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Familie: Was heißt das heute eigentlich?

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Bunte Zahnbürsten auf hellem Hintergrund

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Obwohl bereits diverse Formen gelebt werden, halten sich traditionelle Ideale hartnäckig. Was wir gewinnen, wenn wir uns von alten Vorstellungen lösen, und welche Schritte dafür gesellschaftlich nötig sind.

Vater, Mutter, Kind – so sah lange Zeit das erstrebenswerte Ideal der Kernfamilie als Keimzelle der Gesellschaft aus. Und das tut es gewissermaßen noch immer. Obwohl in der Praxis die Definitionen von Familie so vielfältig sind wie die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Menschen. Von Regenbogen bis Patchwork gibt es heute abseits des klassischen Modells mannigfaltige Formen des familiären Zusammenlebens. "Die Idee von einer Kernfamilie, bei der ein verheiratetes Elternpaar mit biologischen Kindern im gleichen Haushalt wohnt, existiert als normative Vorstellung bereits seit dem 18. Jahrhundert", erklärt Familiensoziologin Ulrike Zartler. Geschlechterrollen seien bei dieser sehr genau festgelegt: Während der Mann für die ökonomische Versorgung zuständig ist, kümmert sich die Frau darum, "das traute Heim möglichst schön herzurichten und die Kinder gut zu begleiten".

Lebbar war dieses Konzept aber bereits in der Vergangenheit nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung, wie die Universitätsprofessorin ausführt, "weil die Lebensbedingungen der meisten Familien es gar nicht zuließen, dass die Frau sich ausschließlich um Haushalt und Kinder kümmerte. Geschichtlich gab es 90 Prozent bäuerliche Familien. Hier war es nicht möglich, diese Rollenideale umzusetzen." Der einzige und erste Zeitraum, in dem das für einen großen Teil der Bevölkerung möglich gewesen ist, "war ungefähr zwischen den 50ern und den 1970er-Jahren. Historisch sind zwei Jahrzehnte ein extrem kurzer Zeitraum. Trotzdem ist das die Vorlage, auf die sich noch immer viele beziehen. Und die Idealvorstellung davon, was das Eigentliche ist, wie Familie war und wie sie sein sollte."

Wesentlich breiter gefasst ist der Begriff mittlerweile beispielsweise in Dänemark. Dort gibt es aktuell 37 registrierte Familienformen. Hierzulande hingegen sind die traditionellen Einstellungen nach wie vor stark verankert, wie Zartler aus ihrer Forschung weiß: "In Österreich stimmt ungefähr jeder und jede Zweite zu, dass ein Kind unter der Berufstätigkeit der Mutter leiden wird, unabhängig vom Alter des Kindes und dem Ausmaß der Erwerbstätigkeit. Auf dieser Basis entsteht bei vielen Müttern ein schlechtes Gewissen." Nach dem Konzept der klassischen Kernfamilie zu leben, sei im Lauf der Zeit trotzdem immer unrealistischer geworden, so die Wissenschafterin – aus unterschiedlichen Gründen. Zum Beispiel, weil es in einer Zeitspanne entstanden ist, in der die Lebenserwartung relativ niedrig war und das Zusammenleben mit unmündigen Kindern bis zu zwei Drittel des ganzen Lebens ausgemacht hat. "Heute hingegen ist es nur noch ein Viertel", so Zartler. Übersehen wird häufig auch, dass viele Familienkonstellationen, die als modern oder neu wahrgenommen werden, auch schon früher existiert haben. "Es gibt hier große Irrtümer. So haben wir aktuell ungefähr neun Prozent Stieffamilien, das ist viel weniger, als die meisten glauben. Historisch waren Stieffamilien wesentlich stärker verbreitet, als sie es aktuell sind."

Im Wandel

Auch wenn das traditionelle Familienbild noch immer häufig als Maßstab gilt, steigt die Akzeptanz für vielfältige Lebensformen, erklärt Zartler und nennt als Beispiel Befragungen zu Regenbogenfamilien: "Mittlerweile sehen wir relativ hohe Zustimmungswerte, wenn es darum geht, ob ein Paar, das jeweils aus zwei Männern oder zwei Frauen besteht, ebenso gut ein Kind großziehen kann wie ein gegengeschlechtliches." Auch rechtlich seien gleichgeschlechtliche Paare mittlerweile nahezu gleichgestellt. Die dafür notwendige Gesetzesänderung zur eingetragenen Partnerschaft wurde in Österreich 2010 – und damit im Vergleich zu anderen Ländern recht spät – umgesetzt.

Nach wie vor einen Nachteil in Sachen reproduktive Medizin haben Männerpaare, "aufgrund des Verbots von Leihmutterschaft und der schwierigen ethischen Überlegungen, die damit verknüpft sind", so Zartler. Keine unterstützenden Angebote im Bereich der reproduktiven Medizin gibt es außerdem für alleinstehende Frauen, die ein Kind bekommen möchten. Eine In-vitro-Fertilisation (IVF) können sie nur auf eigene Kosten im Ausland in Anspruch nehmen. "Auch hier schwingt dieses Ideal, wie eine Familie aussehen sollte, mit. Der Gesetzgeber sagt ganz klar, dass er ,Single Mothers by Choice‘, also Frauen, die den Weg zum Wunschkind allein gehen wollen, nicht fördern möchte." Die gesetzliche Lage zu ändern, wird von Expert:innen jüngst immer wieder gefordert.

Rechtliche Situation

Nachholbedarf sieht Zartler auch im Wissen über die rudimentäre Reglementierung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften. "Viele Menschen glauben, dass es nach einer bestimmten Zeit des Zusammenlebens eine Gleichstellung zur Ehe gibt, aber das stimmt nicht. Hier ist Aufklärungsarbeit notwendig, weil es riskant sein kann, wenn man davon ausgeht, rechtlich abgesichert zu sein." In eine ähnliche Kerbe schlägt Rechtsanwältin und Mediatorin Andrea Posch. Zwar seien Kinder in puncto Unterhalts- oder Erbrecht auch dann abgesichert, wenn ihre Eltern nicht verheiratet oder verpartnert sind. Im Fall, dass sich eine:r der beiden aber verstärkt um den Nachwuchs gekümmert und deswegen beruflich zurückgesteckt hat, hat diese Person nach einer Trennung keinen Anspruch auf Unterhalt.

"In der Realität ist es tendenziell noch immer so, dass es die Frauen sind, die nicht nur (länger) in Karenz gehen, sondern auch danach häufiger Teilzeit arbeiten, etwa weil keine adäquate Kinderbetreuung vorhanden ist. In einer Lebensgemeinschaft haben sie keine Möglichkeit, dafür einen finanziellen Ausgleich zu fordern. Das ist aus meiner Sicht eines der größten Probleme in der Praxis." Sie sieht hier den Gesetzgeber in der Pflicht, neue rechtliche Formen zu schaffen: "Es kann nicht sein, dass junge Menschen heiraten müssen, damit sie abgesichert sind, wenn sie das gar nicht wollen."

Wahlverwandschaften

Ein weiteres Phänomen, das laut Zartler in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird, ist das Konzept der "Chosen Family". "Lange galt die Überlegung, dass Familienmitglieder entweder verheiratet oder blutsverwandt sind und alles andere nicht als Familien betrachtet werden kann. Tiefe Verbindungen zu anderen Menschen, auf die das nicht zutrifft, werden aber immer wichtiger. Umgekehrt gibt es zahlreiche Familien, wo gar kein Kontakt zwischen einzelnen Familienmitgliedern besteht oder Personen nicht miteinander sprechen."

Die französische Autorin und Politologin Emilia Roig etwa erzählt in ihrem Buch "Lieben" (Hanser, € 20,60) offen von den Problemen innerhalb ihrer biologischen Familie. Mittlerweile ist der Kontakt mit fast all ihren Familienmitgliedern abgebrochen, schreibt sie. Ein schmerzhafter Prozess, der ihr auch aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen nicht leicht fiel. Roig ist überzeugt: "Wir brauchen eine erweiterte Bedeutung von Familie und auch die Einsicht, dass das Biologische nicht alles bedingt." Die Autorin hat ein erweitertes Verständnis von Familie – und ist der Meinung, jede:r sollte für sich entscheiden können, welchen Stellenwert eine Chosen Family einnimmt. "Es geht darum, Hierarchien aufzubrechen."

Machtgefälle

Die Kleinfamilie als mächtige gesellschaftliche Norm hingegen sieht Roig höchst kritisch. Aus eigener Erfahrung thematisiert sie, was im Sinne der Aufrechterhaltung eines vermeintlich harmonischen Ideals häufig verschwiegen wird: dass die Familie oft kein sicherer Ort ist, sondern jener, an dem vor allem Frauen und Kinder Gefahren ausgesetzt sind. Statistiken zufolge werden die meisten Femizide in Österreich von (ehemaligen) Partnern begangen. Dabei beginnt die Gewalt meist viel früher. Roig selbst wurde von einem nahen Familienmitglied lange Zeit sexuell missbraucht. "Ich habe niemandem davon erzählt, weder als Kind noch als Erwachsene. Der sexuelle Missbrauch von Kindern im familiären Umfeld spielt sich im Bereich der Unwirklichkeit ab", weiß die Autorin heute. "Es ist so grausam, dass es als ein unmenschlicher, monströser Akt behandelt wird. Doch Monster gibt es nicht, und das Verdrängen dieser Taten ins Unmenschliche erschwert es den Betroffenen, das Erlebte sichtbar und greifbar zu machen."

Damit zeigt sie auch auf, inwiefern eine Chosen Family nicht bloß eine Wahl ist, sondern unentbehrlich für das seelische Wohlbefinden sein kann. Darüber hinaus appelliert die Autorin in Richtung Politik: "Es wäre wichtig, Autorität innerhalb von Familien kritisch zu besprechen." Sie ist überzeugt, dass auch Männer davon profitieren würden, die etablierten Modelle zu hinterfragen: "Die vorherrschenden Familienkonstellationen verleihen Männern auf kultureller Ebene sehr viel Macht. Dabei sind es vor allem Frauen, die in der Kernfamilie Fürsorge geben. Die Tatsache, dass man das nicht tun muss, wird als Privileg gesehen", gibt sie zu bedenken. Ein Trugschluss: "Fürsorge zu schenken, ist eine zentrale Aufgabe des Menschseins. Es ist etwas Schönes." Ob Vater, Mutter, Kind – letztlich würden alle profitieren, wenn die alten Ideale aufgebrochen und neu gedacht werden.

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