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Ab wann wird Alkohol bedenklich?

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Ab wann wird Alkohol bedenklich?
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Psychotherapeut Clemens Hrobsky spricht im Interview darüber, wann der Alkoholgenuss zur Sucht wird.

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Lust aufs LEBEN: Ist wirklich jedes Glas eines zu viel – wie viel ist noch okay?
Clemens Hrobsky: Diese Frage lässt sich in meinen Augen nur schwer allgemein beantworten. Grundsätzlich leben Personen, die auf Alkohol gänzlich verzichten, gesünder. In unserer Gesellschaft ist Alkohol jedoch kaum wegzudenken und neben Nikotin wohl die am häufigsten konsumierte Droge. Gesundheitsorganisationen empfehlen Grenzwerte für Frauen von einem 1/8 Liter Wein oder 0,3 Liter Bier am Tag und bei Männern die doppelte Menge. In der Woche sollten jedoch mindestens zwei alkoholfreie Tage gegeben sein. Ein Konsum bis zu diesen Werten wird dann noch als risikoarm eingestuft. Für viele Personen wird dieser Grenzwert jedoch bereits zu hoch sein und für sie bereits eine Gewohnheit darstellen, die sie nicht leben möchten. Andere werden die Werte als niedrig erachten, wenn sie sich den Konsum bei sich selbst und in ihrem Umfeld ansehen. Das subjektive Empfinden kann also sehr unterschiedlich sein!

Ab wann spricht man dann tatsächlich von Sucht?
Clemens Hrobsky: Von einer Suchterkrankung wird dann gesprochen, wenn der Konsum ein Ausmaß annimmt, der das eigene Leben stark beeinträchtigt. Bei einer Alkoholerkrankung wird das Leben durch den Konsum eingeengt und beeinflusst. Auch andere Lebensbereiche werden dann vernachlässigt. Zu den diagnostischen Kriterien zählen eine Toleranzentwicklung. Es muss also immer mehr Alkohol getrunken werden, um den früheren Effekt zu erreichen. Bedeutend sind auch ein starkes Verlangen bis hin zu Kontrollverlust, wodurch mehr oder häufiger Alkohol konsumiert wird als ursprünglich geplant. Der Konsum kann dabei dann oft auch nicht ohne Weiteres verändert werden, auch wenn das Ausmaß und die Tragweite des Problems bereits bewusst geworden sind. Neben diesen Symptomen, die auf psychischer Ebene ablaufen, kann bei einer Alkoholerkrankung auch eine körperliche Abhängigkeit mit einer Entzugssymptomatik entstehen.

Was sind die häufigsten Gründe, warum Menschen das Maß verlieren und zu Alkoholiker*innen werden?
Clemens Hrobsky: In der Regel dient der Alkohol einer bestimmten Funktion, um Gefühlszuständen zu entgehen und diese vorübergehend zu bewältigen. Es wird getrunken, um Gefühle vorübergehend auszublenden oder Probleme kurzfristig „wegzuschieben“. Häufig treten Suchterkrankungen mit anderen Krankheitsbildern wie beispielsweise einer Depression oder Angst- oder Panikstörung auf. Der Alkoholkonsum kann dabei als Versuch zur Bewältigung einer dahinterliegenden Problemlage verstanden werden.

Welche Hauptmotivation gibt es, was „gibt“ einem das Trinken, was bewirkt es?
Clemens Hrobsky: Alkohol vermittelt vielen Menschen ein gutes Gefühl. Er entspannt, erheitert und macht ausgelassen. Dies sind wohl Gründe, warum bei gesellschaftlichen Anlässen und Feiern häufig Alkohol konsumiert wird. Problematisch wird es dann, wenn Alkohol Mittel zur Entspannung wird und ohne ihm dieser Zustand nicht mehr erreicht werden kann. Aufgrund seiner enthemmenden Wirkung wird er auch von vielen Personen in Gesellschaft genutzt, um mehr aus sich herauszugehen und offener zu werden. Für Personen, die derartige Situationen ängstigen und einschüchtern, kann hier Alkoholkonsum verführerisch wirken.

Sind eher Frauen oder Männer betroffen?
Clemens Hrobsky: Männer waren lange Zeit der weit größere Teil der Betroffenen. Dies hat sich in den letzten Jahren jedoch dahingehend
verändert, dass der Anteil an Frauen immer größer wurde, wobei Männer weiterhin überwiegen. Auf das Alter bezogen mache ich in meiner Praxis die Erfahrung, dass der überwiegende Teil der Klient*innen, die mich bezüglich einer Alkoholproblematik aufsuchen, zwischen 40 und 55 Jahren alt ist.

Wie bewerten Sie den Umgang mit Alkohol vieler Menschen seit Corona? Ist die Anzahl der Suchtkranken gestiegen?
Clemens Hrobsky: Dies zu beurteilen fällt mir schwer, da ich in meiner Praxis nur einen kleinen Ausschnitt an hilfesuchenden Personen sehe und mich aufgrund meines Schwerpunktes auch bereits vor Beginn der Pandemie viele suchtkranke Personen aufgesucht haben. In laufenden Behandlungen konnte ich beobachten, dass im Zuge der Pandemie der Alkoholkonsum durchaus gestiegen ist und es vermehrt zu Rückfällen kam. Da die Pandemie für die gesamte Bevölkerung eine Belastung darstellt und psychische Erkrankungen im allgemeinen gestiegen sind, gehe ich auch davon aus, dass die Folgen auch zu einer Zunahme an Suchterkrankungen führten.

Bleiben alkoholabhängige Menschen oft unerkannt?
Clemens Hrobsky: Es gibt nicht die eine alkoholkranke Person, wodurch auch die Lebensstile der Betroffenen sehr unterschiedlich sind. Gemeinsam haben sie die Suchterkrankung, die in einer gewissen Form das Leben bestimmt und beeinträchtigt. Wie weit die eigene Lebensführung durch die Abhängigkeit beeinflusst ist, hängt unter anderem auch vom Trinkverhalten ab. Wer zum Typus des „Spiegeltrinkers“ zählt, hält den Tag über einen gewissen Alkoholspiegel und wirkt auf Außenstehende trotz einer Alkoholisierung meist nicht beeinträchtigt. Personen verstecken Alkoholika und versuchen nach Außen nicht aufzufallen. Dies kann über lange Zeit gelingen, fällt in der Regel jedoch irgendwann auf, wenn beispielsweise Personen aus dem Umfeld den Atemgeruch wahrnehmen, Flaschen finden oder auch im Zuge einer Verkehrskontrolle ein hoher Wert beim Alkoholtest festgestellt wird.
Ein anderes Trinkverhalten zeigen Personen, die zu den Rauschtrinkern oder episodischen Trinkern zählen. Sie trinken zu gewissen Zeiten oder in gewissen Phasen. Das kann beispielsweise der Abend oder das Wochenende sein. Jemand der Abends zuhause zwei Flaschen Wein alleine trinkt, fällt im Umfeld meist nicht auf. Möglicherweise ist am nächsten Tag noch eine Beeinträchtigung gegeben, jedoch wissen Betroffene diese meist zu verbergen.
In vielen Fällen wird die Alkoholerkrankung erst in einem recht fortgeschrittenem Stadium erkannt. Trotz der weiten Verbreitung in der Bevölkerung geht Alkoholabhängigkeit mit einer großen Scham einher. Das erschwert Betroffenen auch die Erkrankung vor anderen einzugestehen und sich Hilfe zu suchen.

Wie gelingt ein Alkoholentzug? Was sind die wichtigsten Schritte?
Clemens Hrobsky: Ein Entzug steht oft am Anfang der Behandlung einer Alkoholerkrankung. Bei einer körperlichen Abhängigkeit wird unter ärztlicher Aufsicht der Körper entwöhnt. Ob dieser Schritt ambulant oder stationär erfolgen kann, sollte fachärztlich abgeklärt werden.
Ist keine körperliche Abhängigkeit und daher keine Entgiftung notwendig, kann sofort mit einer Therapie begonnen werden. In dieser werden ebenfalls stationäre und ambulante Angebote unterschieden. Ein stationärer Aufenthalt steht meist am Anfang einer Behandlung oder auch währenddessen, sollte eine Stabilisierung erforderlich sein. Dabei kann eine längere abstinente Phase, sowie eine Tagesstruktur geschaffen werden. Auch kann in diesem Rahmen mit Psychotherapie begonnen werden, die im Anschluss auch ambulant weitergeführt werden sollte. Ist ausreichend Stabilität vorhanden, sowie die Fähigkeit zur Abstinenz gegeben, kann auch ambulant mit einer Therapie begonnen werden, die in der Regel aus Psychotherapie und bei Bedarf aus einer fachärztlichen Begleitung besteht.

Mag. (FH) Clemens Hrobsky ist Personzentrierter Psychotherapeut in Wien. Infos und Kontakt: www.praxis-hrobsky.at

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