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Ob die düstere Weltlage oder private Schreckensmomente: Wenn man nicht aufpasst, können Ängste und Sorgen schnell unser Leben bestimmen. Wie man sich trotz allem die Zuversicht bewahrt, weiß Arzt und Bestsellerautor Dietrich Grönemeyer in unserem Talk.
"Seit mehr als 30 Jahren erlebe ich in meiner medizinischen Praxis tagtäglich Menschen in Stress und Angst", schreibt Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer in seinem neuen Buch "Leben ohne Angst". Sie fürchten Ansteckung und Krankheit, das Alter, das Ersparte zu verlieren. Haben rationale und irrationale Ängste vor Einbrüchen und Energiekrisen, vor Kriegen und Terroranschlägen, vor Anderslebenden und Andersdenkenden.
Kein Wunder, so der Experte, dass psychische Krankheiten rapide auf dem Vormarsch seien und dass ständig von Sorgen Geplagte mit diversen körperlichen Symptomen zu kämpfen haben. "Der Stress verändert die Durchblutung, verkrampft, kann zu Muskelverspannungen führen." Aber was kann man dagegen machen? Genau das fragten wir den engagierten Mediziner und Autor.
Ein Leben ohne Angst: Kann es das wirklich geben?
Es geht nicht darum, niemals Angst zu haben. Das funktioniert nicht. Es geht darum, mutig genug zu sein, sich den eigenen Ängsten zu stellen und nicht zuzulassen, dass sie das Leben bestimmen. Um das zu schaffen, müssen wir Zuversicht wagen, das Gute finden. Um es auf einen ganz einfachen Nenner zu bringen: Wenn wir uns nicht von unserer Angst beherrschen lassen wollen, müssen wir positiv denken, heiter bleiben, versuchen, das Leben zu genießen – trotz allem.
Ist das nicht manchmal leichter gesagt als getan?
Besonders wichtig für optimistisches Denken ist ein oft schon in der Kindheit gelegtes Grundvertrauen in die Welt. Es hilft uns, Selbstvertrauen zu entwickeln und damit traumatische Erlebnisse und seelische Kränkungen besser zu überstehen – und das auszuhalten, was das Leben eines jeden von uns existenziell prägt, so wundervoll es auch immer sein mag: Unsicherheit und Angst.
Und wenn ich nicht gerade mit Grundvertrauen gesegnet bin?
Dann durchaus auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen! Eine Studie fand heraus, dass zwei Drittel der von Angststörungen Betroffenen keine Unterstützung suchen und damit gravierende Langzeitfolgen riskieren. Das kann bis zur Unfähigkeit gehen, das Haus zu verlassen, bis zu erheblichen Einschränkungen im Beruf. Angst kann hinter Symptomen wie Herzrasen, Schwitzen oder Verdauungs- und Rückenproblemen stecken. Hinter Einschlafstörungen und Reizbarkeit. Der Dauerstress begünstigt auch Entzündungen, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes fördern können und leider auch Depressionen.
Häufig denkt man ja gar nicht daran, dass hinter Symptomen wie innerer Unruhe oder Depressionen Ängste stecken können.
Es gibt ja auch andere Ursachen für innere Unruhe oder schlechte Stimmung. Erst wenn die Symptome zu viel Platz im Leben einnehmen, sollte ich mich fragen, was dahintersteckt. Wenn Besorgtheit und Anspannung den Alltag überschatten, dann sollten die Alarmglocken schrillen. Besonders unangenehm sind die irrationalen Ängste. Die Gedanken drehen sich dann hauptsächlich um negative Szenarien, die theoretisch eintreten könnten. Die Betroffenen vermuten immer das Schlimmste, eine fundierte Grundlage gibt es jedoch gar nicht.
Sie nennen das Do-it-yourself-Panikmache.
Genau. Je nach Gemüt reichen zwei, drei Minuten im eigenen Hirn völlig aus, um Herz und Lunge, Muskeln und Magen in eine Stressreaktion zu manövrieren. Dabei ist ja noch gar nichts Konkretes passiert: "Ja, aber es könnte …" Nochmals möchte ich aber betonen: Nicht jeder Schweißausbruch oder jede Nervosität deutet gleich auf eine Angststörung hin.
Nicht jede:r hat auch gleich das große Thema. Manche sind einfach generell ängstlich. Kann man trotzdem glücklich sein?
Klar. Ängstlich zu sein, ist doch erst mal nichts Schlimmes. Man muss sich, wie schon gesagt, der Angst stellen, sie hinterfragen. Nehmen wir zum Beispiel die Angst vor dem Fliegen. Das kann extrem belastend sein. Da muss man dann nach individuellen Lösungen suchen. Mache ich einen Kurs zum Abbau der Flugangst oder nehme ich in Zukunft lieber den Zug oder das Auto? Dann bewältige ich diesen Stress auf meine Art und kann trotzdem glücklich sein.
Zwischendurch auch mal was Positives zur Angst: Sie kann mich zum Beispiel vor unvernünftigen Aktionen schützen, oder?
Ja, das macht sie. Im Grunde ist Angst ein evolutionärer Überlebensmechanismus, um Gefahren zu erkennen und schnell darauf zu reagieren. Sie kann uns wachrütteln, wenn wir wegschauen, motivieren, wenn uns der Antrieb fehlt.
Themen wie Ängste vor Ansteckung oder dem Alter, Geldknappheit, die Sie erwähnen – die können uns also motivieren und schützen, aber gleichzeitig belasten?
Genau. Nehmen wir als Beispiel Angst vor dem Alter. Kann man sicher haben: vor körperlichen Einschränkungen oder vor Einsamkeit. Aber wenn ich mich genau mit diesen Einzelthemen auseinandersetze und eine Perspektive entwickle, verliert das Thema seinen Schrecken.
Bei anderen Problemen wie der Energiekrise etwa, wäre es da ein guter Ansatz, sich selbst zu sagen: Nur weil ich mir Sorgen mache, ändert sich auch nichts.
Es ist schon sinnvoll und ratsam, sich mit dem, was mir Angst macht, zu beschäftigen. Heißt: Ich frage mich, welche Auswirkungen ein Ereignis auf mich haben könnte und welche Möglichkeiten ich habe, die Situation positiv zu beeinflussen. Im Falle der Energiekrise: Wo kann ich Energie sparen? Wie kann ich mein Verhalten anpassen? Damit werde ich nicht allein das Problem beenden können, habe aber Möglichkeiten entwickelt und mich mit der Situation beschäftigt. Das beruhigt.
Und wie gehe ich mit Meldungen zu Krieg und Gräueltaten um?
Die einen setzen sich dem medialen Trommelfeuer der täglichen Horrormeldungen bewusst aus, andere filtern das lieber aus ihrem Leben. Und wieder andere fragen sich, was sie dem bewusst entgegensetzen können. Entscheidend ist am Ende, wie ich Frieden mit mir selbst finden kann und wie es mir gelingt, wieder Glück und Lebensfreude zu genießen. Was kann ich in meinem Umfeld dazu beitragen?
Was kann ich spontan tun, wenn mich gerade Angst überfällt?
Bewusst tief ein- und ausatmen oder singen, das nimmt dem Gefühl die Wucht. Ein Gummiband auf das Handgelenk schnalzen lassen, etwas Scharfes essen, etwas Spitzes berühren – gerade so, dass das Gehirn sich mit dem Sinnesreiz beschäftigt und keinen Platz für Angst hat.
Trägt die viele Beschäftigung mit Social Media zu mehr Sorgen bei?
Ich möchte Social Media nicht per se für alles Schlechte verantwortlich machen, im Gegenteil. Allerdings gilt eine Einschränkung, die der große Heilkundige Paracelsus so treffend formuliert hat: Die Dosis macht das Gift. Das betrifft in besonderem Maß den Umgang mit den digitalen Infoquellen und Social Media. Gerade in Krisenzeiten legen viele ihr Smartphone kaum noch aus der Hand, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. "Doomscrolling" nennt man dieses Verhalten. Das beruht auf einem Mechanismus, der tief in uns verankert ist: Unser Gehirn hat im Lauf der Evolution gelernt, besonders stark auf Gefahren zu reagieren. Deshalb nehmen wir vor allem die negativen Schlagzeilen und Nachrichten wahr, die uns Angst einjagen. Je furchtbarer ein Ereignis ist, desto größer fällt unsere Resonanz aus.
Sie schreiben, mit Menschen zu sprechen, Zuversicht zu verbreiten, sei Ihr tägliches Anti-Angst Mittel. Woher nehmen Sie Ihre Kraft?
Das ist ja ein Geben und Nehmen. Jeder kann Liebe, Vertrauen leben. Beides sind Gegenpole der Angst. Jeder kann Zuversicht praktizieren. Sie stärkt nicht nur das Individuum, sondern auch Gemeinschaften. Wenn wir gemeinschaftlich wieder an unsere Problemlösungsfähigkeit glauben und unseren Erfindergeist einsetzen, können wir auch ernste Krisen überstehen. Liebe, Zuversicht und Solidarität zu pflegen, gibt Kraft.
Ängstliche Menschen können leichter manipuliert werden, oder?
Wer Angst hat, ist leichter lenkbar. Dass populistische Parteien nicht nur in Deutschland auf dem Vormarsch sind, hängt auch mit einem wachsenden Angstgefühl zusammen. Sie bieten vermeintlich einfache Lösungen an. Damit entsteht die Fantasie einer "zukünftigen Vergangenheit", in der alles einfach, harmonisch und groß ist – und vor allem frei von jeglicher Angst. Ein Trugschluss.
Was sind Ihre besten Ratschläge für mehr Lebensfreude?
Wir müssen uns wieder auf das konzentrieren, was uns verbindet. Engagieren wir uns für eine Welt für uns alle. Wir sollten nicht mit Gewalt „die Angst überwinden“, sondern die eigene Angst an die Hand nehmen, rausgehen, aktiv werden, unseren Teil zu Nächstenliebe, Toleranz, Respekt und Frieden beitragen. Jeder und jede ist gefragt. Denn: Mut steckt an.
Du hast nichts zu fürchten!
So wehrst du dich am besten gegen Sorgen und beklemmende Gefühle.
Anhalten. Du sitzt in der Grübelfalle? Mit einem lauten "Stopp" das Gedankenkarussell anhalten. Wenn nötig mehrmals.
Aufschreiben. Angst, Gedanken und Sorgen in klaren Sätzen zu Papier bringen. Immer wieder laut vorlesen, bis die Sätze wie Scheinriesen in sich zusammenfallen.
Bewegen. Laufen, Schwimmen, Spazierengehen – Bewegung macht den Kopf frei.
Rein in den Flow. Basteln, Kochen, Gärtnern, Musizieren, mit den Kindern spielen – tu etwas, das deine ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Dankbarkeit üben. Jeden Tag schöne Dinge aufschreiben, für die man dankbar ist. Das lenkt den Fokus wieder auf das, was gut läuft im Leben.
Miteinander reden. Tausche dich mit guten Freund:innen und liebevollen Familienmitgliedern aus, um neue Perspektiven auf deine Angst und auf dein Leben zu entwickeln.
Mehr Achtsamkeit. Übe dich in Achtsamkeit, versuche zu meditieren, um leichter im Hier und Jetzt zurechtzukommen.
Knoten lösen. Raus aus dem Sorgenmachen, hinein ins Handeln. Entwickle konkrete Schritte, um die Probleme zu lösen.
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