
Spoiler! Auch dieses Jahr verdienen Frauen für die gleiche Arbeit noch immer weniger als Männer. Was muss passieren, damit wir endlich weiterkommen: ein Denkanstoß aus der WOMAN-Redaktion.
... wir nicht ständig die gleichen Kämpfe führen müssten!
Tja. Wir haben das Jahr 2025, und das ist leider eine Utopie. Als ich vor 18 Jahren meine ersten Interviews für WOMAN führen durfte, hätte ich nicht gedacht, dass wir fast zwei Jahrzehnte später noch immer über die gleichen Themen diskutieren wie damals: Gender-Pay-Gap, Care-Arbeit, gläserne Decke. Doch hier sind wir. Immer noch. Dieselben Forderungen, dieselben Argumente, dieselben Ausreden. Wir müssen weiter Energie in Diskussionen stecken, die längst überflüssig sein sollten. Wir müssen Rechte verteidigen, die für alle auf dieser Welt gelten sollten. Was wäre, wenn wir die ganze Kraft, die in diese ewigen Debatten läuft, in echten Fortschritt stecken könnten? Und ich frage mich: Wie viele Jahre müssen noch vergehen, bis Gleichberechtigung nicht mehr erkämpft werden muss, sondern einfach gelebt wird?
Ich höre schon die Einwände: „Ja, aber wir haben doch …“ – Stimmt schon, es ist nicht so, dass sich nichts verändert hat. Da sind Fortschritte. Mehr Frauen in Vorständen, Väter, die sich aktiv in der Kindererziehung engagieren, eine laute, entschlossene feministische Bewegung. Und doch: Sobald Frauen zu viel fordern beziehungsweise zu viel Raum einnehmen, wird ihnen erklärt, dass „die Männer jetzt ja gar nichts mehr dürfen“. Oder – auch das ein Klassiker – die Frage gestellt: „Was wollt ihr denn noch alles?“
Sein statt Schein
Ich will, dass wir endlich aufhören, uns im Kreis zu drehen – und anfangen, weiterzugehen. Das Ziel muss sein, nicht nur über Gleichberechtigung zu sprechen, sondern sie aktiv in zentralen Bereichen wie Arbeit, Politik und Bildung umzusetzen. Konkrete Maßnahmen wie gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit gesetzlich zu verankern. Aber es geht über die Politik hinaus und betrifft uns alle. Jeder und jede Einzelne kann etwas beitragen. Wenn wir beginnen, Verantwortung zu übernehmen, auch im Kleinen, etwa bei persönlichen Entscheidungen: Wie verteile ich Aufgaben in meiner Familie? Unterstütze ich Projekte, die sich für eine faire Gesellschaft einsetzen? Stehe ich auf, wenn Ungerechtigkeit passiert – auch wenn sie mich nicht direkt betrifft? Gleichberechtigung ist eine Entscheidung. Und die müssen wir alle jeden Tag treffen.
Von Melanie Zingl, Chefredakteurin WOMAN


© Alice Sowa / Studio Fritti
... alle verstehen, dass Gleichberechtigung auch Männer befreit!
Viel zu oft wird Gleichberechtigung noch immer als „Frauensache“ abgestempelt. Dieser Logik folgend ist es eine weibliche Angelegenheit, für faire Bezahlung, sichere Straßen und ein Leben ohne gläserne Decke zu kämpfen. Weil viele dieser Anliegen noch immer außer Reichweite sind, hätten sich die Frauen halt einfach – neben Care-Arbeit, Mental Load und struktureller Diskriminierung – ein bisschen mehr anstrengend müssen, um diese durchzusetzen. Geschlechtergerechtigkeit ist aber keine Einbahnstraße – und zwar in keine Richtung. Sie betrifft die gesamte Gesellschaft. So wie alle Menschen – und der gesamte Planet – unter dem Patriarchat leiden, würden sie wiederum kollektiv von echter Gleichstellung profitieren. Sie wäre eine Befreiung – auch für Männer. Zum Beispiel von der Zwangsjacke geschlechtsspezifischer Rollenzuschreibungen. So weiß die Forschung mittlerweile, dass Männer, die mehr Fürsorgearbeit übernehmen, auch gesünder sind, länger leben und seltener Suizid begehen. Es wäre nur langsam an der Zeit, dass sie das auch selbst mal merken. Denn es kann nicht (länger) die Aufgabe von Frauen sein, zu versuchen, Männer durch (mühsame und kostenlose) Aufklärungsarbeit von diesem Mehrwert zu überzeugen.
Männliche Solidarität
Genauso sollte es jedem Mann 2025 zuzutrauen sein, nicht erst Vater einer Tochter werden zu müssen, um für Frauenrechte einzustehen. Die polnisch-deutsche Autorin und Kolumnistin Margarete Stokowski nennt diese Männer im Spiegel passenderweise "Feminist durch Geburt (aber nicht die eigene)". Und hat berechtigterweise Fragen: Wie haben sie diese Kinder bekommen? Per Lieferung unter den Stein, unter dem sie vorher ein paar Jahrzehnte gelebt haben? Haben diese Männer vorher nie mit einer Frau geredet beziehungsweise einer Frau mal zugehört?
Feminismus ist kein exklusiver Club mit strenger Türpolitik, die Männern Zutritt zu diesem verwehren soll. Im Gegenteil: Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht! Selbst nicht gewalttätig gegenüber Frauen zu sein, macht einen aber noch lange nicht zum Feministen. Laut zu schweigen, wenn es um die Integrität und Rechte von Frauen geht, ebenfalls nicht. Wir könnten schon so viel weiter sein, wenn Feminismus nicht als Bedrohung, sondern als Chance verstanden würde. Wenn nicht länger so getan wird, als würde ein Mehr für die Frauen automatisch ein Weniger für die Männer bedeuten. Eine Welt, in der Menschlichkeit vor dem Geschlecht kommt, bedeutet ein Mehr an Freiheit und Möglichkeiten für alle.
Ein System, das Gleichstellung ermöglicht, nimmt niemandem etwas weg – außer vielleicht die Illusion, dass das Geschlecht bestimmend dafür ist, welche Rolle uns in der Gesellschaft zugewiesen wird. Das wiederum wäre ein wahrer Gewinn für alle.
Von Elisabeth Mittendorfer, Leitende Redakteurin WOMAN


... wir Frauen kollektiv streiken und keine unbezahlte Care-Arbeit mehr leisten!
Ein aufregender Gedanke: Was wäre, wenn alle Frauen von heute auf morgen streiken würden? Auf die Straße gehen oder ihre Arbeit hinlegen, alles blockieren – und sich kollektiv verweigern. Genau so, wie es die Salzburger Autorin Mareike Fallwickl in ihrem feministischen Gesellschaftsroman „Und alle so still“ beschrieben hat: Frauen, die aussteigen. Weil sie nicht mehr können. Und wollen. Was dann also passieren würde? Unser komplettes System würde von heute auf morgen an die Wand fahren und kollabieren. Ciao Kakao. Kinder und Familien, Alte und Kranke würden dahinsiechen und buchstäblich verhunger n, unsere Gesellschaft wäre nicht überlebensfähig. Nichts würde mehr gehen. Ich übertreibe? Leider nicht.
Ein paar Fakten
Unser ganzes System basiert auf der unbezahlten körperlichen und emotionalen Arbeit von Frauen. Die internationale Organisation Oxfam hat errechnet, dass wir jeden verdammten Tag auf diesem Planeten über zwölf Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit leisten. Würde man diese Zeit mit einem Mindestlohn vergüten, wäre die Summe 24 Mal größer als der Umsatz von Apple, Google und Facebook zusammen. ZUSAMMEN! Die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winkler eruierte, dass Frauen an einem Tag mehr Stunden für unbezahlte Care-Arbeit aufbringen als für ihre bezahlte Lohnarbeit – nämlich 1,3 Mal so viel. Wäre Fürsorgearbeit bezahlt, dann wäre sie der größte Wirtschaftsbereich in unserem Land.
So wäre sie in der Schweiz mit 360 Milliarden Euro noch größer als der Banken- und Pharmasektor, schreibt Autorin Alexandra Zykunov in „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“. In Deutschland etwa wurde der finanzielle Gegenwert von unbezahlter Care-Arbeit schon 2016 auf 39 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes geschätzt. Und in Österreich machte während der Pandemiejahre diese Form der Arbeit 45 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aus! Unfassbare Beträge sind das eigentlich, für die Frauen umsonst schuften, ihre eigentlichen Erwerbsstunden runterfahren, Karrieren vernachlässigen, Gehalt einbüßen und den sowieso schon gigantischen Gender-Pay-Gap noch weiter vergrößern.
Sorry, es wird jetzt noch ungemütlicher. Wussten Sie, dass eine Frau mit Kind in ihrem Leben 40 Prozent weniger verdient als ein Mann mit Kind? Und eine dreifache Mutter sogar fast 70 Prozent ihres potenziellen Vermögens verliert? Bei Männern wirkt sich Nachwuchs statistisch gesehen weder auf ihr Gehalt noch auf ihr Vermögen aus. Wenn sie nach Hause kommen, sinkt ihr Stresslevel, während der Cortisol-Spiegel ihrer Partnerinnen steigt. Frauen arbeiten 98 Stunden pro Woche, und das macht sie auf Dauer krank und depressiv. On top werden sie und ihre Leiden von der männerbasierten Medizin oft nicht ernst genommen, und sie müssen im Schnitt vier Jahre länger auf eine Diagnose warten als Männer.
Wanted: System-Neustart
Sie sehen schon: Die Liste an Ungerechtigkeiten in unserem patriarchalen System wird auch 2025 nicht kürzer. Im Gegenteil. Wir schlittern von einer politischen Katastrophe in die nächste. Ein Blick in die täglichen Nachrichten reicht, um mehr als nur Bauchweh zu bekommen. Wütend zu werden! Wie viel Wut braucht es eigentlich, um ein System neu zu starten? Darüber sollten wir ALLE mal nachdenken.
Von Angelika Strobl, Redakteurin WOMAN
Über die Autor:innen

Elisabeth Mittendorfer
Elisabeth schreibt als leitende Redakteurin für WOMAN für das Ressort Porträts & Reportagen.

Melanie Zingl
Melanie ist seit 2007 bei der Verlagsgruppe News (VGN) tätig. 2016 wurde sie Leitende Redakteurin und 2018 Stellvertretende Chefredakteurin. Seit 2024 ist Melanie Chefredakteurin bei WOMAN. Ihr erklärtes Ziel: "Make the World more WOMAN. Weil wir davon überzeugt sind, dass eine gleichberechtigte Welt eine bessere ist."

Angelika Strobl
Angelika schreibt für WOMAN für das Ressort Porträts & Reportagen.