesetzt werden, und man kann durch jede einzelne Schicht durchschauen.
Wann macht die Tomosynthese Sinn?
Hörmann: Damit kann ich viel besser dichtes Gewebe beurteilen.
Sevelda: Aus meiner Sicht ist die Evidenz noch nicht klar.
Hörmann: Ich habe viele Studien gesehen, die Zahlen sind beeindruckend. Vor allem werden weniger falsch positive Diagnosen gestellt.
Sevelda: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, wenn man bei jungen Frauen screent. Der falsch positive Befund ist jener Krebsverdacht, der sich als negativ herausstellt. Als ich noch in Ausbildung war, hatte von vier Frauen, die wir an der Brust operiert haben, nur eine Krebs. Heute ist es umgekehrt. Wir wissen nun mehr, klären vorher ab und machen keine unnötigen Operationen. Und das ist auch ein Aspekt, wenn man darüber diskutiert, warum man nicht mit 35 Jahren anfangen sollte, jede gesunde Frau zur Mammografie zu schicken. Wenn ein Knoten ertastet wird, dann klar. Aber je mehr Frauen ohne Anlass kommen, desto mehr falsch positive Befunde gibt es auch.
Wie viele falsch positive Befunde gibt es heute?
Hörmann: Dazu gibt es unterschiedliche Studien. Die falsch positiven sind im Vergleich zu den richtig positiven auf jeden Fall weniger. In der Literatur wird von zwei bis zehn von 100 Frauen gesprochen.
Sevelda: Ich fürchte, die Zahl ist höher.
Pittermann: Mit Zahlen muss man aber vorsichtig sein, in Österreich sind wir die Einzigen, die auch den Ultraschall im Screening haben.
Bernhard: Wichtig ist auch: Eine der Säulen des Screening-Programms sind die qualitätsgesicherten Zentren. 196 Institute sind im Programm, bei 52 davon gab es in den ersten beiden Jahren Nachbesserungen. Das zeigt, dass die Qualitätskontrollen Sinn machen. Es wird auch darauf geachtet, die Strahlenbelastung so niedrig wie möglich zu halten.
Wie lange ist die Zeitspanne von einem auffälligen Befund bis zum endgültigen Befund?
Sevelda: Das kann schon einmal ein halbes oder Dreivierteljahr sein. Wir bemühen uns natürlich, alles so schnell wie möglich abzuklären, weil die Belastung für die Frau sehr groß ist. Aber manchmal macht es Sinn, erst nach sechs Monaten wieder zu kontrollieren. So schnell wie möglich ist nicht immer so gut wie möglich. Es gibt Befunde von Frauen, die ein Sterblichkeitsrisiko von unter zwei Prozent haben (BIRADS III), und für diese ist eine Kontrolle in sechs Monaten die richtige Vorgehensweise und nicht gleich die Operation. Es gibt ohnehin ein Zeitfenster von sechs bis acht Wochen, in dem die Prognose sich nicht verschlechtert. Im Herbst sollen die Befunde vom Screening ausgewertet werden und dann können wir hoffentlich sehen, wer zu häufig oder zu früh operiert. Dann wird auch die Frage der falsch positiven Befunde beantwortet. Das sind entscheidende Daten.
Die Experten:
Prof. Dr. Paul Sevelda,Gynäkologe, Präsident der Österreichischen Krebshilfe: „Das Screening-Programm wird nach holprigem Start immer besser.“
Dr. Marianne Bernhart, Programmverantwortliche Medizinerin des Österreichischen Brustkrebs-Früherkennungsprogramms: „Die Frauen sind gut informiert. Aber bei den Ärzten herrscht Nachholbedarf.“
Prof. Dr. Marcus Hörmann, Radiologe im Diagnosezentrum Favoriten: „Wenn wir die Ärzteschaft nicht ins Boot holen, schadet das den Patienten.“
Dr. Elisabeth Pittermann, Gesundheitssprecherin des Österreichischen Pensionistenverbandes: „Man muss die älteren Frauen auffordern, den Gynäkologen aufzusuchen!“
Susanne Safer, ehemalige Brustkrebspatientin:„Kommunikation plus Mammografie rettet Leben.“
Die Diskutanten. V. l. n. r.: Dr. Elisabeth Pittermann, Prof. Dr. Marcus Hörmann, Dr. Marianne Bernhart, Susanne Safer, Prof. Dr. Paul Sevelda.