Wie Iris Apfel die Modewelt eroberte († 1. März 2024)

Wir alle kennen ihren Namen – und haben zumindest schon einmal ein Foto von der ausgeflippten alten Dame mit den roten Lippen und der dicken runden Brille gesehen. Stilsicher und schrill war Iris Apfel (geborene Barrel) eine Modeikone wie keine andere. In einer Industrie, die von ewiger Jugend, Fitnesswahn und Schönheitsoperationen (von denen sie übrigens nichts gehalten hat) dominiert wird, war sie ein erfrischender Kontrast – und bewies, dass Alter tatsächlich nur eine Zahl ist.

2024 musste die Modewelt von der legendären Lebenskünstlerin Abschied nehmen. Am 1. März 2024 starb Iris Apfel im Alter von 102 in ihrem Haus in Florida. Noch wenige Tage zuvor, am 29. Februar, feierte sie auf Instagram ihren "102. und halben Geburtstag".

Die Todesnachricht schlug auf Social Media wie eine große Welle ein - unzählige Follower:innen und prominente Wegbegleiter meldetet sich unter der Trauerbekundung. Auch bei den Promis war Iris Apfel sehr beliebt. So schickte Tom Neuwirth alias Conchita Wurst ein Herz und Sänger Lenny Krevitz bedankte sich mit den Worten: "You mastered the art of living. Thank you for your energy and inspiration. ❤✊🏾" (Du hast die Kunst des Lebens gemeistert. Danke für deine Energie und Inspiration)

Sie war mehr als eine extravagante, alte Dame mit einer übergroßen Brille und spitzem Humor. Die Inneneinrichterin, Geschäftsfrau, Werbefigur und Influencerin prägte mit ihrem Auftreten und außergewöhnlichen Modegeschmack eine ganze Ära. Ihr außergewöhnliches Leben im Rückblick.

Gesellschaftliche Normen waren ihr schon immer egal. Wenn man bedenkt, in welcher Zeit sie jung gewesen ist – immerhin war sie 1921 (!) geboren – und was damals eigentlich von Frauen erwartet wurde, war ihre ungewöhnliche Karriere umso beachtlicher. Aufgewachsen im jüdischen New Yorker Stadtteil Queens als einziges Kind eines Glasers und der Inhaberin einer Boutique, kam Apfel früh mit Kunst und Design in Berührung.

Die Liebe zu Mode sowie ihr Auge für Details hatte sie vor allem ihrer Mutter zu verdanken. "Sie brachte mir bei, dass Stil eine Frage der Einstellung ist, keine Frage des Geldes", erzählte sie einst in einem Interview. Mit ihr teilte sie auch Schwäche für Accessoires sowie die Gabe, einem Outfit damit gekonnt den letzten Schliff zu verleihen.

Nach einem Kunstgeschichte- und einem Kunststudium arbeitete Apfel zuerst bei der Modezeitschrift "Women's Wear Daily" und danach bei einem Illustrator, bis sie schließlich die Innenarchitektin Elinor Johnson kennenlernte und von ihr aufgrund ihres scharfen Auges engagiert wurde. Eine Karriere in der Interior-Branche hatte gestartet. Durch den zweiten Weltkrieg mussten viele Firmen auf Lieferungen aus Europa verzichten – es war Apfels Chance, neue Designs vor Ort zu entwickeln.

1948 folgte die Hochzeit mit Carl Apfel und damit 67 glückliche Ehejahre – die beiden blieben bis zu seinem Tod verheiratet. Er starb 2015, kurz vor seinem 101. Geburtstag. Was das Altwerden betrifft, scheinten die Apfels etwas richtig zu machen. Auf Instagram postete sie ein Throwback mit den rührenden Worten "Für immer zusammen und dann, puff, war es vorbei ... Ein Tal der Tränen. Ich bin so dankbar dafür, es ist lange her ... Alles Gute zum Jahrestag, ruhe friedlich, mein gutaussehender, süßer Prinz!"

Die beiden entschieden sich übrigens bewusst gegen Kinder, um sich auf ihre Karriere und ein gemeinsames Leben voller Reisen und Abenteuer konzentrieren zu können. Sie besuchten Europa, Ostasien, Südamerika und Nordafrika, erkundeten Flohmärkte und Basare und besorgten seltene, traditionelle Stoffe für die Häuser von Iris' Kunden.

Als die Nachfrage immer weiter anstieg, gründete das Ehepaar ihr Unternehmen "Old World Weavers" und spezialisiert sich auf die Nachahmung von Stoffen aus vergangenen Jahrhunderten. In New York waren sie gut vernetzt, das Geschäft lief gut – so gut, dass sogar Schauspielerin Greta Garbo oder Kosmetik-Unternehmerin Estée Lauder zu ihrem Kundenstamm zählten und sie neun Präsidenten bei der Einrichtung des Weißen Hauses unterstützen.

Apfels Look war bunt und exzentrisch. Ihr ausgefallener Stil erregte schon immer Aufmerksamkeit, die Meinung anderer interessiert sie jedoch wenig. Doch genau dieser ungewöhnliche Sinn für Mode war es, der sie im Alter von 84 Jahren noch weltberühmt machen sollte.

Es ist 2005, als Harold Koda, damaliger Kurator des Metropolitan Museum of Art für eine kurzfristig ausgefallene Ausstellung dringend Ersatz suchte. Er kannte Apfel und bittete sie, Teile ihrer persönlichen Mode- und Schmucksammlung ausstellen zu dürfen. Sie stellte die Ensembles selber zusammen: Unter dem Namen "Rara Avis" – was so viel bedeutet wie "seltener Vogel" – "Selections from the Iris Apfel Collection" wurden über 80 Outfits mit Hunderten von Accessoires gezeigt.

Es war das erste Mal, dass Apfel einer breiten Masse ihren außergewöhnlichen Blick auf Mode präsentierte. Die Ausstellung war ein Riesenerfolg und schließlich wurde die ganze Welt auf die alte Dame aufmerksam.

Die Frau, die sich selbst als "älteste Teenagerin der Welt" bezeichnet, war anders. Und genau deshalb hatte die Modewelt einen Narren an ihr gefressen. Sie war cool, fancy und nahbar. Und sie war ein totales Unikat.

2015 wurde ihr Leben verfilmt – in der Emmy-nominierten Dokumentation "Iris" plauderte sie unerwartet offen aus dem Nähkästchen, spricht über ihre Vergangenheit und zeigt sogar Teile ihres Kleiderschranks.

Abgesehen davon war Apfel bedacht auf ihre Privatsphäre. Sie war zwar auf Social Media und gab Interviews, und doch wahrte sie eine gewisse Distanz zu ihren Fans. Ihre Liebe, ihr Geschäftspartner und Wegbegleiter Carl verstarb kurz nach dessen Fertigstellung. Die Trauer war groß, ihre jugendliche Ausstrahlung beheilt sie trotzdem.

Schließlich kam die renommierte Modelagentur IMG auf sie zu – hier sind auch Hailey Bieber oder Bella und Gigi Hadid unter Vertrag. Apfel shootete Kampagnen für Aigner, Kate Spade, Glossier und die Kosmetikfirma MAC, mit der sie außerdem eine eigene Make-up-Linie kreierte. Es war Anfang 2019, und die damals 97-Jährige ist big im Business. Von Pension keine Spur. "Ich denke nicht, dass eine Zahl definieren sollte, ob ich arbeite oder nicht", sagte sie. "Der Ruhestand ist schlimmer als der Tod."

Ihre Autobiografie heißt passenderweise " Accidental Style Icon". (Auf Deutsch heißt das Buch "Stil ist keine Frage des Alters".) Der Spielzeughersteller Mattel widmete ihr sogar eine eigene Iris Apfel Barbie – eine Ehre für jeden Promi. Sie ist auf YouTube-Videos von der New York Times, Mercedes Benz oder Harper's Bazaar zu sehen.

Sie war einfach nur sie selbst - und das kam an. Iris Apfel setzte neue Maßstäbe fürs Älterwerden und dafür, was im Leben möglich ist.