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Mental Load: Wenn die (unsichtbare) Denkarbeit im Kopf kein Ende nimmt

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15 min
Illustration eines Frauenkopfes, aus dem kleine Zettel fliegen

©Midjourney/Elke Mayr
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Wenn einem unzählige und vor allem nicht sichtbare Denk- und Planungsarbeiten im Kopf herumschwirren, hat dieses Gefühl der mentalen Überlastungen einen Namen: Mental Load. Warum großteils (berufstätige) Mütter davon betroffen sind, welche Anzeichen es gibt und wie Mental Load gerecht in der Partnerschaft aufgeteilt wird, verrät die Expertin.

Einblick in mein Gedankenkarussell als berufstätige Zweifachmama: Brauchen die Kinder heute eine Nachmittagsjause mit in den Kindergarten? Haben wir noch genug Obst? Habe ich den Kontrolltermin bei der Kinderärztin ausgemacht? Habe ich bei der Kindergeburtstagsfeier schon zugesagt? Habe ich meine Mama gebeten, die Kinder übermorgen aus dem Kindergarten abzuholen? Habe ich meiner Kollegin auf das eine wichtige Mail geantwortet? Warum geht der Wäschekorb schon wieder über? Diese Aufzählung könnte ich gefühlt endlos weiterführen ...

Diese unsichtbare Denkarbeit (Mental Load) gepaart mit der tatsächlichen Ausführung all dieser Aufgaben bzw. To-dos – Stichwort: (unbezahlte) Care-Arbeit (Sorgearbeit) – ist eine große körperliche sowie seelische Belastung für Eltern, vor allem für Mütter, die allerdings viel zu selten gesehen und gewürdigt wird – und bezahlt schon einmal gar nicht.

Natürlich sind nicht nur Mütter von Mental Load betroffen, aber seid ich Mama bin, hat diese unsichtbare Denkarbeit ein anderes Ausmaß angenommen. Eine, die sich mit dieser Thematik nicht nur privat als Mama auseinandersetzt, sondern auch beruflich, ist "The Happiness Institute"-Gründerin Valerie Junger. Die Art Direktorin, Yogalehrerin und zertifizierte Lebens- und Sozialberaterin sowie systemische Personal- und Business-Coachin hat mir wichtige Fragen zu Mental Load beantwortet.

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Valerie Junger, die auch den sehr interessanten Podcast "The Happiness Insight" hostet, supportet unter anderem Mütter, die sich nach der Karenz beruflich verändern möchten.

© Sandra Schwaiger

Zum Einstieg: Was ist Mental Load?

Über den Begriff Mental Load stolpert heutzutage jede:r von uns, auch wenn man vielleicht nicht akut davon betroffen ist. Aber was steckt hinter dieser Bezeichnung? "Mental Load ist wie ein unsichtbarer Rucksack voller Verantwortlichkeiten, der ständig auf unseren Schultern lastet. Es sind nicht nur die vermeintlich sichtbaren Aufgaben wie Einkaufen, Kochen oder Care-Arbeit, sondern auch die unzähligen kleinen Entscheidungen und Planungen, die 24/7 im Kopf rattern", so Valerie Junger.

Sie fügt noch hinzu: "Es fühlt sich an, als würde man ständig eine Liste abarbeiten, die nie endet, und man kann nie wirklich abschalten, selbst wenn man physisch nichts tut. Besonders für Eltern kann Mental Load noch komplexer sein, wenn man auch an Dinge wie Geburtstage, Arzttermine oder den Organisationsaufwand für die Schulkinder denken muss."

Mental Load: Auswirkungen auf Alltag, Familienleben und Partnerschaft

Mental Load ist kein bedeutungsloses Gedankenwirrwarr, sondern die Auswirkungen sind vielschichtig und zeigen sich in unterschiedlichen Lebensbereichen. "Oft führt er zu chronischem Stress, Erschöpfung und Überforderung, weil man sich ständig Sorgen macht, ob man alles schaffen wird bzw. nichts vergisst", erklärt Valerie Junger.

Die unsichtbare Denkarbeit wirkt sich aber nicht nur auf einen selbst aus, sondern auf auch auf das gemeinsame Leben. "In Partnerschaften kann es zu Konflikten führen, wenn die Verantwortung ungleich verteilt ist und einer der Partner:innen das Gefühl hat, dass der*die andere nicht genug beiträgt."

Die Expertin rät: "Hier spielt Wertschätzung eine zentrale Rolle: Wenn beide Partner:innen die mentale Belastung des anderen anerkennen und respektieren, können sie gemeinsam Lösungen finden, um sich gegenseitig zu entlasten."

Symptome: Wie erkenne ich Mental Load?

Als typische Anzeichen des Mental Loads nennt Valerie Junger unter anderem folgende Punkte:

  • ständiges Gefühl von Überforderung

  • Gedankenkarussell im Kopf

  • nächtliches Aufwachen & Grübeln über ausstehende Aufgaben

  • Fehlen von Entspannung (selbst in ruhigen Momenten)

Zu den Symptomen gehören:

  • Konzentrationsprobleme

  • Reizbarkeit

  • Schlafstörungen

  • ständiges Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben

Wie ich einer Überlastung entgegenwirke

Ich habe die Expertin auch gefragt, was ich im Vorfeld unternehmen kann, um diesem extremen Gefühl der Überforderung zu entkommen. "Um Mental Load entgegenzuwirken, ist es wichtig, Aufgaben bewusst zu delegieren und klare Absprachen in der Partnerschaft zu treffen. Regelmäßige Gespräche mit dem*der Partner:in helfen dabei, wer welche Aufgaben übernimmt."

Ihre Tipps: "Digitale Tools oder gemeinsame Kalender können genutzt werden, um den Überblick zu behalten und Aufgaben transparent zu verteilen. Coaching-Methoden, wie Zielsetzungsstrategien und Zeitmanagement-Techniken, unterstützen dabei, klare Prioritäten zu setzen und Aufgaben effizient zu strukturieren."

Self-Care ist kein Luxus, sondern absolutes Must-Have.

Valerie JungerBusiness- und Personal-Coachin

Valerie Junger empfiehlt außerdem bewusst Pausen einzulegen sowie sich Zeit für sich zu nehmen. Und ich weiß, das klingt in der Theorie einfacher als in der Praxis. Zwei Punkte, die die Expertin ebenfalls erwähnt, um einer Überlastung entgegenwirken, sind:

  1. Lerne auch "Nein" zu sagen.

  2. Setze realistische Prioritäten – es muss nicht alles perfekt und sofort erledigt werden.

Mental Load: Warum gibt es so große geschlechtsspezifische Unterschiede?

Im Rahmen der Initiative für faire Verteilung von Care-Arbeit "#EqualCareEqualShare" der österreichischen Babyartikelmarke "MAM" wird eine Analyse des "Momentum Institut – Verein für sozialen Fortschritt" zitiert, die aufhorchen lässt.

In Österreich leisten Frauen in verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften 43 Prozent mehr der unbezahlten Care-Arbeit (exklusive Mental Load!). Dieser "Gender Care Gap" bedeutet, dass Frauen täglich 4 Stunden und 15 Minuten unbezahlte Sorgearbeit leisten, Männer 2 Stunden 59 Minuten. Das heißt: Männer machen pro Tag 1 Stunde und 16 Minuten weniger Haushalt, Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen. Diese Zahlen gelten nur für Frauen und Männer, die auch tatsächlich Care-Arbeit leisten. Ein Blick auf den "Gender Overall Care Cap" zeigt eine noch größere Lücke zwischen den Geschlechtern.

Für den "Gender Overall Care Gap" wird für die Berechnung die österreichische Bevölkerung ab 10 Jahren herangezogen, gleich ob sie Care-Arbeit leistet oder nicht – das Ergebnis: Frauen übernehmen 71 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit. Die weibliche Bevölkerung leistet 3 Stunden und 48 Minuten täglich Care-Arbeit, Männer 2 Stunden und 14 Minuten.

Fazit: Der Hauptteil der unbezahlten Care-Arbeit inklusive des Mental Loads wird großteils von Frauen verrichtet, meistens von Müttern, die nach der Geburt eines Kindes in Teilzeit arbeiten.

Nun steht aber noch die Frage im Raum, warum es hinsichtlich des Mental Loads so große geschlechtsspezifische Unterschiede gibt? "Das hat viel mit traditionellen Narrativen und gesellschaftlichen Erwartungen zu tun. Frauen wird oft von klein auf beigebracht, fürsorglich und verantwortlich zu sein, während Männer eher in die Rolle des Versorgers gedrängt werden", so Valerie Junger.

Sie fügt hinzu: "Diese tief verwurzelten Rollenbilder führen dazu, dass Frauen häufiger die unsichtbaren Aufgaben im Haushalt on top übernehmen, selbst wenn beide Partner berufstätig sind. Dazu kommt, dass viele Frauen sich selbst unter Druck setzen, in allen Bereichen perfekt zu sein – im Job, als Mutter und Partnerin."

Strategien, um Mental Load fairer in einer Partnerschaft aufzuteilen

Damit der Mental Load in der Partnerschaft gerecht aufgeteilt ist, steht an erster Stelle: "Communication is key." Setzt euch zusammen und besprecht offen, welche Aufgaben anfallen und wie diese verteilt werden können. Tipp der Expertin: konkrete Aufgabenlisten erstellen und diese regelmäßig updaten.

Valerie Junger erwähnt als weiteren Ansatz noch das sogenannte "Ownership-Prinzip". Jede:r übernimmt dabei komplett bestimmte Aufgaben, ohne im Vorfeld verhandeln zu müssen, wer welches To-do macht.

Beim "Equal Parenting" hingegen werden die sichtbaren sowie unsichtbaren elterlichen Aufgaben gleichberechtigt übernommen. "Es ist wichtig, dass beide Partner die mentale Belastung anerkennen und respektieren, da nur so eine faire Verteilung gelingen kann. 'Equal Parenting' fördert nicht nur die Entlastung beider Partner, sondern stärkt auch das Verständnis und die Wertschätzung füreinander."

Die Expertin betont: "Dadurch entsteht ein Gefühl von Teamarbeit, das die Partnerschaft stärkt und somit das gesamte Familienleben harmonischer macht."

Mental Load: Auswirkungen auf die mentale Gesundheit

Mental Load hat nicht nur Auswirkungen auf das Familienleben und die Partnerschaft, sondern auch auf die mentale Gesundheit. "Chronischer Stress und dauerhafte Überforderung führen häufig zu Erschöpfung, Burnout und sogar Depressionen. Es wird schwerer, Freude an den Dingen zu finden und sich zu entspannen. Langfristig leidet aber auch das Selbstwertgefühl, weil man ständig das Gefühl hat, nicht genug zu leisten oder gar zu versagen."

Deshalb ist es so wichtig, Mental Load ernst zu nehmen und aktiv Wege zu finden, die Last zu reduzieren und sich Support zu holen.

Valerie JungerBusiness- und Personal-Coachin

Warum habe ich es "verlernt", mich zu entspannen?

Folgendes (persönliches) Beispiel habe ich Valerie Junger geschildert: Ich habe mir zu meinem Geburtstag frei genommen und obwohl ich mir vorgenommen habe, diesen Tag zu genießen (die Kinder waren im Kindergarten), habe ich es nicht geschafft, mir diesen freien Tag auch wirklich zu gönnen. Zu schlecht war mein Gewissen, meine Freizeit nicht für Einkauf, Haushalt oder organisatorische Dinge, wie Honorarnoten bei der Krankenkasse einreichen, zu nutzen.

So war ich zwar bei der Kosmetik, habe mich aber danach dem Wäscheberg gewidmet und die Kinder früher vom Kindergarten abgeholt, denn wenn ich frei habe, kann ich sie doch nicht länger, als es sein müsste im Kindergarten lassen?

Also, warum schaffe ich es nicht, mich zu entspannen? Habe ich es tatsächlich verlernt, da ich glaube, immer produktiv sein zu müssen?

Wir fühlen uns schuldig, wenn wir uns eine Pause gönnen, weil immer noch so viel zu tun ist. Dieses ständige Gefühl, produktiv sein zu müssen, ist tief in uns verankert.

Valerie JungerBusiness- und Personal-Coachin

Die Expertin kennt meine Schilderung nur zu gut, einerseits da sie selbst berufstätige Mama ist und andererseits von ihren Klientinnen. "Wir sind oft im Hamsterrad des Alltags gefangen und haben tatsächlich verlernt, uns zu entspannen. Unser Gehirn ist ständig auf Produktivität eingestellt. Gleichzeitig sind wir von gesellschaftlichen Erwartungen und tief verwurzelten Rollenbildern geprägt, die uns vermitteln, dass unser Wert an unserer Leistung gemessen wird."

Und sie wiederholt folgenden Punkt: "Besonders Frauen tragen oft die Hauptverantwortung für das Haushaltsmanagement – zusätzlich zur Berufstätigkeit."

Valerie Junger empfiehlt folgende Strategien, um Entspannung wieder neu zu erlernen, die sie auch in ihren Coachings an ihre Klientinnen weitergibt:

  • Achtsamkeit und Selbstreflexion: Frage dich selbst, warum du glaubst, immer produktiv sein zu müssen. Oft sind das tief verwurzelte Glaubenssätze, die man hinterfragen kann.

  • Kleine Pausen einplanen: Gönne dir bewusst kleine Pausen im Alltag, ohne schlechtes Gewissen. Manchmal hilft es, diese Pausen fest in den Kalender einzutragen.

  • Delegieren und Hilfe annehmen: Es ist völlig in Ordnung, Aufgaben abzugeben und um Hilfe zu bitten. Du musst nicht alles alleine schaffen.

  • Grenzen setzen: Lerne "Nein" zu sagen und Prioritäten zu setzen. Nicht alles muss sofort und perfekt erledigt werden.

  • Positive Selbstverstärkung: Belohne dich für kleine Erfolge und erkenne deine eigene Leistung an. Das hilft, das schlechte Gewissen zu mindern und ein besseres Gefühl für deine eigenen Bedürfnisse zu entwickeln.

  • Gesunde Habits aufbauen: Es ist wichtig, neue sowie gesunde Routinen zu etablieren. Starte mit kleinen Schritten, wie tägliche kurze Meditationsübungen oder ein paar Minuten Bewegung. Diese Gewohnheiten helfen deinem Gehirn, sich auf Entspannung einzustellen.

  • Digitale Detox-Zeiten: Setze regelmäßige Zeiten fest, in denen du bewusst auf dein Smartphone und andere digitale Geräte verzichtest. Dies reduziert die ständige Informationsflut und gibt deinem Geist eine Pause.

Abschlusstipp der Expertin: "Indem du diese Strategien anwendest, kannst du Schritt für Schritt lernen, dir selbst wieder Erholung und Entspannung zu gönnen – ohne schlechtes Gewissen und mit einem gestärkten Gefühl für deine eigenen Bedürfnisse."

Es ist ein Prozess, aber jeder kleine Schritt in Richtung Selbstfürsorge ist ein großer Gewinn für deine mentale Gesundheit und dein Wohlbefinden.

Valerie JungerBusiness- und Personal-Coachin
GesellschaftsphänomeneGleichberechtigungPsychologie

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