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Raus aus deinen To-do-Listen, rein in den Entspannungsmodus! Warum Erholung kompromisslos ist, aber bei jedem ganz unterschiedlich aussehen kann. Gemeinsam mit drei Expert:innen fragen wir uns, was es braucht, um unsere Batterien aufzuladen.
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"Komm in einen gemütlichen, aufrechten Sitz, schließe deine Augen und atme dreimal tiiief durch." - Na, auch schon relaxt bis in die Zehenspitzen? Zahlreiche Meditationen, die genau so beginnen, versprechen nichts Geringeres. Ihre Titel: "Energiedusche", "Kleine Auszeit", "Quelle der Entspannung". In zehn bis 20 Minuten wollen sie uns gedanklich an den Strand beamen und unsere Seele kopfüber baumeln lassen. Ob das funktioniert? Fraglich. Sicher ist jedoch: Das Angebot boomt, denn die Nachfrage nach Erholung ist riesig.
Je stressiger der Alltag, desto mehr sehnen wir uns nach einer Pause. Im Sommer ist sie für viele in greifbarer Nähe. Das ist wichtig – nicht nur für unser Wohlbefinden, sondern auch für unsere Motivation. Diese wird schon dann gesteigert, wenn wir eine Auszeit auch nur in Aussicht haben, kennt Erholungsforscher Gerhard Blasche die Hintergründe: "Als man zum ersten Mal untersucht hat, wie sich Pausen auf die Psyche auswirken, lautete das überraschende Ergebnis, dass diese bereits im Vorhinein einen motivierenden Effekt haben." Das sei auch der Grund, warum wir uns freitags oft weniger müde fühlen, wenn ein freies Wochenende vor uns liegt.
Damit eine Pause als erholsam wahrgenommen wird, muss man allerdings abschalten können: "Einer der wesentlichen Faktoren dafür ist, sich gedanklich von seinen Aufgaben loszulösen." Denn Stress, das wissen die meisten von uns aus Erfahrung, ist ortsunabhängig: Selbst wenn wir nicht mehr bei der Arbeit sind, können wir uns von offenen To-dos und Deadlines nachhaltig unter Druck gesetzt fühlen. Doch was tun, wenn sich der Abschaltknopf einfach nicht finden lassen will, wir nicht in den Entspannungsmodus kommen?
Blasche, der als Psychologe am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien tätig ist, empfiehlt, einen klaren Cut zu ziehen: "Das gilt vor dem Urlaub genauso wie vor dem Feierabend oder dem Wochenende. Heimfahren, den Ort wechseln oder sich etwas anderes anziehen kann helfen, mental Abstand herzustellen." Ein weiterer wesentlicher Punkt: die Erreichbarkeit einschränken. Sprich: das Diensthandy aus – oder zumindest auf lautlos drehen, keine Mails mehr lesen. "Das bezieht sich auf das Technische, aber vor allem auch auf die psychische Ebene. Sich zu sagen: Ich muss mich jetzt nicht mehr mit der Arbeit befassen, auch wenn ich es tun könnte."
Wo bleibt die Freizeit?
Was logisch klingt, kostet viele Überwindung. Vor allem im Homeoffice verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend. Studien zeigen, dass zu Hause mehr Überstunden gemacht werden als im Büro. Obwohl das Bewusstsein für die gesundheitsschädigenden Auswirkungen von Stress gestiegen ist, sieht der Alltag oft anders aus: Laut einer Umfrage der Arbeiterkammer ist jede:r Dritte in der Freizeit für den oder die Chef:in oder Kolleg:innen erreichbar. Aufgrund derartiger Untersuchungen befasst sich das EU-Parlament derzeit mit einem Recht auf Nichterreichbarkeit.
Die amerikanische Bestsellerautorin Jenny Odell kritisiert diese gesellschaftspolitische Entwicklung scharf. In "Zeit finden. Jenseits des durchgetakteten Lebens" zeichnet Odell, die an der Stanford University unterrichtet, nach, wie die Industrialisierung zur vorherrschenden "Zeit-ist-Geld-Mentalität" führte und damit unser Zeitverständnis nachhaltig veränderte. Stunden und Minuten wurden zum Konsumgut – und haben gleichzeitig über Jahrzehnte an Wert verloren. Denn während die Produktivität steigt, stagnieren Gehälter im Vergleich dazu. Damit verbunden wirft Odell die Frage auf, für wen (wie viel) Zeit letztendlich (wie viel) Geld bedeutet?
Dass der Leistungsdruck in den letzten 30 Jahren gestiegen ist, sei empirisch jedenfalls gut belegt, merkt Erholungsforscher Blasche an: "Wir arbeiten autonomer und eigenverantwortlicher, wodurch das Abschalten schwerer fällt." Die Konsequenz: Vor lauter To-dos und Deadlines wissen viele von uns gar nicht mehr, wie ein Leben ohne Zeitdruck aussehen könnte. Dabei beschreibt Jenny Odell Auszeiten gar als schiere Notwendigkeit, um ein kollektives Burnout zu verhindern. Dass wir uns regelrecht zu Pausen zwingen müssen oder ein Gesetz brauchen, um diese durchsetzen zu können, sei dem als erstrebenswert geltenden durchgetakteten Lebensstil geschuldet – der sogenannten Hustle Culture: "Jeder einzelne Moment wird erfasst, optimiert oder als ökonomische Ressource vereinnahmt."
Das spiegelt sich auch in sozialen Medien wider, wo um fünf Uhr früh aufzustehen, um Mails abzuarbeiten und danach zu joggen, gern als Gewinner-Mindset geframt wird. Der viel zitierte vermeintliche Motivationssatz "Auch Beyoncé hat nur 24 Stunden pro Tag" fügt sich gut in dieses Bild. Er will uns sagen: Wenn ein Weltstar Training, Care-Arbeit, Partnerschaft, Mutterschaft und Red-Carpet-Auftritte unter einen Hut bekommt, schaffst du das mit links! Doch der Vergleich hinkt, denn er lässt soziale Unterschiede außen vor. Tatsache ist: Der Tag des Superstars hat viel mehr Stunden, denn Beyoncé hat die finanziellen Mittel, um Aufgaben auszulagern, für die sie sonst ihre eigene Zeit aufwenden müsste.
Die Arten der Entspannung
Jenny Odell ist überzeugt: Gehen wir nicht runter vom Gas, macht uns das langsam, aber sicher kaputt. Sie fordert ein neues Verständnis – oder besser noch: eine neue Wertschätzung – unserer Zeit. Fehlen uns regelmäßige Auszeiten zur Erholung, hat das nicht nur negative Auswirkungen auf unsere Produktivität, sondern auch auf unsere Gesundheit, unser psychisches Wohlbefinden, unsere Beziehungen und unsere Kreativität, warnen Forscher:innen. Die Rechnung ist einfach: Je produktiver wir sind, desto mehr Ausgleich ist nötig, weiß Blasche: "Wenn jemand zum Beispiel zwei 12-Stunden-Dienste hintereinander arbeitet, braucht er mitunter drei freie Tage, um wieder ganz runterzukommen. Dasselbe gilt bei sehr konzentrierter Arbeit. Ein Wochenende kann zu kurz sein, um das auszugleichen." Bloß: Was anfangen mit der Zeit, wenn sie einem plötzlich nicht mehr durch die Finger rinnt?
Sich nicht nur ins Bett oder in die Hängematte zu legen, rät die amerikanische Ärztin und Autorin Saundra Dalton-Smith. Regeneration kann bisweilen ganz anders aussehen, als wir uns das im ersten Moment vorstellen. Die 51-Jährige hat selbst unter einem Burnout gelitten und identifizierte im Zuge ihrer Arbeit mit Patient:innen sieben verschiedene Arten der Erholung: körperliche, mentale, soziale, geistige, sensorische, emotionale und kreative. In ihrem Buch "Reset. Programmieren Sie Ihr Leben neu!" beschreibt sie anhand von Beispielen anschaulich, welche Symptome welcher Art der Erholung bedürfen. Häufig fühlen wir uns einfach erschöpft, "doch die Frage ist, welche Art von Müdigkeit empfindest du?", merkt Dalton-Smith an. "Fatigue kann sich durch ausschweifende To-do-Listen, einen Mangel an erholsamem Schlaf, durch ungesunde Ernährung, ein hormonelles Ungleichgewicht (...) oder das Gefühl, keinen Sinn in seinen Tätigkeiten zu sehen, ergeben." Den Grund herauszufinden, sei eine Challenge, kennt die Ärztin die Hintergründe. Doch auch notwendig, um zu wissen, wie wir eine Pause für uns sinnvoll nutzen können.
Im Zuge ihrer Forschung stellte Dalton-Smith fest: "Unser Verständnis von Erholung ist ein falsches. Denn wir setzen sie mit der Einstellung jeglicher Aktivität gleich." Sie ist überzeugt: "Nur Schlaf und ab und zu in den Urlaub zu fahren, wird nicht ausreichen, um Defizite auszugleichen." Auch Psychologe Blasche rät neben größeren Auszeiten zu kleinen Entspannungsinseln im Alltag, "weil wir Erholung nicht über einen längeren Zeitraum speichern können und daher immer wieder Episoden brauchen, um die Ermüdungsbilanz auszugleichen".
Ruhe ist nicht gleich Ruhe, resümiert Dalton-Smith: "Die effektivste Erholung findet statt, wenn wir jene Teile unseres Lebens, die wir regelmäßig erschöpfen, gezielt wiederbeleben." Fühlst du dich etwa sozial ausgebrannt, kannst du mit ausgewählten Interaktionen mit geliebten Personen entgegenwirken. Hör am besten auf deine innere Stimme, rät die Expertin: "Der Körper weiß, wenn ein Ungleichgewicht besteht. Wir haben nur aufgehört, ihm zu trauen." Sie ermutigt, wieder damit anzufangen. Bei der Innenschau kann eine Meditation helfen. Also schließe deine Augen und atme tiiief durch ...
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