Bonnie Cleo Andersen war 18 Jahre alt, als sie ihren Körper erstmals verkaufte. Es tat weh, sie schämte sich.
Aber es war der schnellste und einfachste Weg zu Geld. Er blieb es.
Heute ist Bonnie 39 Jahre alt und arbeitet in dem kleinen Dorf Sealand in Dänemark als Prostituierte. Sie zahlt Steuern, hat eine Sozialversicherungsnummer und ist ein eingetragenes Einzelunternehmen.
Ihre Schicht beginnt um neun Uhr, sie endet um vier Uhr Nachmittags. Danach holt sie ihre beiden jüngeren Kinder von der Schule, fährt mit ihnen in ihren eigentlichen Wohnort, nur ein paar Kilometer entfernt.
Bonnies Tochter Michella ist 16, sie wohnt mittlerweile in einer eigenen Wohnung. Oliver (14) und Noa (6) leben noch bei Bonnie. Der kleine Noa glaubt, dass seine Mama als Putzfrau arbeitet, ihre beiden anderen Kinder wissen, womit Bonnie ihr Geld verdient. Auch in der Schule, im Gemeinschaftshaus, im gesamten Dorf weiß man: Das ist Bonnie. Die Prostituierte. Und liebevolle Mutter.
Die dänische Fotojournalistin Marie Hald hat Bonnie und ihre Familie ein Jahr lang begleitet. Bonnie sogar dann fotografiert, wenn Freier an die Tür klopften. Bei den Kindern übernachtet, den kleinen Noa in die Schule und die Familie in die Kirche gebracht.
Und mit ihren Bildern ein hartes, trotzdem berührendes Porträt einer Frau gezeichnet, die zwei Leben lebt. Für diese Arbeit wurde Hald nun mit einem "World Press Photo Award" ausgezeichnet – einer der höchsten Auszeichnungen für Fotojournalisten. Wir haben mit ihr über das Projekt gesprochen.
WOMAN: Wie kam es zu dieser Reportage?
Marie Hald: Ich traf Bonnie das erste Mal während meines letzten Semesters in der Schule. Wir hatten absolute Freiheiten in Bezug auf unser Abschluss-Projekt. Nun war Prostitution für mich immer schon ein spannendes Thema, zumal es in Dänemark ein völlig legaler Beruf ist. In dem Haus, in dem ich wohnte, arbeitete eine Prostituierte. Sie hat mich schließlich an ihre Bekannte Bonnie verwiesen. Für meine Reportage wollte ich unbedingt eine Frau finden, die Familie hat, die neben ihrem Beruf ein völlig normales Leben führt. Es stellte sich heraus, dass Bonnie sich das schon lange Zeit gewünscht hat. Dass jemand ihre Geschichte erzählt und dokumentiert. Sie wollte, dass die Welt sie als gesamte Person sieht, nicht nur für ihren Job verurteilt.
WOMAN: Wie verlief das erste Treffen?
Marie: Wir trafen uns in ihrem kleinen Apartment, wo sie auch die Kunden empfängt. Wir setzten uns auf das Bett und haben stundenlang miteinander geplaudert. Zwischendurch kamen immer wieder Freier. Dann ging ich kurz hinaus, aß Schokolade und belauschte ihre "Arbeit". Es war ein heftiger, sehr realer Start. Ich musste ein paar Mal ordentlich schlucken. Am Anfang war es wirklich nur ein Schulprojekt, ich konnte mich emotional abgrenzen. Im Laufe der Zeit wurde die Verbindung immer enger. In Summe haben wir dann ein Jahr und ein paar Monate mehr oder weniger miteinander verbracht. Ich habe ab und an bei der Familie übernachtet, sie öfters besucht.
WOMAN: Bonnie hat dich sehr weit in ihr Leben gelassen...
Marie: Sie hat mir vertraut. Weil sie wusste, was die Intention meines Projekts war. Und weil sie sich darauf verlassen konnte, dass meine Bilder ehrlich werden. Ich beschönige nichts, baue keine happy Illusion auf. Aber ich versuche auch nicht, ihr Leben grausamer darzustellen. Sondern will alle Momente zeigen. Die glücklichen, die harten, die traurigen.
WOMAN: Wie sind deine Gefühle und Eindrücke über Bonnie? Haben sie sich während eurer gemeinsamen Arbeit verändert?
Marie: Bonnie hat in ihrem Leben nur ein einziges Ziel: Eine gute Mutter für ihre Kinder zu sein. Sie geht offen mit ihrem Beruf um, sie verheimlicht nichts. Ich finde das bewundernswert. Natürlich schlägt ihr viel Verachtung entgegen. Aber die Art und Weise, wie sie damit umgeht, zeugt von einer unglaublichen Stärke. Diese Bewunderung für ihren Umgang mit Vorurteilen und Häme wurde im Laufe der Zeit immer stärker.
WOMAN: Auf vielen Bildern sind auch Bonnies Kinder zu sehen. Wie gehen sie damit um, dass sie gezeigt werden?
Marie: Das war tatsächlich meine größte Sorge, die ich auch mit Kollegen lange diskutiert habe. Ist es in Ordnung, die Kinder zu zeigen? Immerhin sind sie minderjährig. Aber nachdem Bonnie mit ihrem Beruf und ihrem Leben ganz offen umgeht und jeder in ihrem Ort weiß, dass sie als Prostituierte arbeitet, habe ich es letztendlich richtig gefunden, auch diesen, ganz entscheidenden und zentralen Punkt ihres Lebens zu zeigen.
WOMAN: Wie empfinden sie den Beruf ihrer Mutter? Schämen sie sich? Ist es normal für sie?
Marie: Ich saß lange mit den beiden Älteren darüber gesprochen, wie sie den Beruf ihrer Mutter empfinden. Beide wurden deshalb gehänselt und gemobbt. Michella wurde einmal in der Schule gefragt, wie viel eine Stunde mit ihrer Mutter denn kostet. Das hat sie unglaublich gekränkt. Es ist hart für die Kinder. Aber auf der anderen Seite lieben sie ihre Mutter. Egal, was sie macht.
WOMAN: Die Bilder sind teilweise sehr hart, sehr intim. War es für dich manchmal einfacher, weil die Kamera doch eine gewisse Distanz erzeugt?
Marie: Ja, absolut. Die Kamera ist wie ein Schutzschild. Es gab Situationen, in denen ich fast in Tränen ausgebrochen wäre, meine Augen bereits nass waren. Aber die Kamera hat mich immer wieder daran erinnert, dass ich stark sein und professionell agieren muss. Natürlich gab es trotzdem auch Momente, in denen ich nicht mehr als Marie, die Fotografin funktioniert habe. Sondern nur mehr Marie, Bonnies Freundin, war. Etwa, wenn sie unglaublich erschöpft und traurig war oder mit einem Freier Schlimmes erlebt hat.
WOMAN: Hast du noch viel Kontakt mit Bonnie?
Marie: Durch den Foto-Preis kamen viele Medienanfragen, es war in letzter Zeit alles sehr intensiv. Wir nehmen uns jetzt beide eine kleine Pause um zu verschnaufen, wieder ein wenig Abstand zu gewinnen. Aber wir sind nach wie vor Freundinnen.
Zur Person:Marie Hald ist 27 Jahre alt und arbeitet als Fotojournalistin für die dänische Zeitschrift "Politiken". Ihre Serie "Bonnie – life as a prostitute" gewann mehrere Foto-Preise, darunter den begehrten "World Press Photo Award". Im kommenden Jahr beginnt Marie mit einem neuen Langzeit-Projekt.