
Roberta Metsola, Präsidentin des EU-Parlaments
©Cecilia Fabiano / LaPresse / picturedesk.comDie Mitglieder des Europäischen Parlaments vertreten mehr als 450 Millionen EU-Bürger:innen. Repräsentiert wird die Institution von Roberta Metsola, die 2024 als Präsidentin wiedergewählt wurde. WOMAN-Redakteurin Elisabeth Mittendorfer war für zwei Tage in Brüssel vor Ort.
Das Thema hätte aktueller nicht sein können: Kurz vor dem Internationalen Frauentag am 8. März lud das Europäische Parlament Journalist:innen zum Seminar "Wahrung der Frauenrechte in den Bereichen Verteidigung, Sicherheit und Friedenskonsolidierung" nach Brüssel. Nur einen Tag später einigten sich beim Sicherheitsgipfel die Mitgliedstaaten darauf, massiv aufrüsten zu wollen. Anberaumt an diesem Datum war zudem eine Konferenz zur Frage, warum und wie die Rolle von Frauen in Friedensverhandlungen gestärkt werden muss. Bei dieser richtete Roberta Metsola, 46, Präsidentin des Europaparlaments, eine Videobotschaft an das Plenum: "Frauen werden viel zu oft von den Verhandlungstischen ausgeschlossen, an denen Entscheidungen über Krieg und Frieden getroffen werden. Das ist nicht nur eine Ungerechtigkeit, sondern schwächt auch unsere Bemühungen um dauerhaften Frieden und Sicherheit", so der mahnende Appell Metsolas.
WOMAN konnte im Vorfeld schriftlich Fragen an die Präsidentin richten. Just jene, wie es gelingen kann, mehr Frauen an die Verhandlungstische zu bekommen, blieb unbeantwortet. Genau wie jene zu ihrer Position zu Schwangerschaftsabbrüchen. Die Politikerin, die aus Malta stammt, wo eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas gilt, hatte sich in der Vergangenheit wiederholt gegen dessen Liberalisierung ausgesprochen. Seit die Christdemokratin 2022 zur Präsidentin des EU-Parlaments gewählt wurde, machte sie deutlich, fortan hinter den Entscheidungen der Institution zu stehen. So wie im vergangenen Jahr, als sich die Abgeordneten für die Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die Grundrechte-Charta der EU ausgesprochen haben.
Im Interview spricht Metsola über die Bedeutung europäischer Maßnahmen für Gleichstellung und warum der zunehmende Populismus eine Gefahr für das europäische Projekt darstellt.
Sie wurden 2024 als Präsidentin des EU-Parlaments wiedergewählt und sind damit die erste Frau mit zwei Amtszeiten. Wie nutzen Sie Ihre Position, um Frauenrechte in der EU voranzutreiben?
Wenn ich eines in meiner Kindheit gelernt habe, dann dass der Berg, den Frauen erklimmen müssen, ziemlich steil ist. Je steiler der Berg wird, desto mehr müssen wir uns gegenseitig helfen, weiter nach oben zu kommen. Wenn wir das tun, genau wie viele Frauen vor uns, können wir dafür sorgen, dass mehr Frauen alle möglichen Institutionen leiten. Ich werde auch weiterhin meinen Beitrag dazu leisten. Ich möchte meine Rolle nutzen, um ein Vorbild, aber auch ein Sprachrohr für Frauen und Mädchen zu sein.
Denn Gleichberechtigung ist nicht nur ein Wunsch oder Schlagwort. Sie muss ein grundlegendes Prinzip von allem sein, was wir tun. Das bedeutet, dass wir unsere Gesetze, Institutionen und Praktiken so gestalten müssen, dass alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben. Dafür setze ich mich als Präsidentin des Europaparlaments ein.
Haben Sie als Präsidentin des Europaparlaments Sexismus oder Widerstände erlebt, weil Sie eine Frau sind?
Würden Sie diese Frage stellen, wenn ich ein Mann wäre? Aber mal ehrlich: Als Frau, besonders in einem öffentlichen Amt, ist man ständig prüfenden Blicken ausgesetzt. Das fängt bei der Kleidung an und hört bei den Lebensentscheidungen auf. Spricht man zu laut, ist man hysterisch, spricht man zu leise, ist man nicht selbstbewusst genug. Das kann schon manchmal frustrierend sein. Umso mehr darf man sich dann aber nicht von seinen Vorhaben abbringen lassen. Ich wünschte nur, wir würden dieselben Maßstäbe auch an Männer anlegen.
Von Abtreibung über Altersarmut bis hin zu Gewalt gegen Frauen: Braucht es verstärkt europäische Lösungen?
Wir dürfen nicht vergessen, dass einige Themen nicht in den direkten Zuständigkeitsbereich der EU fallen, sondern nationalstaatliche Kompetenz sind. Auf europäischer Ebene ist es wichtig, dass wir sicherstellen, dass diese Themen ganz oben auf der Agenda bleiben, dass wir die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, Maßnahmen umzusetzen und einheitliche Standards zu schaffen. Wir haben allerdings auch entscheidende Gesetze zur Gleichberechtigung verabschiedet und somit schon einiges erreicht. Nach fast einem Jahrzehnt der Verhandlungen haben sich die Mitgliedstaaten auf die Richtlinie über Frauen in Aufsichtsräten geeinigt, die einen wesentlichen Schritt zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen von Unternehmen darstellt. In den vergangenen sieben Jahren ist der weibliche Anteil in den Aufsichtsräten der börsennotierten Unternehmen von 16,1 Prozent im Jahr 2017 auf 36,5 Prozent im Jahr 2024 gestiegen. Wir sehen also, dass solche Handlungen Wirkung zeigen. Zusätzlich haben wir auch Maßnahmen zur Lohntransparenz vorangetrieben, um das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu beseitigen und eine gerechte Entlohnung von Frauen in der Arbeitswelt zu gewährleisten. In dieser Legislaturperiode werden wir darauf aufbauen.
Die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, wurde bis heute von mehreren EU-Staaten nicht ratifiziert. Vergangenes Jahr trat eine EU-Richtlinie diesbezüglich in Kraft. Wie viel Einfluss hat die EU hier wirklich?
Insgesamt 22 Mitgliedstaaten haben das Übereinkommen von Istanbul bereits ratifiziert, und die EU als Ganzes ist auch Vertragspartei. Das ist ein großer Erfolg im Kampf gegen Gewalt an Frauen. Die Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die bis 2027 in nationales Recht umgesetzt werden muss, ist ein weiterer wichtiger Schritt. Sie stellt bestimmte Formen von Gewalt offline und online auf EU-Ebene unter Strafe und verpflichtet die Mitgliedstaaten zu konkreten Maßnahmen. Die EU hat hier also definitiv Einfluss. Wir haben viel erreicht, aber es liegt noch ein langer Weg vor uns. Noch immer erlebt jede dritte Frau in der EU geschlechtsspezifische Gewalt. Damit muss Schluss sein. Das Europäische Parlament wird sich weiterhin unermüdlich für die Rechte der Frauen einsetzen, um eine Gesellschaft zu schaffen, in der Frauen frei von Angst und Gewalt leben können.
Noch immer erlebt jede dritte Frau in der EU geschlechtsspezifische Gewalt. Damit muss Schluss sein.


Mit der maltesischen Christdemokratin Roberta Metsola steht seit 2022 seit fast 20 Jahren wieder eine Frau an der Spitze des Europäischen Parlaments. Als Abgeordnete zog sie dort 2013 ein.
© Cecilia Fabiano / LaPresse / picturedesk.comRechte, europakritische Parteien haben bei der Europawahl im vergangenen Juni große Zugewinne gemacht. Hat die EU ein Imageproblem – und wie kann es gelingen, die Menschen wieder von ihr zu überzeugen?
Ja, wir erleben eine neue politische Realität, nicht nur in den Mitgliedstaaten, sondern auch im Europäischen Parlament. Die Frage ist doch, warum die Menschen vermehrt zu den politischen Rändern abdriften und wie wir das Vertrauen in die Fähigkeit der Mitte, Probleme zu lösen, wiederherstellen können. Es ist Zeit, aufzuwachen und die nächsten fünf Jahre dafür zu nutzen, wirklich nachhaltige Politik zu betreiben, die den Menschen einen echten Mehrwert bringt. Dabei müssen wir auch den kritischen Blick in den Spiegel wagen und ehrlich analysieren, wo wir zu schnell zu weit gegangen sind und wo nicht weit genug. Zeitgleich ist es entscheidend, den Dialog mit den Bürger:innen zu suchen. Letztes Jahr habe ich viel Zeit damit verbracht, durch die Mitgliedstaaten zu reisen und mit jungen Menschen über die EU zu sprechen. Es war und bleibt mir ein Anliegen, ihnen zu zeigen, warum es so wichtig ist, dass sie ihre Stimme nutzen und die Union nach ihren Vorstellungen gestalten. Oftmals übersehen wir, was uns die Europäische Union alles gebracht hat: Frieden, die Freiheit, grenzenlos zu reisen, zu leben und zu lieben, eine einheitliche Währung, keine Roaming-Kosten … Deshalb ist es an der Zeit, unseren Glauben an das europäische Projekt wiederzubeleben. Jeder von uns kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten.
Sie waren eine der ersten Malteser:innen im Straßburger Parlament. Fühlen Sie sich in erster Linie als Malteserin oder Europäerin?
Das geht für mich Hand in Hand. Malta ist Europa, und Europa ist Malta. Ich war schon immer überzeugt, dass der Platz meiner Generation in Europa ist. Meine politische Karriere begann mit der sogenannten „Ja“-EU-Beitrittskampagne in Malta. Ich erinnere mich, wie ich als Studentin vor unzähligen Menschen stand und versuchte, sie davon zu überzeugen, was die Mitgliedschaft in der Europäischen Union für Malta bedeuten würde. Und was sie für Europa bedeuten würde.
Sie sind Mutter von vier Söhnen. Was wollen Sie und Ihr Mann ihnen in puncto Gleichberechtigung mitgeben?
Wir alle wollen das Beste für unsere Kinder, und dazu gehört auch, Söhne zu erziehen, die die wahre Bedeutung von Gleichberechtigung verstehen. Dabei geht es darum, ihnen durch unser Handeln und unsere Worte zu zeigen, dass alle die gleichen Möglichkeiten, den gleichen Respekt und die gleichen Chancen verdienen, um ihre Träume verwirklichen zu können. Mein Mann und ich leben das unseren Kinder n jeden Tag vor. Ich arbeite jeden Tag daran, ihnen ein gutes Vorbild zu sein.
Kommentar von Elisabeth Mittendorfer
Den Frieden verteidigen
Die Gleichzeitigkeit der Dinge ist manchmal absurd: Anlässlich des Internationalen Frauentags organisierte das Europäische Parlament ein Seminar und ein interparlamentarisches Treffen zur Wichtigkeit der Teilnahme von Frauen an Friedensverhandlungen – auch Journalist:innen waren geladen. Frauen, unterstrich Lina Gálvez, Vorsitzende von FEMM, dem Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter, seien anders vom Krieg betroffen als Männer. Als Beispiel nannte sie, dass Vergewaltigung noch immer als Kriegswaffe eingesetzt wird. Ukrainischen Frauen, die aufgrund des russischen Angriffskrieges im Nachbarland Polen Zuflucht suchten, wurde dort der Zugang zu Abtreibungen erschwert. Die EU sei gefordert, einheitliche medizinische Mindeststandards zu garantieren, so Gálvez. Nur wenige Meter weiter wurde im Rahmen eines Sondergipfels über ein Verteidigungspaket für Europa abgestimmt. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte kurz davor verlautbart, 800 Milliarden Euro in die Aufrüstung investieren zu wollen. Der Krieg ist dieser Tage erschreckend nahe an unsere Grenzen gekommen. Und das gemeinsame Haus Europa ist nun gefragt, den Frieden zu verteidigen.