Im Interview erklärt der Hypnogenetic-Coach Peter Riese, wie Suchtmuster wirklich unterbrochen werden können.
Lust aufs LEBEN: Was ist das Prinzip von Sucht – nach welchem Muster entsteht sie?
Peter Riese: Das Prinzip von Sucht ist eine Abkürzung, um durch Substanzen oder Prozesse neuronale Belohnungen zu erzwingen. Das funktioniert mit Substanzen wie Nikotin, Alkohol und sonstigen Drogen aber auch durch Prozesse wie übermäßige Sport-, Arbeits- und Glücksspielaktivitäten und vielem mehr. Allgemein wird angenommen, dass eine Sucht schleichend beginnt und sich durch Steigerung der Substanzmenge oder Prozesseinsätze verstärkt. Das ist alles richtig. Doch der stärkste Indikator wird bei der Betrachtung vernachlässigt: Die neuronale Plastizität des Gehirns in Zusammenhang mit der Sucht.
Lust aufs LEBEN: Was passiert dabei im Gehirn?
Peter Riese: Lassen Sie mich das anhand der Nikotinsucht erklären. Im Gehirn entsteht bei einem Gedanken ein Neuronenblitz, der sich anschließend wieder zurückzieht – außer, wenn ein zweiter Neuronenblitz, der in einem Zusammenhang zum ersten steht, hinzukommt. In diesem Fall bildet sich über die zwei Neuronenblitze eine Synapse und die bleibt so bestehen. Das Gehirn wird dann um zwei Neuronenstränge und eine Synapse erweitert.
Lust aufs LEBEN: Können Sie dazu ein ähnliches Beispiel aus dem Alltag nennen?
Peter Riese: Während ich einen Text schreibe, denke ich an das Bedürfnis, dass ich anschließend eine Tasse Kaffee trinken werde. Es entsteht ein Neuronenblitz.
Würde mich genau in dem Augenblick jemand anrufen und sagen, dass er sich die schönste und beste Kaffeemaschine Italiens gekauft hätte und mich zum Erstgetränk einlädt, folgt ein Neuronenblitz für Begeisterung. Somit würde sich um die beiden Neuronenblitze 1. Bedürfnis und 2. Begeisterung eine Synapse legen. Diese Begebenheit würde ich dadurch nie wieder vergessen – obwohl es sicherlich wichtigere Dinge zum Erinnern gibt. Der Zusammenschluss zweier Neuronenstränge besitzt eine mächtige Wirkung.
Lust aufs LEBEN: Was bedeutet das in Bezug auf Rauchen?
Peter Riese: Die erste Zigarette wird in der Regel im Teenageralter geraucht. Natürlich schmeckt sie nicht und reizt zum Husten. Sie sieht allerdings, in der Hand lässiger RaucherInnen, sehr cool aus. Dem Teenager widerfährt jetzt etwas Fatales: Sie/er möchte cool sein, womit ein Neuronenblitz für das Bedürfnis entsteht und sie/er erkennt, dass das durch das lässige Rauchen einer Zigarette möglich ist, was einen Neuronenblitz für Begeisterung zur Folge hat. Beide Neuronenblitze entstehen gleichzeitig und stehen in einem direkten Zusammenhang. Sofort werden sie mit einer Synapse verbunden und haben das Gehirn um diese Erkenntnis erweitert. Es geht im Leben des Teenagers jetzt weiter mit: „Beim Kaffee eine Zigarette, nach dem Sex eine Zigarette, nach dem Essen eine Zigarette, bei einem Gespräch eine Zigarette und unzähligen sonstigen Gelegenheiten“. Mit jeder dieser Verbindungen, aus Bedürfnis und Begeisterung, erweitert sich das Gehirn. Man spricht dabei von der neuronalen Plastizität.
Lust aufs LEBEN: Wie lässt sich dieser Effekt zum Beispiel positiv nützen?
Peter Riese: Würde das genau so in Schulen, in Form von „Neuronenblitze Information und Neuronenblitze Begeisterung“ ausgenutzt werden, hätten PädagogenInnen es mit wesentlich weniger „schwierigen Kindern“ zu tun. Vielmehr würden sie ein völlig neues Lerninteresse wecken und bei vielen Kindern ein enormes geistiges Potenzial entdecken, dass bei herkömmlichen Programmen nur im Untergrund schlummert. Der Suchtdruck nach Begeisterung wird hier durch Informationen befriedigt.
Lust aufs LEBEN: Was erzeugt nun den Suchtdruck?
Peter Riese: Die unzähligen bekannten und weniger bekannten Gelegenheiten. Genau das ist es, was die Sucht so ungemein verstärkt und das Gefühl erzeugt, sie niemals überwinden zu können.
Lust aufs LEBEN: Was versteht man unter Hypnogenetic und wie unterscheidet sie sich von Hypnose?
Peter Riese: In der Hypnogenetic arbeite ich, im Gegensatz zur Hypnose, nicht mit Suggestionen. Bei Suggestionen wird häufig eine Gegenwehr erzeugt, die angestrebte Ergebnisse mindern kann. Die Hypnogenetic ist eine Begleitung in eine Selbsttrance und arbeitet mit Vorschlägen. Durch die Selbstbestimmtheit werden erstklassige Ergebnisse erzeugt - eben, weil keine Pflicht besteht, sie zu erreichen. Sobald eigene Bilder erzeugt werden, haben sie das dringende Bedürfnis, sich zu verwirklichen. Was der Geist ersinnt, das kann er auch erschaffen. Deshalb ist es ungemein wichtig, dass die inneren Bilder in Eigenregie erzeugt werden.
Lust aufs LEBEN: Warum reicht es oft nicht zu sagen: „Ich höre jetzt einfach auf, zu rauchen!“ Sollte Willenskraft nicht ausreichend sein?
Peter Riese: Einfach mit einer Sucht aufzuhören, fällt deswegen so schwer, weil das Kompensationsinstrument wegfällt. Wer sich vornimmt, nicht mehr zu rauchen, wird natürlich weiterhin mit Gelegenheiten konfrontiert, die mit Rauchen in Verbindung stehen.
Vor einem Geschäftsgespräch schreit die Synapse danach, gelassen zu sein, cool. Bei einem Gespräch schreit eine andere Synapse nach Wohlbefinden, nach dem Sex nach Entspannung, nach dem Essen nach Verdauungsunterstützung. Das Gehirn schreit nach Kausalität: „Wieso werden die einfachsten Bedürfnisse nicht mehr mit Begeisterung befriedigt?“ Das ist auch übrigens auch das, was im Gehirn von Schulkindern stattfindet, wenn sie eine Informationsflut bewältigen sollen, ohne dabei Begeisterung einsetzen zu können. Der Suchtdruck beginnt, sich aufzubauen und wird immer unerträglicher. Der Wille ist da, aber die Vorstellung baut jetzt unerträgliche Bilder von einem Leben ohne Begeisterung auf. Der körperliche und seelische Entzug beginnt. Die Vorstellungskraft ist die stärkste Macht in uns. Sie lässt den Willen klein und nichtig werden. Deswegen reicht der Wille nicht. Er dient nur als Initialzündung.
Lust aufs LEBEN: Wie kann man effektiv vorgehen, wenn man z.B. mit dem Rauchen aufhören will?
Peter Riese: Zuerst gilt es, den RaucherInnen bewusst zu machen, dass Rauchen nichts anderes ist als eine Einleitung zum Ersticken. Würden Sie nicht die Kunst beherrschen, neben dem Einatmen oder direkt nach dem Ausatmen des giftigen Qualms auch Sauerstoff zu atmen, würden sie zwangsläufig ersticken. Rauchen ist somit nichts anderes als ein Erstickungsvorgang.
Zweitens ist wichtig, zu wissen, dass das Gift einer einzigen Zigarette – würden wir es extrahieren – ein Kleinkind tötet und die Einnahme des extrahierten Gifts von sieben Zigaretten, einen Erwachsenen. Wer also eine Schachtel am Tag konsumiert, lässt seinen Körper täglich dreimal gegen den Tod ankämpfen. Diese Ressourcen fehlen, wenn der Körper auch noch Krankheiten bekämpfen muss.
Lust aufs LEBEN: Wie funktioniert das Aufhören mit Hypnogenetic?
Peter Riese: Wenn diese Erkenntnis den Willen anregt, gesund und nikotinfrei zu leben, können die Neuronenstränge, die für Begeisterung und Rauchen mit Synapsen verbunden sind, mit den Methoden der Hypnogenetic „umprogrammiert“ werden. Sie werden auf ungiftige, verträgliche Alltagssubstanzen umprogrammiert. Das beginnt mit einer Liste aller Gelegenheiten, bei denen gerne geraucht wird. Diese Liste dient dazu, alles zu beachten, was an Neuronensträngen umgewandelt werden sollte.
Diese Vorgehensweise verringert den seelischen Druck auf ein Minimum. Der körperliche Entzug dauert nur einige Tage. Ein Wohlbefinden tritt innerhalb kürzester Zeit ein.
Lust aufs LEBEN: Es geht also weniger um das Rauchen und viel mehr um die synaptischen Verbindungen, die nach Belohnung förmlich schreien?
Peter Riese: Dass die synaptischen Verbindungen diese fast unerträglichen Suchtschübe erzeugen, beweisen Menschen, die aufhören mit dem Rauchen und keinerlei Beschwerden verspüren. Für die meisten ist das völlig unverständlich, oft sogar nicht zu glauben.
Es ist aber so. Und das erklärt sich dadurch, dass diese Raucher/innen mit dem Rauchen nichts kompensieren. Weder haben sie das Rauchen mit cool sein assoziiert noch mit einer anderen Gelegenheit. Diese Menschen haben nur beiläufig, vielleicht nur weil andere geraucht haben, mitgeraucht. Unabhängig davon, wie viel sie geraucht haben, es haben sich keine Synapsen gebildet. Das ist der Grund, warum sie beim Aufhören meist nur einen körperlichen Entzug verspürt haben, den sie auch nur als gering wahrnahmen.
Ein wichtiger Hinweis noch: Wer über Jahre oder Jahrzehnte geraucht hat, sollte sich unbedingt von einem Arzt untersuchen lassen und anfragen, ob ein striktes Aufhören mit dem Nikotinkonsum gesundheitlich unbedenklich ist.
Weitere Informationen und Kontakt:
Peter Riese ist Speaker, psychologischer Berater, Hypnogenetic-Praktiker und Ausbilder sowie Autor von Sachbüchern www.peter-riese.com, info@peter-riese.com