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Innere Stärke in schwierigen Zeiten finden

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Lesezeit
13 min
Frau, die nachdenklich ist

©iStock/FreshSplash
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Ob die düstere Weltlage oder private Schreckensmomente: Wenn man nicht aufpasst, können Ängste und Sorgen schnell unser Leben bestimmen. Wie man sich trotz allem die Zuversicht bewahrt, weiß Arzt und Bestsellerautor Dietrich Grönemeyer in unserem Talk.

"Seit mehr als 30 Jahren erlebe ich in meiner medizinischen Praxis tagtäglich Menschen in Stress und Angst", schreibt Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer in seinem neuen Buch "Leben ohne Angst". Sie fürchten Ansteckung und Krankheit, das Alter, das Ersparte zu verlieren. Haben rationale und irrationale Ängste vor Einbrüchen und Energiekrisen, vor Kriegen und Terroranschlägen, vor Anderslebenden und Andersdenkenden.

Kein Wunder, so der Experte, dass psychische Krankheiten rapide auf dem Vormarsch seien und dass ständig von Sorgen Geplagte mit diversen körperlichen Symptomen zu kämpfen haben. "Der Stress verändert die Durchblutung, verkrampft, kann zu Muskelverspannungen führen." Aber was kann man dagegen machen? Genau das fragten wir den engagierten Mediziner und Autor.

Es ist sinnvoll und ratsam, sich mit dem, was mir Angst macht, zu beschäftigen.

Dr. Dietrich GrönemeyerArzt & Bestsellerautor
WOMAN

Ein Leben ohne Angst: Kann es das wirklich geben?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Es geht nicht darum, niemals Angst zu haben. Das funktioniert nicht. Es geht darum, mutig genug zu sein, sich den eigenen Ängsten zu stellen und nicht zuzulassen, dass sie das Leben bestimmen. Um das zu schaffen, müssen wir Zuversicht wagen, das Gute finden. Um es auf einen ganz einfachen Nenner zu bringen: Wenn wir uns nicht von unserer Angst beherrschen lassen wollen, müssen wir positiv denken, heiter bleiben, versuchen, das Leben zu genießen – trotz allem.

WOMAN

Ist das nicht manchmal leichter gesagt als getan?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Besonders wichtig für optimistisches Denken ist ein oft schon in der Kindheit gelegtes Grundvertrauen in die Welt. Es hilft uns, Selbstvertrauen zu entwickeln und damit traumatische Erlebnisse und seelische Kränkungen besser zu überstehen – und das auszuhalten, was das Leben eines jeden von uns existenziell prägt, so wundervoll es auch immer sein mag: Unsicherheit und Angst.

WOMAN

Und wenn ich nicht gerade mit Grundvertrauen gesegnet bin?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Dann durchaus auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen! Eine Studie fand heraus, dass zwei Drittel der von Angststörungen Betroffenen keine Unterstützung suchen und damit gravierende Langzeitfolgen riskieren. Das kann bis zur Unfähigkeit gehen, das Haus zu verlassen, bis zu erheblichen Einschränkungen im Beruf. Angst kann hinter Symptomen wie Herzrasen, Schwitzen oder Verdauungs- und Rückenproblemen stecken. Hinter Einschlafstörungen und Reizbarkeit. Der Dauerstress begünstigt auch Entzündungen, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes fördern können und leider auch Depressionen.

WOMAN

Häufig denkt man ja gar nicht daran, dass hinter Symptomen wie innerer Unruhe oder Depressionen Ängste stecken können.

Dr. Dietrich Grönemeyer

Es gibt ja auch andere Ursachen für innere Unruhe oder schlechte Stimmung. Erst wenn die Symptome zu viel Platz im Leben einnehmen, sollte ich mich fragen, was dahintersteckt. Wenn Besorgtheit und Anspannung den Alltag überschatten, dann sollten die Alarmglocken schrillen. Besonders unangenehm sind die irrationalen Ängste. Die Gedanken drehen sich dann hauptsächlich um negative Szenarien, die theoretisch eintreten könnten. Die Betroffenen vermuten immer das Schlimmste, eine fundierte Grundlage gibt es jedoch gar nicht.

WOMAN

Sie nennen das Do-it-yourself-Panikmache.

WOMAN

Genau. Je nach Gemüt reichen zwei, drei Minuten im eigenen Hirn völlig aus, um Herz und Lunge, Muskeln und Magen in eine Stressreaktion zu manövrieren. Dabei ist ja noch gar nichts Konkretes passiert: "Ja, aber es könnte …" Nochmals möchte ich aber betonen: Nicht jeder Schweißausbruch oder jede Nervosität deutet gleich auf eine Angststörung hin.

WOMAN

Nicht jede:r hat auch gleich das große Thema. Manche sind einfach generell ängstlich. Kann man trotzdem glücklich sein?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Klar. Ängstlich zu sein, ist doch erst mal nichts Schlimmes. Man muss sich, wie schon gesagt, der Angst stellen, sie hinterfragen. Nehmen wir zum Beispiel die Angst vor dem Fliegen. Das kann extrem belastend sein. Da muss man dann nach individuellen Lösungen suchen. Mache ich einen Kurs zum Abbau der Flugangst oder nehme ich in Zukunft lieber den Zug oder das Auto? Dann bewältige ich diesen Stress auf meine Art und kann trotzdem glücklich sein.

WOMAN

Zwischendurch auch mal was Positives zur Angst: Sie kann mich zum Beispiel vor unvernünftigen Aktionen schützen, oder?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Ja, das macht sie. Im Grunde ist Angst ein evolutionärer Überlebensmechanismus, um Gefahren zu erkennen und schnell darauf zu reagieren. Sie kann uns wachrütteln, wenn wir wegschauen, motivieren, wenn uns der Antrieb fehlt.

WOMAN

Themen wie Ängste vor Ansteckung oder dem Alter, Geldknappheit, die Sie erwähnen – die können uns also motivieren und schützen, aber gleichzeitig belasten?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Genau. Nehmen wir als Beispiel Angst vor dem Alter. Kann man sicher haben: vor körperlichen Einschränkungen oder vor Einsamkeit. Aber wenn ich mich genau mit diesen Einzelthemen auseinandersetze und eine Perspektive entwickle, verliert das Thema seinen Schrecken.

WOMAN

Bei anderen Problemen wie der Energiekrise etwa, wäre es da ein guter Ansatz, sich selbst zu sagen: Nur weil ich mir Sorgen mache, ändert sich auch nichts.

Dr. Dietrich Grönemeyer

Es ist schon sinnvoll und ratsam, sich mit dem, was mir Angst macht, zu beschäftigen. Heißt: Ich frage mich, welche Auswirkungen ein Ereignis auf mich haben könnte und welche Möglichkeiten ich habe, die Situation positiv zu beeinflussen. Im Falle der Energiekrise: Wo kann ich Energie sparen? Wie kann ich mein Verhalten anpassen? Damit werde ich nicht allein das Problem beenden können, habe aber Möglichkeiten entwickelt und mich mit der Situation beschäftigt. Das beruhigt.

WOMAN

Und wie gehe ich mit Meldungen zu Krieg und Gräueltaten um?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Die einen setzen sich dem medialen Trommelfeuer der täglichen Horrormeldungen bewusst aus, andere filtern das lieber aus ihrem Leben. Und wieder andere fragen sich, was sie dem bewusst entgegensetzen können. Entscheidend ist am Ende, wie ich Frieden mit mir selbst finden kann und wie es mir gelingt, wieder Glück und Lebensfreude zu genießen. Was kann ich in meinem Umfeld dazu beitragen?

WOMAN

Was kann ich spontan tun, wenn mich gerade Angst überfällt?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Bewusst tief ein- und ausatmen oder singen, das nimmt dem Gefühl die Wucht. Ein Gummiband auf das Handgelenk schnalzen lassen, etwas Scharfes essen, etwas Spitzes berühren – gerade so, dass das Gehirn sich mit dem Sinnesreiz beschäftigt und keinen Platz für Angst hat.

WOMAN

Trägt die viele Beschäftigung mit Social Media zu mehr Sorgen bei?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Ich möchte Social Media nicht per se für alles Schlechte verantwortlich machen, im Gegenteil. Allerdings gilt eine Einschränkung, die der große Heilkundige Paracelsus so treffend formuliert hat: Die Dosis macht das Gift. Das betrifft in besonderem Maß den Umgang mit den digitalen Infoquellen und Social Media. Gerade in Krisenzeiten legen viele ihr Smartphone kaum noch aus der Hand, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. "Doomscrolling" nennt man dieses Verhalten. Das beruht auf einem Mechanismus, der tief in uns verankert ist: Unser Gehirn hat im Lauf der Evolution gelernt, besonders stark auf Gefahren zu reagieren. Deshalb nehmen wir vor allem die negativen Schlagzeilen und Nachrichten wahr, die uns Angst einjagen. Je furchtbarer ein Ereignis ist, desto größer fällt unsere Resonanz aus.

WOMAN

Sie schreiben, mit Menschen zu sprechen, Zuversicht zu verbreiten, sei Ihr tägliches Anti-Angst Mittel. Woher nehmen Sie Ihre Kraft?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Das ist ja ein Geben und Nehmen. Jeder kann Liebe, Vertrauen leben. Beides sind Gegenpole der Angst. Jeder kann Zuversicht praktizieren. Sie stärkt nicht nur das Individuum, sondern auch Gemeinschaften. Wenn wir gemeinschaftlich wieder an unsere Problemlösungsfähigkeit glauben und unseren Erfindergeist einsetzen, können wir auch ernste Krisen überstehen. Liebe, Zuversicht und Solidarität zu pflegen, gibt Kraft.

WOMAN

Ängstliche Menschen können leichter manipuliert werden, oder?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Wer Angst hat, ist leichter lenkbar. Dass populistische Parteien nicht nur in Deutschland auf dem Vormarsch sind, hängt auch mit einem wachsenden Angstgefühl zusammen. Sie bieten vermeintlich einfache Lösungen an. Damit entsteht die Fantasie einer "zukünftigen Vergangenheit", in der alles einfach, harmonisch und groß ist – und vor allem frei von jeglicher Angst. Ein Trugschluss.

WOMAN

Was sind Ihre besten Ratschläge für mehr Lebensfreude?

Dr. Dietrich Grönemeyer

Wir müssen uns wieder auf das konzentrieren, was uns verbindet. Engagieren wir uns für eine Welt für uns alle. Wir sollten nicht mit Gewalt „die Angst überwinden“, sondern die eigene Angst an die Hand nehmen, rausgehen, aktiv werden, unseren Teil zu Nächstenliebe, Toleranz, Respekt und Frieden beitragen. Jeder und jede ist gefragt. Denn: Mut steckt an.

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