Was früher hauptsächlich Paare praktizierten, wird auch als Seitensprung immer beliebter. Die 28-jährige Louise erzählt, wie es ihr beim digitalen Gspusi erging.
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Louise hatte mit ihrem Boss eine Affäre. Nicht im echten Leben, sondern "nur" am Smartphone. Das Ganze nennt sich "Sexting". Wie's ihr beim digitalen Flirten erging, erzählt uns die 28-Jährige mit offenen Worten.
Damals war ich 24, unerfahren und neugierig auf was Neues. Die Beziehung zu Klaus, meiner ersten Jugendliebe, lief schon sechseinhalb Jahre und war nicht mehr ganz so aufregend. Mit Markus war das von Anfang an ganz anders! Er war mein Boss, acht Jahre älter als ich. Allein schon unser Altersunterschied faszinierte mich von Beginn an, dementsprechend flirty war unser Arbeitsverhältnis.
An seinen Duft kann ich mich noch sehr gut erinnern. Klingt komisch, aber bei mir ist es so, dass Männer eine besondere Attraktivität auf mich ausüben, wenn ich sie geruchstechnisch intensiv wahrnehme. Ich habe also Markus' Anwesenheit im Laden oft schon an seinem Geruch bemerkt, bevor ich ihn überhaupt gesehen habe. Nur: Rein optisch war er eigentlich eher weniger mein Typ. Trotzdem fand ich ihn total heiß. Und er mich auch. Bald begannen wir, unsere Flirtereien am Arbeitsplatz auch nach Feierabend fortzuführen. Wie das genau losging auf WhatsApp? Irgendwann fragte er mich, was ich eigentlich in ihm sähe. Und ich gab zu, dass ich ihn sexy fand.
So kam dann eines zum anderen, und wir schrieben uns, was wir gegenseitig miteinander machen würden, wenn wir frei wären -Markus war damals ja auch in einer Beziehung. Er schickte mir Komplimente zu meinem Aussehen, zu Outfits, Frisur und Gesicht. So was wie "Das Kleid heute sah einfach mega an dir aus!" oder "Ich liebe deine Frisur, sehr sexy, kann nicht jeder tragen" - das waren aber noch die harmloseren Dialoge.
Wir chatteten anfangs zwei bis drei Mal in der Woche, meist abends. Eine Message von ihm blieb mir noch lange in Erinnerung: Als er mir schrieb, dass er mich im Warenlager gern geküsst und angefasst hätte. Das gab mir wieder das Gefühl, eine attraktive Frau zu sein, was ich ewig nicht mehr so empfunden hatte.
ECHTER SEITENSPRUNG?
Markus war der erste Mann, der mir gegenüber diese Art von sexuellem Verlangen verbalisierte. Mein Freund war da eher von der schüchternen Sorte. Die Beziehung zwischen uns funktionierte, nur blieb die Leidenschaft irgendwann mal in den sechseinhalb Jahren auf der Strecke. Wir hatten sehr wenig Sex, und ich war in dieser Phase sehr gehemmt ihm gegenüber. Ich lebte fast nach der Maxime: Da, wo du liebst, kannst du nicht begehren. Und da, wo du begehrst, kannst du nicht lieben.
Ob ich Klaus gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte? Ja, schon. Für mich beginnt das Fremdgehen im Kopf. Ich finde es ehrlich gesagt auch verletzender, wenn man regelmäßig mit jemandem Kontakt hat, als wenn es zu einem einmaligen Ausrutscher kommt, der einen vielleicht wachrüttelt Sexting ist gleichzeitig belanglos und schwerwiegend, da es kein richtiger, echter Seitensprung ist und man es deswegen immer wieder machen kann. Weil man sich damit tröstet, dass ja eh nichts passiert ist. Aber ist das wirklich so?
Ich liebte meinen Klaus, er war in vieler Hinsicht der perfekte erste Freund -sehr einfühlsam und immer für mich da. Ja, der Beste, den ich mir für meine erste Beziehung hätte vorstellen können! Aber wir waren noch sehr jung und haben uns über die Jahre hinweg einfach auseinandergelebt. Ich hatte aber lange weder den Mut, mich von ihm zu trennen, noch den, einen Schritt in Richtung echte Affäre mit Markus zu wagen. Mir schien beides damals schwierig oder falsch, ich konnte aber auch nicht aus meiner Haut. Ich wusste es einfach nicht besser!
NUDE PIX, SELBSTBEFRIEDIGUNG
Ein paar Monate dauerte dieser Zwischenzustand, bis ich mich von Klaus endlich trennte. Das lag jedoch nicht am Sexting mit Markus, sondern vielmehr an unserer eingeschlafenen Beziehung insgesamt. Dass ich mich auf diese digitale Affäre mit Markus überhaupt einließ, war ja mehr eine Art Symptom meiner Unzufriedenheit, weniger ein Grund dafür. Deswegen erzählte ich ihm das auch nie, um ihn nicht zusätzlich zu verletzen.
Mit meinem Boss schrieb ich weiter auf Whats-App. Er war nach meiner Trennung - große Überraschung -auch Single. Mit uns ging das noch ein paar Monate weiter, wir schickten uns Nacktfotos und von "Du bist einfach unglaublich heiß" bis hin zu "Ich würde dich so gern ficken" war der Weg nicht weit. Klar ging's dabei auch um Selbstbefriedigung und ums Austauschen unserer Fantasien. Wir wollten uns sogar mehrmals zu einem echten Date verabreden - dazu kam es allerdings nie, weil wir immer wieder in letzter Minute absagten.
Ich hatte das Gefühl, dass wir uns aus Angst vor Enttäuschung einfach nicht treffen konnten oder wollten. Wir wussten das beide, also war auch keiner von uns beleidigt. Auch in der Arbeit stand uns das Sexting eigentlich nie wirklich im Weg. Nur wundert es mich heute noch, dass keiner unserer Kollegen etwas gesagt hat. Das, was zwischen uns lief, muss doch aufgefallen sein!
Bald lernte ich im echten Leben einen anderen Mann kennen, und es war für mich ziemlich bald klar, dass ich das mit Markus beenden würde. Er bandelte ohnehin auch ständig mit seiner Ex an, was mir zwar nix ausmachte, aber trotzdem verdeutlichte, wie gehaltlos die ganze Sache zwischen uns eigentlich war. Auf einmal war er für mich ein Feigling, der sich nicht traute, einen Schritt vorwärts zu gehen, und sich stattdessen immer wieder mit seiner Ex zusammenraufte, die er konstant betrog. Wie unattraktiv!
Wir haben nach wie vor Kontakt zueinander, die sexuelle Anziehung zwischen uns beiden hat sich allerdings vertschüsst. Heute weiß ich, dass ich wegen Markus verpasst habe, an meiner richtigen Beziehung zu arbeiten. Ich habe mich einfach falsch verhalten. Vielleicht wäre ja alles wieder gut geworden? Ich bin mit meinem Freund trotzdem sehr happy und liebe ihn nicht weniger als meine Jugendliebe Klaus. Er steht für mich aber weniger auf einem Sockel, vielmehr ist er jemand zum Anfassen, zum Lieben und Begehren. Und klar, wir schreiben auch sexy Nachrichten miteinander.
SEXTING?! WAS KANN DAS EIGENTLICH WIRKLICH?
Ist das jetzt schon Fremdgehen oder eh nicht? Die angehende Sexualwissenschafterin und Autorin Theresa Lachner (lvstprinzip.de) im Interview über Dickpics, Instant-Intimität und gestöhnte Sprachnachrichten.
Was genau versteht man eigentlich unter Sexting, was gehört da alles dazu?
LACHNER: Ganz grob runtergebrochen: erotisierende Kommunikation, meist per Smartphone. Sexy Fotos, gestöhnte Sprachnachrichten, "Würde ich jetzt gern mit dir anstellen"-Texte ... Der Fantasie sind da wenig Grenzen gesetzt.
Und wer macht das?
Laut einer aktuellen US-Studie rund 70% aller 17-24-Jährigen. Früher hat man sich halt erotische Liebesbriefe geschrieben, dann gab's Telefonsex-Hotlines, und heute geht das alles noch ein bisschen schneller und digitaler.
Kann man da von einem Trend sprechen?
Auf jeden Fall! Warum leckt sich ein Hund die Eier? Weil er's kann! Vor 20 Jahren mussten wir unsere Fotos noch tagelang im Drogeriemarkt entwickeln lassen, jetzt bestellen wir Pizza per App. Genauso schnell ist ein "Zeig doch mal deinen Bikiniabdruck, will sehen, ob du schon braun geworden bist ..." getippt -und beantwortet.
Was macht das mit unserem Liebesleben?
Im Idealfall ist Sexting ja der Appetizer, nicht der Hauptgang. Es sollte neugieriger auf mehr machen, ein bisschen die Sehnsucht entfachen. Im schlimmsten Fall ersetzt es das Händeschütteln mit "Hallo! Hier 1 Bild von meinem Penis" und erstickt jedes Interesse direkt im Keim.
Worin besteht der Reiz an dieser freizügigen Kommunikation?
Es ist eine Instant-Intimität, ein kurzer Urlaub fürs Gehirn und auch eine erst mal relativ unschuldig daherkommende Möglichkeit, bei neuen Fantasien schon mal vorzufühlen.
Was sollte man eher vermeiden?
Das weiß jeder, der schon mal ein ungefragtes Penisfoto bekommen hat: Consent is sexy! Nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Wir sind alle dauernd erreichbar, das heißt aber nicht, dass wir auch ständig geil sind.
Sollte das jeder mal ausprobieren?
Niemand soll irgendwas machen, worauf er keine Lust hat. Und sich auch von niemandem dazu drängen lassen. Vor allem nicht von irgendwelchen sleazy Tinder-Typen, die nur mal eben eine Wichsvorlage abgreifen wollen.
Für wen ist Sexting gar nicht geeignet?
Für Menschen, die sich noch nicht kennen. Don't sext before you sex!
Ist Fremd-Sexting okay, auch wenn man fix vergeben ist?
Kommt auf die Beziehung an. Wer das noch nicht dezidiert mit seinem Partner ausverhandelt hat, sollte am besten von sich selbst ausgehen: Wie sehr würde es mich anpissen, auf dem Handy meines Partners Nacktfotos von anderen Frauen zu finden? Dann besser selbst keine schicken.
Oder ist Sexting schon Fremdgehen?
Ich persönlich finde, ja. Je nachdem, was man tut, kann das ziemlich intensiv und intim werden. In einer heteronormativ-monogamen Paarbeziehung besser nur mit Schatzi machen. Der freut sich eh auch, wenn er mal was anderes als "Kannst du noch Brot mitbringen" zu lesen bekommt.