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Die Kunst des Wartens

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12 min
Die Kunst des Wartens
©iStock/Remains
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Die Grazer Psychotherapeutin und Philosophin Dr. Monika Wogrolly im Gespräch mit Lust aufs LEBEN über die Ungeduld unserer Gesellschaft – und darüber, wie man Geduld lernen kann.

Lust aufs LEBEN: Die Krise zwingt viele Menschen
zum Ausharren, zum Warten. Warum fällt uns das schwer?
MONIKA WOGROLLY: Unsere Zeit ist gerade durch die hochtechnologischen
Möglichkeiten sehr schnelllebig. Beispiel gefällig? Auf den Internetchat auf einer Partnerplattform folgt im besten Fall schon nach kurzer Zeit ein reales Treffen. Und dann vielleicht sogar die große Liebe – oder der totale Frust. Soll heißen: Wir sind daran gewöhnt, schnell zu Ergebnissen zu gelangen – ob Lust oder Frust. Hauptsache, es passiert etwas.

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Monika Wogrolly © Matt Observe

Lust aufs LEBEN: Ist das in der Krise oder im Joballtag ähnlich?
MONIKA WOGROLLY: Auch im Businessleben ist das so: Eine E-Mail sollte schnellstens beantwortet werden, sonst wird einem Desinteresse oder Unprofessionalität, Absenz oder Ignoranz attestiert. Von jetzt auf gleich sind wir entscheidungsbereit, aber nicht immer dazu fähig. Schnellschüsse haben oft mit mangelnder Impulskontrolle und ebendieser Konditionierung auf sofortige Reaktion und Belohnung zu tun. Dabei wäre es oft wichtig, innezuhalten und erst nach ein paar tiefen Atemzügen oder einem Waldspaziergang an eine Entscheidung zu denken, egal, um welchen Bereich des Alltagslebens es sich handelt. Man kann zusammenfassend sagen:
Wir leben in einer Zeit der Atemlosigkeit und des Impulskontrollverlustes. Mangelnde Selbstkontrolle wird oft mit Zielstrebigkeit verwechselt.

Lust aufs LEBEN: Wir verbinden Warten mit Langeweile. Warum?
MONIKA WOGROLLY: Langeweile entsteht, wenn man mit sich und seiner Zeit nichts anzufangen weiß. Das hinterlässt ein unangenehmes Gefühl, oft sogar Leidensdruck. Aber von einer Aktivität in die nächste zu „flüchten“ tut dem Grundgefühl der Depressivität keinen Abbruch: Die Krise bringt uns dazu, uns mit uns selbst zu beschäftigen, durch den plötzlichen Minimalismus fokussierter zu sein. Es gibt – neben den Restriktionen – auch durchaus begrüßenswerte Nebenwirkungen der damit verbundenen Klausur. Ist die neue Situation einerseits ein gewaltiger Eingriff in unsere Selbstbestimmung und schränkt uns in unseren Handlungsoptionen ein, öffnen sich so andererseits neue Wege und Dimensionen des „Selfcare“, der Selbstfürsorge und der Besinnung auf Werte, die in der Schnelllebigkeit des Alltags verblasst sind. Die Krise hat uns sämtliche Ablenkungen genommen, wir sind – mit dem Philosophen Martin Heidegger gesprochen – auf uns selbst zurückgeworfen.

Lust aufs LEBEN: Welche Herausforderung bringt das mit sich?
MONIKA WOGROLLY: Wir stehen vor der Herausforderung, uns mit uns selbst anzufreunden. So komisch das klingt – es ist die größte Challenge im Leben. Wir ändern uns schließlich auch je nach Lebensphase. Und sind zum Beispiel vor die Herausforderung gestellt, uns, obwohl wir älter und vielleicht auch in mancherlei Hinsicht im Tempo langsamer werden, wohlzufühlen und des Lebens zu erfreuen. Die Fähigkeit zur Geduld und Nachsicht mit uns können wir uns aber nicht übers Internet bestellen und frei Haus liefern lassen. Wir müssen vielmehr lernen, uns im Alter nicht mehr über die perfekte Figur oder makellose Haut zu definieren. Die Krise
schafft nun mit ihrem Minimalismus den geeigneten Rahmen, vom Flucht- in den Konfrontationsmodus zu wechseln. Viele fassen sich jetzt ein Herz und haben die Zeit, um in einer Psychotherapie ihre liegen gelassenen heiklen Themen anzuschauen – das ist auch über Videotelefonie möglich –, und gehen dann gestärkt aus der Krise hervor. Krisen sind dem Mediziner und Anthropologen Viktor von Weizsäcker zufolge Zeiten des Umbruchs und der Veränderung, wenn man offen dafür ist.

Lust aufs LEBEN: Geduld gilt als Tugend. Wird die Fähigkeit dazu genetisch vererbt?
MONIKA WOGROLLY: Es gibt natürlich Veranlagungen und auch so etwas wie Familientraditionen im Umgang mit Krisensituationen. Aber man kann sich bei einem Mangel an Geduld nicht auf die Genetik hinausreden. Denn Geduld – und das ist die wirklich gute Nachricht – gehört zu jenen Fähigkeiten, die sich in jedem Lebensalter trainieren lassen. Sich in Geduld zu üben ist im buchstäblichen Sinn Übungssache. Das heißt, wir können diese Fähigkeit gerade jetzt in der Krise trainieren und als Ressource aus dieser schwierigen Zeit mitnehmen.

Ohne die Krise künstlich schönzureden, versuche ich meinen Klientinnen und Klienten genau dieses Bewusstsein zu vermitteln: Besser früher als später auf sich selbst schauen! Das gehört auch zur Burnout-Prophylaxe: zu wenig ausgebildete Fähigkeiten und Tugenden an sich zu erkennen und zu fördern. Warum manche geduldiger sind? Ganz sicher haben sie schon früher gelernt und Erfahrungen gemacht, dass sich zu warten durchaus lohnen kann. Es geht wie immer im Leben um die Perspektive, die uns dazu motiviert, geduldig zu sein.

Lust aufs LEBEN: Wie kann man Geduld lernen?
MONIKA WOGROLLY: Man kann nicht nur, man muss Geduld lernen und üben. Denn die unverzichtbaren „Zutaten“ dieser Kompetenz, also ihre drei elementaren Grundvoraussetzungen, sind die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, Frustrationstoleranz und Ausdauer. Forscher haben herausgefunden, dass der Ausblick auf eine Belohnung eine starke Triebfeder ist, um sich in Geduld zu üben.

Ein berühmtes wissenschaftliches Experiment aus den Endsechzigerjahren ist die sogenannte „Marshmallow-Studie“. Sie hat gezeigt: Jene Kinder, die sich in Geduld übten, schafften das vor allem mit Konzentration auf das Ziel, die wundervolle Perspektive auf die Belohnung und durch Ausblendung der augenblicklichen Verlockung. Sie hatten sich selbst und den Impuls, das Marshmallow gierig zu verschlingen, zugunsten des übergeordneten Ziels, zwei solcher Goodies zu bekommen, unter Kontrolle.

Lust aufs LEBEN: Ist Geduld ein Garant für Erfolg?
MONIKA WOGROLLY: Fehlen jemandem Selbstkontrolle und Selbstdisziplin, wird er sich – wie in dem Marshmallow-Experiment – von niedrigen Trieben der Ad-hoc-Bedürfnisbefriedigung hinreißen lassen, ohne an die Konsequenzen zu denken. Nicht unbedingt intelligentere, aber erfolg- reichere Menschen sind jene, die auf etwas warten können, ohne sich dabei gestresst zu fühlen oder die Kontrolle zu verlieren.

Lust aufs LEBEN: Ist Geduld ein Garant für Erfolg?
MONIKA WOGROLLY: Fehlen jemandem Selbstkontrolle und Selbstdisziplin, wird er sich – wie in dem Marshmallow-Experiment – von niedrigen Trieben der Ad-hoc-Bedürfnisbefriedigung hinreißen lassen, ohne an die Konsequenzen zu denken. Nicht unbedingt intelligentere, aber erfolgreichere Menschen sind jene, die auf etwas warten können, ohne sich dabei gestresst zu fühlen oder die Kontrolle zu verlieren.

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BUCHTIPP: Timo Reuter: "Warten. Eine verlernte Kunst", Westend, um € 18,50 © Westend

Lust aufs LEBEN: Wie kann ich Geduld und Selbstdisziplin lernen?
MONIKA WOGROLLY: Mit konsequentem Training, wie beim Sport. Auch dazu muss man sich zunächst „überwinden“, ehe er integrativer Bestandteil des täglichen Lebens sein kann. Erst wenn wir die Erfahrung machen, dass uns tägliches Fitnesstraining guttut, verlangen wir körperlich und psychisch danach. Ebenso funktioniert das mit der Geduld als trainierbarer Fähigkeit: Je öfter wir die Früchte unserer Geduld geerntet haben, desto selbstverständlicher wird sie uns. Und umso weniger leiden wir darunter, wenn wir mal etwas länger abwarten und uns in Geduld üben müssen.

Lust aufs LEBEN: Wie geht es Ihnen selbst mit der aktuellen Situation? Können Sie geduldig abwarten?
MONIKA WOGROLLY: Bei mir hat die Krise große Umstellungen mit sich gebracht. Statt Menschen in meiner Praxis zu begrüßen, bin ich überwiegend über Videocalls mit meinen Klientinnen und Klienten verbunden, was aber erfahrungsgemäß gleichwertig ist, ja sogar Vorteile mit sich bringt – wie etwa zu Hause ganz entspannt sitzen zu können. Die Parkplatzsuche fällt ebenfalls weg. Ich selbst strukturiere mir die Wartezeit, indem ich sie in Phasen der Arbeit und der Freizeit unterteile. Selbstachtsamkeit für Körper, Geist und Seele ist jetzt wichtig. Natürlich „ködere“ ich mich auch selbst mit dem Ausblick, nach der Corona-Krise wieder selbstbestimmt und frei zu sein. Und vor allem wieder das tun zu können, was ein wichtiger Persönlichkeitsteil von mir ist, auf den ich jetzt verzichte: Reisen.

Die ganze Story lesen Sie in der Mai-Ausgabe des Lust aufs LEBEN-Magazins!

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