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Mediziner erklärt, was hinter dem Hype um die Abnehmspritzen steckt

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Spritzen, die auf blauem Hintergrund liegen

©iStock/Selcuk1
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Keine Heißhungerattacken mehr und nur so viel essen, wie einem guttut? Der Hype um die Abnehmspritze wie Ozempic verspricht genau das. Aber wie gut ist das Konzept wirklich? Mit welchen Nebenwirkungen ist zu rechnen? Wir haben nachgefragt.

Bis vor Kurzem war es nicht mehr als ein Wunschtraum. Eine kleine Spritze, und die Kilos purzeln wie von selbst. Keine qualvollen Abnehmstrapazen mehr mit Kohlsuppe, Diät-Shakes oder Kalorientabellen und Erfolgen, die letztlich zum großen Teil kurzfristig waren. Plötzlich kamen die Abnehmspritzen. Jetzt genügt ein Piks pro Woche mit dem Pen in den Bauch oder Oberschenkel, und die Waage zeigt immer weniger an. Produkte wie Ozempic und Co. haben einen regelrechten Hype ausgelöst. Stars wie Robbie Williams, Sharon Osbourne oder Elon Musk verkündeten stolz, sie erfolgreich zu nehmen.

Sieben Millionen Menschen weltweit tun es ihnen gleich. Auch auf Österreich ist die Welle längst übergeschwappt. Aber ist es wirklich so easy, wie es ausschaut? Nicht ganz. Denn alles hat, und das ist nicht nur wortwörtlich gemeint, seinen Preis. Wir sind die Für und Wider mit Univ.-Prof. Dr. Peter Frigo, Gynäkologe und Hormonexperte im AKH, durchgegangen …

Was weiß man und was nicht?

"Semaglutid, der Wirkstoff in den Spritzen, ahmt das Sättigungshormon GLP-1 nach", erklärt Mediziner Frigo, "das heißt, er wirkt aufs Appetitzentrum, und wir fühlen uns schneller satt. Zweitens verringert er die Beweglichkeit des Magens. Das Essen bleibt länger drin, und der nächste Heißhungerschub wird hinausgezögert." Isst man trotzdem mehr, wird einem mit ziemlicher Sicherheit schlecht. "Das kann bis zum Erbrechen gehen." Übelkeit, aber auch Kopfweh, Durchfall oder Verstopfung, Reflux sowie Sodbrennen zählen zu den häufigsten Nebenwirkungen. Meistens sind sie aber nach den ersten acht Wochen vorbei. In seltenen Fällen kann es zu Gallensteinen kommen beziehungsweise zu einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse, auch zu Magenlähmungen.

Hier war in den USA bereits von Klagen gegen den Hersteller die Rede. Zu einem möglichen erhöhten Krebsrisiko werden weitere Studien durchgeführt. "Wir haben erst seit 20 Jahren eine entsprechende Datenlage", so Frigo. "Da wurden die ersten Studien zu den Wirkstoffen gemacht, vieles muss noch abgeklärt werden." Ein Grund, warum etwa die Ärztin und TCM-Expertin Andrea Scholdan in einer WOMAN-Ausgabe meinte: "Hände weg von Ozempic. Man weiß noch gar nicht, was die Abnehmspritze auf lange Sicht macht."

Wie riskant sind die neuen Appetithemmer?

"Es ist eine Frage der Abwägung", meint Dr. Frigo. "Natürlich haben wir noch keine Langzeiterfahrungen. Aber wir wissen, dass Adipositas eine schwere chronische Erkrankung ist, die zu Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleber, Schlafapnoe, bestimmten Krebsarten und Diabetes Typ 2 führen kann. Mit jedem Kilo weniger senke ich das Risiko." Viel zu oft wird Übergewicht heruntergespielt, Betroffene werden nicht wirklich ernst genommen. "Sie werden als schwach und undiszipliniert hingestellt. Dabei haben die meisten von ihnen häufig jahrelange Kämpfe mit den Kilos hinter sich." Oft werden sie einfach aufgrund ihrer Hormonkonstitution weniger schnell satt als andere.

Abnehmen ist außerdem etwas sehr Emotionales. Die psychische Komponente, die oft hinter dem Hüftgold steckt, darf keinesfalls unterschätzt werden. "Ich habe Patientinnen, die haben in der Jugend Missbrauch erlebt und sich eine Speckschicht quasi als Schutz angelegt, um nicht wieder angreifbar zu werden. Dann gibt es die Selbstbelohner und die Genussmenschen, die Essen glücklich macht." Nicht zuletzt gibt es auch die vielen Betroffenen, die von ihrer Genetik her zum Dicksein neigen, oder jene, die bestimmte Ernährungsmuster von den Eltern mitgekriegt haben. Ihnen kann man das Abnehmen mit der Spritze schon sehr erleichtern.

"Sagen wir, ich möchte 30 Kilo abnehmen. Wenn ich einen Kilo pro Woche schaffe, dann brauche ich 30 Wochen, also über ein halbes Jahr Hungern und Quälen. Wenn ich einen Appetithemmer habe, der mir hilft, erst gar nicht ans Essen zu denken, ist das schon eine große Hilfe. Ich gehe an der Konditorei vorbei, so entspannt, als würde ich an einer Bank vorbeispazieren. Früher hätte ich mir bestimmt ein Kipferl oder einen Sandwich geholt." Ein Kilo weniger pro Woche weniger ist übrigens ein guter Durchschnittswert, wobei erste Erfolge von drei bis fünf Kilo nach drei bis vier Wochen sichtbar sein sollten.

Was kosten die Fett-weg-Spritzen, und sind die Lieferengpässe noch immer aktuell?

Der Arzt hat die chemische Hilfe tatsächlich bereits selbst ausprobiert. "Meine Abnehmspritze der Wahl war Saxenda, die ich vordringlich auch meinen Patient:innen verschreibe." Saxenda, genauso wie Ozempic seit 2018 auf dem heimischen Markt, ist quasi das Vorläufermodell zu Ozempic mit ähnlicher Wirkweise (Inhaltsstoff Liraglutid). Es wird allerdings täglich gespritzt und kostet für drei Wochen 207,50 Euro. Ozempic kommt für vier Wochen auf 143,85 Euro und hat es, ob des niedrigeren Preises und der wöchentlichen Anwendungsroutine, zur absoluten Nummer eins im Hype-Ranking geschafft.

Was allerdings viele gar nicht gern sehen, auch die Erzeugerfirma Novo Nordisk nicht. "Ozempic ist für Diabetiker:innen entwickelt worden", betont Firmensprecherin Anna Tauscher. "Wir sprechen uns daher klar gegen eine Off-Label-Verwendung als Abnehmspritze aus" Diabetiker:innen, die das Medikament dringend brauchen, haben es dann nämlich nicht zur Verfügung. Ärzt:innen ist es allerdings möglich, Ozempic als Privatrezept, eben "Off Label", zu verschreiben. Die Spritze kostet, wie gesagt, noch am wenigsten. Ein weiteres zur Adipositas-Behandlung bestimmtes Medikament der gleichen Firma ist Wegovy, ebenfalls auf Semaglutid-Basis. Das ist allerdings in Österreich noch nicht zugelassen und kommt, wenn man es aus dem europäischen Raum via Apotheke bestellen lässt, auf über 540 Euro pro Monat und wird einmal wöchentlich angewendet.

Was alle Abnehmspritzen gemeinsam haben: Sie werden von den Krankenkassen nicht übernommen, und es bestehen schon seit Längerem Lieferengpässe. Wann diese enden werden, kann Anna Tauscher von der Herstellerfirma nicht sagen: "Wir alle arbeiten rund um die Uhr unter Hochdruck." Der Bau neuer Produktionsstätten ist so schnell wie möglich geplant.

Was, passiert, wenn man mit dem Medikament aufhört?

Studien zeigen: Wenn man Ozempic und Co. absetzt, nimmt man wieder zu. "Das ist aber das Problem jeder Diät", so der Mediziner. "Wenn einem keine Ernährungsumstellung plus mehr sportliche Betätigung gelingt, wird der Körper wieder an sein altes Gewicht, den Body-Weight-Set-Punkt, zurückkehren wollen." Allerdings zeigen die Daten, dass es nach einer längeren Behandlung mit Ozempic & Co. zumindest keinen Jo-Jo-Effekt gibt. Von 30 abgenommenen Kilos könnte man also zumindest zehn halten. Dass man Ozempic lebenslang nehmen muss, sieht Anna Tauscher von Novo Nordisk pragmatisch. "Da Adipositas eine chronische Erkrankung ist, ist auch die Therapie langfristig fortzuführen."

Herkömmliche Ernährungsprogramme bringen ja, so Frigo, leider nicht viel, sonst würden wir alle nicht immer dicker werden. In Österreich trifft auf 1,2 Millionen Menschen über 15 die Diagnose Adipositas zu. Der Arzt weiß, wie glücklich jene Patient:innen sind, die einen größeren Kiloverlust geschafft haben und sich voll Elan oft wie neugeboren fühlen. Allerdings gibt es auch immer wieder Patient:innen, die ihre Behandlung mit der Abnehmspritze abbrechen. "Sie waren vielleicht von Anfang an schon nicht so überzeugt, dann kamen noch unangenehme Nebenwirkungen dazu und die Angst vor Spätfolgen. Manche sind auch zu ungeduldig und erwarten sich von heute auf morgen die großen Wunder." Für jene, die sich mit „kleinen Wundern“ begnügen wollen, hat er jedoch noch weniger Verständnis: "Wenn ich fünf Kilo abnehmen will, muss ich nicht zur Spritze greifen. Das schaffe ich auch so."

Schnelle Schönheitskorrekturen sind nicht der Sinn der Sache. Allerdings sehen das viele Abnehmwillige anders. Die Statistik sagt, dass Ozempic auch bei einem angestrebten geringen Gewichtsverlust die Nummer eins ist, gefolgt von Intervallfasten und Dinner Cancelling. Schnell mal ein paar Kilo weniger, um ins Hochzeitskleid zu passen oder den neuen Bikini auszuführen, ist durchaus die gängige Praxis. Wer sich seine Abnehm-Helferlein dafür im Netz besorgen möchte, muss allerdings aufpassen: Es sind auch Fälschungen im Umlauf, die im besten Fall wirkungslos sind.

Ab welchem BMI wird mir der Fett-weg-Pen verschrieben?

Saxenda und Wegovy sind zur Gewichtsregulierung adipöser Patienten ab einem BMI von 30 zugelassen oder auch ab BMI 27 – wenn eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung wie Herz-Kreislauf-Probleme vorhanden ist. Auf diese soll die Abnehmspritze übrigens eine positive Wirkung haben. Vorsicht ist hingegen geboten, wenn der oder die Patient:in zu Depressionen neigt. "Es gibt noch keine validen Untersuchungen", so Mediziner Frigo, "aber da die Abnehmspritzen über das Belohnungszentrum im Gehirn wirken, dort, wo Serotonin produziert wird, sollte man besonders auf die Psyche achten."

Mit dem Hungergefühl könnten nämlich gleichzeitig auch die Glückshormone reduziert werden. Die Stimmung Betroffener sinkt dann manchmal mit den Kilos bis hin zur Depression. Die Alternative bei schwerem Übergewicht ist in diesen Fällen die Magenverkleinerung, bei der es aber nach einer gewissen Zeit ebenfalls zu Gewöhnungseffekten kommen kann: "Eine Patientin isst zwei Jahre nach der Operation schon wieder mehr als am Anfang." Zu beachten ist, dass es nicht möglich ist, mit den Spritzen unendlich abzunehmen. Nach einem Gewichtsverlust von bis zu circa 17 Prozent des Körpergewichts ist nämlich Schluss. Dann müssen zusätzlich andere Maßnahmen greifen. Oder ein noch wirkungsvolleres Medikament.

Gewichtsverluste bis zu 25 Prozent vom Körpergewicht verspricht beispielsweise die Fett-Weg-Spritze Mounjaro der Erzeugerfirma Eli Lilly aus den USA. Der Wirkstoff Tirzepatid soll das Abnehmen sogar noch effektiver fördern als Ozempic und Co., für den stolzen Preis von 541 Euro monatlich. Was aber noch immer ein Schnäppchen ist im Vergleich zu den USA, wo Ozempic und die anderen Produkte 1.000 Dollar und mehr kosten.

Sind die Abnehmspritzen nur ein kurzer Hype?

Bestimmt nicht. Sie sind gekommen, um zu bleiben, ist sich Dr. Frigo mit vielen anderen Mediziner:innen einig. Trotz bekannter und noch nicht bekannter Nebenwirkungen sind sie ein Gamechanger in Zeiten, in denen trotz vermehrter Aufklärung in Sachen gesunder Lebensstil die Menschheit immer dicker und damit ungesünder wird. Und wenn jemand mithilfe der Spritzen mal ordentlich abgenommen hat, ist seine Motivation vielleicht auch größer, aus eigener Kraft weiterzumachen. Das wäre der Idealfall ...

Frage zum Schluss: Was bitte sind Ozempic-Babys?

Weniger Herz- und Kreislaufprobleme, weniger Belastung für die Gelenke – wenn man an Gewicht verliert, ändert sich einiges im Leben. Von einer weiteren "Nebenwirkung" war in den vergangenen Wochen immer wieder in den Medien die Rede: Frauen wurden überraschend schwanger. Was steckt hier dahinter? Daten liegen in diesem Zusammenhang noch zu wenige vor, aber Mediziner Frigo betont: "Übergewicht kann zum Beispiel ein PCOS (Polyzystisches Ovarialsyndrom) auslösen, das die Fruchtbarkeit einschränkt und durch eine kohlenhydratarme Diät und Gewichtsreduktion geheilt werden kann." Eine Folge kann dann eine unerwartete Schwangerschaft sein, ein sogenanntes Ozempic-Baby.

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