©iStock/Rawpixel
Wir machen anderen, aber vor allem auch uns selbst gerne etwas vor, wenn es um die Frage nach unserem wahren Befinden geht. Unbequeme Gefühle zu verdrängen, scheint oft leichter, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Warum die Rechnung nicht aufgeht, spricht Autorin Andrea Weidlich in ihrem neuen Buch an. Wir haben sie dazu befragt.
"Wie geht es dir?", fragt die Bekannte, die zufällig gerade im gleichen Supermarkt einkauft. "Danke, eh gut!", kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Sie nickt zufrieden. – Dass man vielleicht gerade privat in einer Krise steckt oder im Job alles andere als erfüllt ist, will man ja nicht gleich jedem auf die Nase binden. Das Problem ist nur: Häufig fertigen wir auch Menschen, die es wirklich ehrlich mit uns meinen, mit der "Geht gut"-Floskel ab – und am allermeisten uns selbst.
"Der Hauptgrund ist, dass wir uns insgeheim zwar Veränderung wünschen, aber doch Angst davor haben, etwas anderes als bisher zu tun", so Bestsellerautorin Andrea Weidlich, die in ihrem neuen Buch "Es geht mir gut und andere Lügen" (mvg, € 18,–) die Hintergründe aufzeigt. Wir fürchten zu scheitern, Schmerzhaftes zu erleben und fügen uns lieber in das Unglück, das wir bereits kennen. "Andererseits sind viele so geprägt, dass sie sich Fragen stellen, wie: Darf es mir überhaupt schlecht gehen, wo es anderen doch noch viel schlechter geht?", so die Wiener Autorin, die gemeinsam mit Anna Maria Rubas auch den erfolgreichen Podcast "gusch, baby" gestaltet.
Im Hamsterrad weiterzustrampeln, schlechte Gefühle lieber zu verdrängen, als sie zu hinterfragen, wird aber meistens zum Bumerang, denn: "Ungelebte Wünsche und Sehnsüchte lösen sich nicht einfach von selbst auf. Wenn wir sie ignorieren, kann sich das nach einiger Zeit auch auf körperlicher Ebene zeigen", warnt Weidlich in unserem Interview, in dem wir auch über die Inspirationen, die uns andere geben können, sprachen. Sowie über die wichtigste Frage, die wir uns alle stellen sollten: Was will ich?
Man sagt oft einfach "Es geht mir gut", weil das Gegenüber meist eh nicht wirklich an unserem Wohlbefinden interessiert ist, oder?
Das würde ich so gar nicht unbedingt sagen. "Es geht mir gut" hat sich aber schon zu einer Art Floskel entwickelt, die wir in der Alltagssprache verwenden, ohne darüber nachzudenken: Stimmt das denn überhaupt? Wie geht es mir oder anderen Menschen wirklich? Positiv und gut drauf zu sein, wird allgemein als Stärke angesehen, auch wenn das in Wahrheit manchmal eben nicht so ist. Denn auch im Leben ist nicht immer alles positiv und auch nicht alles gut. Wenn wir aber Negatives immer wegdrücken, holt es uns am Ende auf die eine oder andere Art wieder ein. Natürlich macht es einen Unterschied, mit wem wir das besprechen wollen. Wahrscheinlich stehen wir nicht in der Bäckerei und erzählen offen, dass es uns, wenn wir ganz ehrlich zu uns sind, eigentlich gar nicht so gut geht.
Aber auch zu Freund:innen sind wir nicht immer ehrlich. Warum eigentlich nicht?
Oft wollen wir anderen nicht zur Last fallen oder auch nicht als zu negativ, schwach oder verletzlich wahrgenommen werden. Dabei ist es eigentlich eine Stärke, sich einzugestehen, dass wir eben keine Maschinen sind, die immer laufen, sondern Menschen mit echten Gefühlen. Manchmal ist es aber auch so, dass wir uns selbst gar nicht eingestehen wollen, dass es uns gar nicht so gut geht, wie wir das vielleicht nach außen zeigen. Viele Menschen stellen sich die Frage: Darf es mir denn überhaupt schlecht gehen, wenn es doch schon so viele Probleme in der Welt gibt und es anderen noch viel schlechter geht?
Dann kann es leicht dazu kommen, dass man ein Leben lebt, das einem nicht wirklich entspricht, wie Sie schreiben. Was sind die häufigsten Anzeichen dafür?
Verspürt man ein latent schlechtes Gefühl in sich oder empfindet gar keine Leichtigkeit mehr und fühlt sich alles oder zumindest einiges schwer an, sollten wir genauer hinsehen und vor allem in uns hineinspüren. Es kann sein, dass wir immer dachten, dass uns etwas glücklich macht, und später draufkommen, dass es sich nicht oder nicht mehr richtig anfühlt. Manchmal treffen wir Entscheidungen in unserem Leben, weil wir denken, dass es so richtig wäre oder weil die Gesellschaft oder Menschen in unserem Umfeld das von uns erwarten. Doch wir haben nie hinterfragt, ob es wirklich das Beste für uns ist. Die Vorstellung, wie das eigene Leben zu sein hat, und die Realität, wie es sich dann anfühlt, können weit voneinander entfernt sein.
Was wäre, wenn ich versuche, meine Vorstellung dann eben an die Realität anzupassen? Das Leben ist halt nicht so, wie ich es mir wünschen würde. Pech gehabt!?
Das Problem ist: Ungelebte, verdrängte Gefühle, aber auch ungelebte Wünsche und Sehnsüchte lösen sich nicht einfach von selbst auf, nur weil wir sie uns nicht eingestehen. Sie begleiten uns, und wenn wir sie ignorieren, kann sich das nach einiger Zeit auf körperlicher Ebene zeigen. Weil unsere Seele dann nicht mehr kann und aufschreit. Manchmal zeigen sich diese ungelebten Wünsche aber auch in einem diffusen schlechten Gefühl, das wir permanent unterdrücken, aber dennoch mit uns mitschleppen. Dann wissen wir womöglich gar nicht, warum wir nicht glücklich sind, und haben keine Erklärung dafür.
Was können die Wahrheiten hinter dem schlechten Gefühl sein?
Das kann eine wichtige Entscheidung im Leben sein, die wir nun bereuen, oder auch die Erkenntnis, dass es in der Beziehung nicht mehr stimmt. Vielleicht sind wir im Job schon länger nicht mehr glücklich, vielleicht haben wir uns in Freundschaften in eine andere Richtung entwickelt. Auch falsche Glaubenssätze schränken uns ein. Wir führen jedenfalls nicht das Leben, das wir uns eigentlich wünschen. Sich das einzugestehen, ist schmerzhaft, aber auch wichtig, um etwas zu verändern.
Stichwort Veränderung. Dazu müsste man, wie Sie im Buch aufzeigen, eben erst mal ehrlich zu sich selber sein und zweitens zu Veränderungen überhaupt bereit, oder?
Genau. Oft machen wir einfach weiter wie gehabt, weil es uns immer noch besser erscheint, in alten Mustern zu bleiben, als eine Veränderung zu wagen. Wenn wir uns wirklich eingestehen würden, dass es uns nicht gut geht, wüssten wir, dass wir etwas anders machen müssten, und das kann beängstigend sein. Es ist einfacher, in der eigenen bekannten Struktur oder dem geläufigen Umfeld zu bleiben, selbst dann, wenn es sich schon länger nicht mehr gut anfühlt. Die Angst vor Veränderung ist meist größer als alles Gute, was diese letztlich mit sich bringen würde. Das sollte man sich bewusst machen und hinterfragen: Was genau ist eigentlich meine Sorge?
Hinterfragen gut und schön. Aber klingt das nicht einfacher, als es manchmal ist?
Ja, das Unbewusste ist nicht immer leicht zu erkennen. Da kann es helfen, in die Geschichten anderer einzutauchen. Deshalb gibt es in meinem Buch die acht Charaktere. Eine Gruppe unterschiedlichster Menschen, deren Ängste und letztlich auch Entwicklungsfortschritte in gemeinsamen Gesprächen und mithilfe des Experten Paul aufgearbeitet werden. Da kann man sich wiedererkennen und weiß dann: Ah, das ist auch meine Angst. Oder: Das ist meine Prägung, mein unbewusstes Muster, aufgrund dessen ich immer wieder die gleichen Entscheidungen treffe, die mich dann aber nicht glücklich machen. Wie eine Beziehung, die mich nicht erfüllt, oder ein unbefriedigender Job. Die Beispiele anderer können Aha-Effekte schaffen, die Entscheidungen in unserem eigenen Leben erleichtern. Sie zeigen uns: Es ist nicht immer Schicksal, das uns widerfährt, sondern wir ziehen manchmal aufgrund unserer Entscheidungen immer wieder die gleichen Situationen an. Und mit dieser Einsicht ist schon ein großer Schritt getan.
Andere Menschen sind ja, so sagen Sie, ohnehin oft auch unser Spiegel, ohne dass es uns bewusst ist. Wie ist das zu verstehen?
Wenn wir jemand anderen für etwas verurteilen, kann es sein, dass wir einen gewissen Anteil in uns selbst nicht leben. Würden wir beispielsweise jemanden als zu faul bewerten, kann es sein, dass wir selbst sehr leistungsorientiert sind und uns nie eine Pause gönnen. Weil wir denken, wir müssten immer erst etwas leisten, um etwas wert zu sein. Die Lösung wäre, sich dann auch einmal bewusst auszuruhen und zu sehen, wie sich das anfühlt. Je liebevoller wir mit uns selbst umgehen, desto weniger hart sind wir auch im Urteil mit anderen.
Wir verbringen gerade auch in Zeiten von Social Media viele Stunden vor dem Bildschirm. Was macht das mit uns?
Sehr viel sogar. Es handelt sich dabei um eine gewisse Ablenkung und manchmal sogar um eine Form von Flucht, wenn wir uns ständig das Leben anderer Menschen ansehen und dabei vergessen, uns selbst schöne Momente in unserem eigenen Alltag zu schaffen. Wir verstecken uns dann hinter unserem Bildschirm, und es hält uns davon ab, selbst wieder hinauszugehen, Dinge zu erleben und echte Verbindungen mit Menschen zu schaffen. Es ist nicht alles schlecht an sozialen Medien oder anderen Formen der Bildschirmzeit, aber wir sollten sie bewusst dosieren und nicht auf unser eigenes Leben vergessen.
Dazu passt der schöne Spruch aus Ihrem Buch: "Wir müssen erkennen, dass wir mehr verdient haben, damit wir aufhören, uns mit wenig zufriedenzugeben." Was war Ihre Intention dahinter?
Manchmal tragen wir unbewusst die Überzeugung in uns, dass wir ohnehin nicht mehr verdient haben als das, was wir gerade erleben. Wir suchen die Schuld bei uns selbst, statt darauf zu achten, uns mit den richtigen Menschen zu umgeben, uns im richtigen Umfeld aufzuhalten. Wenn wir aber erkennen, dass wir mehr verdient haben, setzen wir bessere Grenzen und treffen bessere Entscheidungen
Sie sagen: Die zwei wichtigsten Fragen, die sich jeder stellen sollte, sind letztlich: Was will ich? Und: Worauf warte ich noch? Das klingt sehr logisch und hat trotzdem so seine Tücken.
Die Frage "Was will ich?" erscheint vielen Menschen zu groß. Deshalb stellen sie sie sich erst gar nicht. Sie würde auch mit Veränderung einhergehen, und davor haben wir häufig Angst. Wir lernen schon früh, dass wir gewisse Dinge tun und andere nicht tun sollten, aber kaum jemand bringt uns bei, uns zu fragen: Was willst du?
Aber wie kommt man auf die Antwort?
Das Ziel wäre, für sich selbst herauszufinden: So will ich leben, so möchte ich mich gern fühlen. Das kann auch in mehreren kleinen Schritten sein, wie ich es im Buch erkläre. Das "Worauf warte ich noch?" wird dann plötzlich viel stärker in uns als all die Ängste, die uns bisher zurückgehalten haben. Ich möchte Menschen ermutigen, dass Veränderung schaffbar ist – und sie dann wieder aus vollem Herzen sagen können: "Ich mag mein Leben, und ja, es geht mir gut."
*Dieser Beitrag enthält Produkte, die uns zum Testen zur Verfügung gestellt wurden, oder Affiliate-Links. Wenn du über den Link etwas einkaufst, bekommen wir von dem betreffenden Shop eine Provision.