Vom Aussehen über die Verdauung bis zur Wirkung von Medikamenten und vielem mehr: Der Einfluss unserer Gene auf unser tägliches Leben ist größer als wir denken. Warum es gut ist, unsere Gene zu kennen, verrät der Molekularbiologe und Dr. Daniel Wallerstorfer.
Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge leidet jeder Mensch unter mindestens 2.000 Gendefekten. Sie lassen unser Immunsystem schlechter funktionieren, führen zu Arthrose und Osteoporose, können Diabetes und Sehschwäche verursachen, und sie machen dick. Aber Gene sind kein Schicksal mehr, schreibt der Salzburger Molekularbiologe und promovierte Biotechnologe Dr. Daniel Wallerstorfer in seinem Buch "Die Macht der Gene". Denn mit der richtigen Vorsorge, guter Ernährung und dem geeigneten Lebensstil können wir selbst unsere Erbanlagen steuern und unsere Gesundheit stärken.
Gene als Anweisungen der Natur
Bestimmt kennen Sie die Redewendung: "Das muss wohl in den Genen liegen." Gene, so viel ist also schon mal klar, haben etwas mit den spezifischen Eigenschaften eines Individuums zu tun, die – wiederum in Form der Gene – vererbt, sprich an unsere Kinder und Kindeskinder weitergegeben werden können. Fast jede Zelle enthält unseren kompletten genetischen Bauplan. Einige Zelltypen werden hingegen ohne Zellkern und Gene produziert, so beispielsweise die roten Blutzellen; und andere Zellen wie Spermien und Eier enthalten nur die Hälfte des genetischen Bauplanes. Spannend: "Jedes Gen ist zwar in jeder Körperzelle vorhanden aber nur dort aktiv, wo es gebraucht wird", so Wallerstorfer. Gene sind also nichts anderes als präzise Anweisungen für bestimmte Körperfunktionen.
Wie "Schreibfehler" entstehen
Zudem hat jeder Mensch von jedem Gen in den 22 Chromosom-Bänden zwei Fassungen, die eine vom Vater, die andere von der Mutter. "Mal ist die eine Genversion stärker, mal die andere", erklärt Wallerstorfer. Das LCT-Gen beispielsweise klärt den Körper auf, wie er mit Laktose umgehen soll, damit wir sie vertragen. "Liegt in diesem Gen ein Fehler, so reagieren wir etwa mit einer Unverträglichkeit." Das CETP-Gen beispielsweise enthält die Anweisung, dafür zu sorgen, dass ausreichend HDL-Cholesterin im Blut vorhanden ist. "Schreibfehler sind zu 99,9 Prozent geerbt und irgendwann vor Tausenden von Jahren mal in einem Menschen entstanden. Sie können aber auch durch Kopierfehler bei der Zellteilung sowie durch UV-Strahlung, krebserregende und somit DNA-zerstörende Stoffe oder durch Radioaktivität entstehen", sagt Wallerstofer.
Nach diesem Prinzip hat etwa einer von 50 Menschen in Deutschland einen Gendefekt, der sein Thromboserisiko erheblich erhöht. Der Defekt im CCR5-Gen, der die HIV-Resistenz bedingt, ist in Europa besonders verbreitet, kommt in Afrika und Asien hingegen kaum vor. Einer von fünf Deutschen hat also ein defektes CCR5-Gen und somit ein geringeres Risiko, sich mit dem HI-Virus zu infizieren.
Gute und schlechte Gene sind in jedem von uns
Jedes Spermium des Vaters und jede Eizelle der Mutter ist eine neu zusammengewürfelte Kombination aus guten und schlechten Genen, weshalb jedes Kind, auch von denselben Eltern, ein einzigartiges Lebewesen mit einer einzigartigen Mischung aus angeborenen Stärken und Schwächen ist. Die Kombination aus all den Erbinformationen bestimmt dann nicht nur, wie wir aussehen und welche naturgegebenen Talente und Persönlichkeitsmerkmale wir haben, sondern unter anderem auch, wie unser Körper bestimmte Nährstoffe aufnehmen kann, wie Medikamente in unserem Körper wirken, welche Neigung für bestimmte Krankheiten wir haben und welches "genetische Gewicht" wir haben. So gehen Wissenschaftler heute davon aus, dass 60 bis 80 Prozent der Fälle von extremem Übergewicht auf genetische Ursachen zurückzuführen sind. "Tatsächlich wurden inzwischen mehr als 400 Gene identifiziert, die im Zusammenhang mit Übergewicht eine Rolle spielen können", so Wallerstorfer. Tatsächlich gibt es sogar ein eigenes "Hunger-Gen": Ein häufig vorkommender Defekt in diesem Gen reduziert dessen Funktion und somit das Hungergefühl. Träger dieses Gendefekts sind daher viermal seltener übergewichtig als Träger eines normalen Gens!
Darüber hinaus gibt eine einflussreiche genetische Komponente, die steuert, wie viel Gewicht ein Mensch durch sportliche Betätigung verlieren kann. "Neben PPARG gehören auch FTO und ADRB3 zu den Genen, die, wenn sie reibungslos funktionieren, den Fettstoffwechsel besonders ankurbeln, sobald wir Sport treiben", so Wallerstorfer. Sind Sie allerdings – wie 86 Prozent der Bevölkerung – Träger der ungünstigen Genvarianten, dann ist Sport zwar gesund für Ihr Herz-Kreislauf-System, aber um abzunehmen, sollten Sie eine andere Strategie wählen.
Medikamente wirken unterschiedlich
Besonders deutlich zeigt sich die Wirkung der Gene auch bei Medikamenten. Fraglos retten moderne Arzneimittel zahllose Menschenleben – und doch darf dabei nicht übersehen werden, dass es kein Medikament ohne Nebenwirkungen gibt. "So ist die Unverträglichkeit von Medikamenten sogar die sechsthäufigste Todesursache der westlichen Welt", sagt Wallerstorfer. Die Frage, weshalb Menschen so unterschiedlich auf Medikamente reagieren, beantwortet einmal mehr ein Blick auf unsere Gene. Beispiel Blutverdünner Warfarin: Bei zu hoher Konzentration kann es zu unkontrollierbaren Blutungen kommen. Die Food and Drug Administration (FDA)30 warnt daher im Beipackzettel des Medikaments, dass Träger von Defekten in den Genen CYP2C9 und VKORC1 das Medikament langsamer abbauen und die tägliche Dosis entsprechend verringern müssen.
Das Medikament Tamoxifen wird bei Frauen, die den Brustkrebs erfolgreich bekämpft haben, zum Schutz vor einer erneuten Krebserkrankung eingenommen. Das Medikament muss jedoch vom CYP2D6-Gen aktiviert werden, um seine Wirkung zu entfalten. Bei 10 Prozent der Bevölkerung sind die 2D6-Gene allerdings defekt, weshalb das Medikament bei ihnen wirkungslos bleibt. Mittlerweile sind die ersten Medikamente auf dem Markt, die nur auf Basis bestimmter genanalytischer Ergebnisse eingenommen werden dürfen. Und dieser Trend wird sich zweifellos fortsetzen.
Dass Menschen auch - unabhängig vom Bau ihres Körpers – sehr unterschiedlich auf Alkohol reagieren, ist unter anderem mit den unterschiedlich effektiven Alkoholabbau-Genen zu erklären.