Guter Sex fällt nicht vom Himmel. Für die Ekstase im Bett muss man auch etwas tun. "Die meisten Frauen reden zu wenig über ihre Wünsche“, weiß unsere Expertin.
von
Nackte, glänzende Haut, Schweißperlen, verführerische Küsse, sanftes Stöhnen, endloses Liebesspiel, wilde Ekstase - und am Ende kommen beide gleichzeitig zum Orgasmus. Die gängige Darstellung von Liebesszenen in Filmen trieft nur so vor Klischees. Doch im echten Leben ist Sex oft bei Weitem nicht so paradiesisch, auch wenn wir das, zumindest vor anderen, nicht immer zugeben wollen.
Kein anderes Thema ist in unserer scheinbar so aufgeklärten Gesellschaft mit so vielen Tabus behaftet, wirklich ehrlich sprechen die wenigsten über ihr Sexualleben. Deswegen gehen wir mit Sexualtherapeutin Dr. Elia Bragagna der Frage nach, was guten Sex überhaupt ausmacht und wie wir unser Liebesleben besser gestalten können. Denn noch immer sind wir unbewusst von jahrhundertealten Moralvorstellungen geprägt und haben fixe Stehsätze im Kopf, wie Sex zu sein hat.
Geschmäcker sind eben verschieden
"Guter Sex ist etwas sehr Individuelles, es gibt keine allgemeingültigen Regeln. Manche nützen ihn zum Stressabbau, andere schätzen besonders die damit verbundene Nähe und die Hingabe. Einige wollen dadurch mehr Selbstbestätigung“, erklärt unsere Sexualtherapeutin. Und genau hier können die Probleme in Sachen körperlicher Liebe schon beginnen. Denn sobald zwei Menschen im Bett unterschiedliche Bedürfnisse haben, zerbröselt das Hollywood-Klischee ganz schnell.
Es ist eben nicht selbstverständlich, dass Liebe auch unkomplizierte Leidenschaft bedingt, gerade, weil jeder von uns mit gutem Sex etwas anderes verbindet. Kommuniziert man diese Bedürfnisse nicht, wird das Liebesleben auf Dauer langweilig oder die Lust verschwindet ganz.
Quickie oder Ausdauersport?
Das nächste Klischee: Alleine schon vom Hinschauen wird man so richtig scharf. Das gibt es, wie Expertin Bragagna bestätigt, aber "viele brauchen wesentlich länger, um sich einzustimmen, wollen davor gemeinsam essen, Zeit verbringen. Es gibt keine Regel dafür, wie lange das Liebesspiel dauern soll.
Richtig ist, solange es beiden Partnern Spaß macht.“ Lust auf ausgiebige Liebesstunden hat die 42-jährige Silvia. "Ich will ausgiebig schmusen, ein intensives Vorspiel, und ich stehe darauf, wenn der Mann so richtig lang kann.“ Und auch mancher Mann kann der sanften Einstimmung etwas abgewinnen. Der 35-jährige Stefan betont: "Ich mag es, wenn man Zeit hat dafür, eventuell mit einer Massage beginnt, und dann dezent weitergeht. Es muss nicht zwangsläufig heftig oder dreckig sein, die richtige Mischung macht es aus.“
Kommunikation hilft!
Egal welche Vorlieben man hat, wie oft man Sex will und wie lang er dauert, Expertin Bragagna betont, dass immer beide Beteiligten für ein gutes Liebesspiel verantwortlich sind. "Es gibt keine schlechten Liebhaber, nur Personen, die keine Verantwortung für ihre sexuelle Zufriedenheit übernehmen. Der Partner kann nicht ahnen, wie man sich gerade fühlt, wenn man keine Signale sendet. Das kann über den Atem, die Bewegung funktionieren oder auch mit sanfter Stimme. Auf jeden Fall müssen wir mit dem Partner kommunizieren. Verbal oder nonverbal.“
Die Verständigung ist generell extrem wichtig in Beziehungen. Spricht man zu wenig oder nicht liebevoll genug miteinander, geht ziemlich sicher irgendwann die Lust aufeinander verloren. Das kann, muss aber nicht mit dem Partner zu tun haben. Oft sind es auch eigene Themen, die einen belasten, oder die persönliche Weiterentwicklung zweier Partner geht unterschiedlich schnell. Das kann dann große Auswirkungen auf die individuelle Lust und Orgasmusfähigkeit haben.
Wie wichtig ist der Höhepunkt?
Der gleichzeitige Orgasmus ist ein weiteres Stereotyp für guten Sex. Dabei kommt dieser, wie die meisten von uns wissen, nur sehr selten vor. Für manche steht der Orgasmus übrigens auch nicht zwingend am Ende des Liebesspiels. Das bedeutet beides aber nicht, dass der Sex dann keinen Spaß macht, weiß die Expertin aus vielen Gesprächen während ihrer langjährigen Praxis. Laura, 28, sieht das ähnlich: "Ich kann mich nicht immer gleich gut fallen lassen, manchmal kommt der Höhepunkt einfach nicht.
Aber das Liebesspiel und die Nähe machen mir trotzdem Spaß, dieser Sex kann sehr befriedigend sein.“ Und für den 40-jährigen Ralph ist klar: "Ich liebe es, wenn ich meiner Frau einen Orgasmus bescheren kann. Sollte ich dann einmal nicht kommen, bin ich sicher nicht todunglücklich darüber. Zur Not kann ich ja immer noch selbst Hand anlegen.“
Lösung suchen
Der Hunger nach Sex variiert übrigens bei allen Menschen. Es ist ganz normal, wenn die Leidenschaft einmal abflacht. Ständiger Stress, Überforderung, innere Veränderungen, zu wenig Schlaf, aber auch Probleme in der Partnerschaft sind häufige Ursachen dafür. Dann ist es wichtig, sich das auch selbst einzugestehen und mit dem Partner darüber zu sprechen. "Es gibt keine Schuldigen, nur Ursachen. Und die brauchen eine Lösung“, betont Sexualtherapeutin Bragagna. "Überwinde dich und erkläre deinem Partner, was in dir vorgeht, auch wenn dir das schwerfällt.
Bei einem gemeinsamen Spaziergang, bei dem man einander nicht unbedingt anschauen muss, lassen sich Unstimmigkeiten gut besprechen. Wenn du selbst nicht genau weißt, was dir Spaß macht, stehe genauso dazu und begebe dich mit dem Partner auf eine Reise ins Unbekannte - mit Neugier, Leichtigkeit und Freude. Sex ist nichts Ernstes, sollte sinnlich, lustvoll und ekstatisch sein."
Frischer Wind tut dem Sexleben gut
Und manchmal schadet es auch nicht, für frischen Wind zwischen den Laken zu sorgen. Vor allem in Langzeitbeziehungen schleicht sich gerne Routine ein, die den Sex eintönig machen kann. Zuerst gilt es dann, das eigene Leben sexfreundlich zu gestalten. Setzen dir körperlich-sinnliche Schwerpunkte. Eine neue Frisur, ein schönes Kleid, ein sinnlicher Duft können die eigene Wahrnehmung verändern. Brich aus deinem Routinealltag aus, kleine Veränderungen genügen oft schon, damit dein Partner dich erregend findet. Sprich darüber, was dir Spaß macht, wo du gerne Neues ausprobieren würdest.
Viele Paare reden nur am Anfang über Sex, doch gerade in längeren Beziehungen kann sich im Bett eine tiefe Qualität entwickeln, da man die Vorlieben des Partners kennt und genug Vertrauen aufbauen kann, um zu experimentieren. Deshalb ist es wichtig, immer wieder über die gemeinsame Lust zu sprechen. Das bestätigt auch Ralph, der bereits mehrere Jahre verheiratet ist: "Mit den Jahren hat die Qualität des Sex zugenommen. Man kennt die gegenseitigen Vorlieben, hat mehr Vertrauen und bildet dabei eine neue, lustvolle Einheit. Da ergeben sich dann frische Fantasien und Gelüste, die man auch ausprobieren möchte.“
Und sollte man wirklich extrem unterschiedliche Vorstellungen haben, sind auch diese es wert, hinterfragt zu werden. Manchmal stecken tiefverwurzelte Moralvorstellungen hinter einer Ablehnung, die uns vielleicht selbst gar nicht bewusst sind. Meldet sich etwa ein Glaubenssatz wie: "Eine anständige Frau tut das nicht“? Oder hat man Angst vor Kontrollverlust? Viele Wege führen zu mehr Spaß im Bett, es ist wert, sich auf Spurensuche zu begeben.
Die Ärztin und Psychotherapeutin leitet die Akademie für Sexuelle Gesundheit ( afsg.at) und ist Gründerin der Online-Enzyklopädie und Aufklärungsplattform SexMedPedia ( sexmedpedia.com).