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Wie kann ich mir jetzt selbst Sicherheit geben?

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Wie kann ich mir jetzt selbst Sicherheit geben?
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Der Lockdown sowie das Attentat in Wien werden von vielen als traumatisierend erlebt. Wir haben mit einer Trauma-Therapeutin darüber gesprochen, wie wir jetzt und in ähnlichen Situationen Stabilität finden können.

Das Wort "Trauma" stammt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt "Verletzung" oder "Wunde". Traumatisierungen sind immer mit einem Gefühl der Hilflosigkeit, der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins verbunden. Der Terroranschlag von Wien, aber auch der (neuerliche) Lockdown hat bei vielen derartige Gefühle ausgelöst. Dazu kommen häufig reale Bedrohungen zum Beispiel der eigenen Existenz und Sicherheit.

Traumatisierungen können tatsächlich durch viele Ereignisse entstehen: Durch Gewalt, Missbrauch und Mobbing ebenso wie durch Verlust, Trennung, Arbeitslosigkeit oder Einsamkeit. Studien haben auch ergeben, dass schwere, unbearbeitete Traumata in den Zellen gespeichert und an die neuen Generationen weiter vererbt werden können (Mehr dazu lesen Sie übrigens in der November-Ausgabe des Lust aufs LEBEN-Magazins).
Die Traumatherapeutin Dr. Regina Lackner aus Wien (www.traumapraxis.at) zeigt im Interview, was bei traumatisierenden Erfahrungen und in unsicheren Zeiten am besten helfen kann:

Lust aufs LEBEN: Das Attentat ist am Abend vor dem zweiten Lockdown passiert. Was macht das nun mit vielen Menschen?
Dr. Lackner: Das Attentat kam völlig unerwartet und in einer Brutalität, die wir zuvor nur aus anderen Ländern kannten. Dieses schwer erschütternde, unkontrollierbare Ereignis fällt auf einen Boden, auf dem schon viel Verunsicherung da ist, oft auch Angst um die Existenz und die Gesundheit. Für viele ist die Zukunft ungewiss. Diese Belastung hat sich bereits über die vergangenen Monate aufgebaut und hat viele Menschen bereits geschwächt. Zudem müssen wir unsere sozialen Kontakte wieder einschränken. Wir wissen, dass soziales Eingebunden-sein und Beziehungen Schutzfaktoren und damit wichtige Pfeiler für die persönliche Widerstandskraft sind.

Lust aufs LEBEN: Gibt es ein typisches Reaktionsmuster auf die jetzigen Ereignisse?
Dr. Lackner: Menschen reagieren sehr unterschiedlich. Oft zeigt sich eine hohe Aktivierung mit Unruhe, Nervosität, Unkonzentriertheit, Schlafschwierigkeiten und Angst. Es kann aber auch zu Gefühlstaubheit, innerer Leere oder dem Gefühl, gelähmt oder erstarrt zu sein, kommen. Es ist wichtig, dass wir anerkennen, dass wir unterschiedlich reagieren können. Unter anderem spielen persönliche Erfahrungen, die momentane Lebenssituation sowie die Persönlichkeit eine Rolle: Manche Menschen neigen zu Ängsten, andere sind weniger ängstlich und unbedarft. Entscheidend ist, dass es keine richtige oder falsche Reaktion gibt.

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k.A © beigestellt

Lust aufs LEBEN: Inwiefern spielen Retraumatisierungen durch frühere Ereignisse nun eine Rolle?
Dr. Lackner: Eine sehr große. Wer schon einmal traumatische Erfahrungen gemacht hat, kann jetzt - wenn auch unbewusst – wieder daran erinnert, also durch einen Reiz getriggert werden.
Trauma zeigt sich immer auch auf einer körperlichen Ebene. Im Moment des Geschehens reagieren wir instinktiv mit Kampf oder Flucht und wenn beides nicht möglich ist, mit Erstarrung. Posttraumatische Symptome oder eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entstehen im Allgemeinen dann, wenn die ursprünglichen natürlichen, instinktiven Reaktionen nicht ausgeführt oder zu Ende gebracht werden können.

Wenn ich als Kind oder Jugendliche(-r) Grenzüberschreitungen in Form von körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt, Vernachlässigung der oder wiederholt Alleingelassen- oder im Stichgelassen-Werden erlebt habe – oder auch als Erwachsene(-r) körperliche oder sexuelle Gewalt oder wiederholt Unterdrückung, Abwertungen oder Demütigungen erfahren habe, können diese Erinnerungen und physiologischen Reaktionen wieder reaktiviert werden. Dabei können z.B. Erinnerungsblitze auftreten, so dass wir das damals Erlebte innerlich wieder erleben. Tückisch ist, wenn wir die Reaktion dem ursprünglichen Ereignis nicht mehr zuordnen können, weil wir es bereits vergessen haben oder uns die Verbindung dazu nicht bewusst ist.
Auch den Lockdown haben wir vor wenigen Monaten schon einmal erlebt. Für viele war auch dieser traumatisierend. Wenn wir z.B. als Kinder sehr unterdrückt wurden und keine Freiheiten hatten, kann die aktuelle Situation mit den Einschränkungen die früheren Erfahrungen wieder aktivieren.

Lust aufs LEBEN: Was kann neben offensichtlichen Erfahrungen wie Gewalt und Missbrauch noch traumatisierend sein?
Dr. Lackner: Zum Beispiel Unfälle, schwere Erkrankungen, invasive medizinische Untersuchungen, Naturkatastrophen, Mobbing, Kündigungen sowie Trennungen oder Scheidungen. Bei Kindern können es auch scheinbar kleinere Ereignisse sein wie zum Beispiel Blutabnahmen, bei denen sie festgehalten werden oder Unfälle wie von der Schaukel zu fallen.

Lust aufs LEBEN: Was können wir in solchen Situationen tun?
Dr. Lackner: Trauma ist immer auch ein körperliches Geschehen. Im Moment des Schreckens mobilisiert der Körper ganz viel Energie um zu kämpfen oder zu fliehen. Ist dies nicht möglich, erstarrt er. Hilfreich ist deshalb jede Form von Bewegung. Es muss kein besonderer Sport sein - oft kann es schon helfen, den Körper einfach durchzuschütteln. Auch Radfahren, Springschnurspringen, Laufen, Walken oder Tanzen können wirkungsvoll sein. Besonders wichtig ist, dass wir darauf achten, was uns Sicherheit gibt: das kann ein Mensch, ein Ort, eine Tätigkeit sein, oder z.B. Musik oder die Natur. Wir können auch in unseren Körper spüren und erkunden, wo es sich gut oder sicher anfühlt. Auch wenn wir z.B. einfach nur den Boden unter den Füßen spüren, können wir ein Gefühl von Erdung und Sicherheit erleben. Es kann z.B. auch hilfreich sein, tief ein- und auszuatmen, vor allem doppelt so lange aus als ein, das hat eine beruhigende Wirkung. Auch Schaukeln und Wippen können uns beruhigen und Sicherheit geben. Wichtig ist auch, dass, wir darauf achten, dass und wo wir handlungsfähig sein können. Auf welche Bereiche habe ich Einfluss? Was kann ich selbst tun? Bedeutsam ist auch, gut auf die Signale unseres Körpers zu hören und uns zu fragen: Was tut mir jetzt gut? Was brauche ich jetzt? Wenn wir bemerken, dass uns die Ereignisse nicht mehr loslassen, oder dass sich z.B. eine anfängliche hohe Erregung, Angst oder Erstarrung nicht lösen, ist es entscheidend, Hilfe zu suchen und anzunehmen. Hier gilt: lieber früher als später!

Lust aufs LEBEN: Wie können wir einen guten Umgang mit dem Lockdown finden?
Dr. Lackner: Wir können zum Beispiel überlegen, ob es etwas gibt, das wir schon immer einmal ausprobieren oder lernen wollten, und diese Gelegenheit nun ergreifen. In der jetzigen Jahreszeit zieht sich auch die Natur zurück und das könnten wir nun auch tun. Jetzt können wir überlegen, was uns selbst Freude macht – auch als Paar oder Familie. Das können kleine Dinge sein wie gemeinsam kochen, spielen oder ein Buch lesen – also Dinge, die uns auch ein Gefühl von Normalität geben. Wir können jetzt auch tun, wofür das wir sonst nicht viel Zeit haben. Wichtig ist, auch daran zu denken, dass auch der Lockdown begrenzt ist und wieder vorbei gehen wird.

Lust aufs LEBEN: Viktor Frankl war überzeugt, dass es im Leben darum geht, jeder Situation einen Sinn zu geben ...
Dr. Lackner: Krisen können immer auch etwas Gutes haben. Es kann eine Sinnhaftigkeit geben, die uns jetzt noch nicht erschlossen ist. Womöglich können uns die Ereignisse als Gesellschaft wieder näher bringen. Aber eine Sinnhaftigkeit können wir nur für uns selbst erkennen; wir können niemals von jemanden anderen erwarten oder gar fordern, dass er in dem Erlebten einen Sinn findet. Das wäre unangemessen und könnte von dem anderen als zynisch erlebt werden. Unabhängig davon ist es unterstützend, den Blick auf das Positive zu richten, denn oft sind es auch nur kleine Dinge, die wir im Alltag übersehen. Es ist hilfreich, wenn es uns gelingt, sowohl den Blick auf das Gute zu richten, als auch den Schmerz wahrzunehmen und anzuerkennen. So können wir auch wachsen.

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