
Seit 2025 müssen Unternehmen ihre Geschäftsberichte um Angaben zu Umwelt-, Sozial- und Governance- Faktoren (ESG) ergänzen. Warum diese Mehrwert bringen, wo sie am besten funktionieren und weshalb sie auch für kleinere Betriebe Sinn machen, weiß New-Leadership-Expertin Barbara Lutz.
Die EU-Richtlinien für Nachhaltigkeitsberichterstattung treten 2025 in Kraft. Die Themen: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – kurz ESG (Environmental, Social, Governance). Sie betreffen große sowie börsennotierte Konzerne mit einem Nettoumsatz von mehr als 40 Millionen Euro und mehr als 250 Beschäftigten. Aber auch für Nicht-EU-Firmen mit einem Nettoumsatz von 150 Millionen Euro ist ein Bericht in Zukunft verpflichtend.
Barbara Lutz, die den Frauen-Karriere-Index (FKi) als Management-Tool für Change und Diversity in Betrieben gegründet hat, bietet über 380 Firmen in 32 Ländern wichtige Unterstützung in den Bereichen New Leadership, Diversity und Transformation. Sie weiß, worauf es bei den ESG-Richtlinien ankommt: "Unternehmen sollten sie proaktiv im Kontext von Technologie und Nachhaltigkeit umsetzen, um den bestmöglichen Nutzen für sich und die Umwelt daraus zu ziehen." Für uns fasst sie die wichtigsten Punkte zusammen …


Barbara Lutz: Die Wirtschaftsexpertin hat den Frauen-Karriere-Index gegründet, ein Management-Tool für Chance & Diversity. fki-diversity.com
© WerkFairer Wettbewerb durch ESG
Viele Anleger, allen voran große Investment-Häuser, achten heute genauer darauf, wie gut ein Unternehmen geführt wird, so Barbara Lutz: "Wenn es stimmt, dass diverse Teams erfolgreicher sind, ist es logisch, sich das genauer anzusehen und zu verstehen, wie da gearbeitet wird." Dann beurteilt man eben nicht nur die oberflächliche Geschäftsführung, sondern schaut in die Strukturen, in die KPIs, also Key-Performance-Indikatoren, genau hinein. "Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, Firmen sehr viel klarer als früher zu bewerten", hebt die Managerin einen positiven Aspekt hervor. Natürlich stecke mit den gesetzlich vorgeschriebenen ESG-Richtlinien auch die Absicht dahinter, eine Gleichheit und Verhältnismäßigkeit der Betriebe zu generieren und eine Form von Fairness, denn "wenn sich alle Unternehmen europaweit oder weltweit an ähnlichen Kriterien orientieren müssen, kann das nur gut sein".
ESG auch für kleinere Betriebe
Kleinere Betriebe dürfe man bei der Umsetzung nicht vergessen, da auch sie Finanzierungsplänen unterliegen. Vor allem hinsichtlich des Fachkräftemangels. "Wir erleben große Wachstumsschwierigkeiten, weil wir diejenigen, die bestimmte Jobs unattraktiv finden, nicht erreichen. Aus diesem Grund erweist es sich als dringend notwendig, weitere Arbeitspotenziale zu erschließen, wie mehr Frauen beziehungsweise Menschen mit Migrationshintergrund. Dafür müssen wir aber dann auch ansprechende Voraussetzungen schaffen", unterstreicht die Expertin und ergänzt weiter: "Was junge Arbeitnehmende inzwischen mit Sicherheit gelernt haben, ist, sich bestimmte Kennzahlen einer Firma genau anzusehen, um erkennen zu können: Werde ich hier auf Augenhöhe behandelt? Werde ich hier eine wirkliche Chance auf Wachstum haben? Werde ich als Mensch wahr- und ernst genommen?" Das präge maßgeblich die Entscheidung, wo man einen Job annehmen möchte: "Es ist Aufgabe der Führungskräfte, dafür ideale Bedingungen zu schaffen."
Wo ESG am besten funktioniert
Generell hat sich Europa in Sachen Nachhaltigkeit als Vorreiter etabliert. Zahlreiche EU-Mitgliedstaaten haben ehrgeizige Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen, Förderung erneuerbarer Energien und Schutz der Biodiversität festgelegt. Die Europäische Union selbst hat den Green Deal ins Leben gerufen, mit dem Ziel einer kohlenstoffarmen Wirtschaft und sozialen Fortschritts. "Vor allem skandinavische Länder wie Schweden und Dänemark sowie die Niederlande sind führend in der Nachhaltigkeitsbewegung. Diese Staaten setzen vorbildhaft hohe Standards in den Bereichen erneuerbare Energien, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz. Außerdem fördern sie aktiv die Umstellung auf eine grünere Wirtschaft."
Diversität als treibende Kraft
"Ich denke, es war noch nie so wichtig wie jetzt, über den Wert von Diversität zu sprechen. Und wir müssen uns die Mühe machen, auch mit Menschen darüber zu reden, die das noch nicht verstanden oder noch nicht verinnerlicht haben. Denn das große Problem ist, dass wir uns in einer Blase bewegen", deutet Barbara Lutz auf jene Gruppe hin, die sich bereits mit dem Thema auseinandersetzt. "Wir sollten uns alle zunehmend fragen, warum es für uns als Gesellschaft wünschenswert ist, eine diverse Entwicklung voranzutreiben. Deshalb muss man zuerst von einer Polarisierung wegkommen, also keinesfalls sagen, die einen sind schlecht, die anderen gut." Durch die zunehmende Vielfältigkeit werde zum Glück schon automatisch sehr viel Demokratiearbeit in Unternehmen geleistet: "Ein Team repräsentiert im Optimalfall die gesamte Gesellschaft. Dadurch erreicht man auch jene Bevölkerungsgruppen leichter, die dem Thema noch nicht so offen gegenüberstehen."
Der soziale Aspekt gewinnt bei den ESG-Richtlinien zunehmend an Bedeutung.
Die Breite Skala der Vielfältigkeit
Wir sprechen viel über Diversität, aber welche Bereiche beinhaltet sie tatsächlich? Es gebe zwei Blickwinkel, erläutert die Managerin: "Auf der einen Seite ist es das Offensichtliche, dazu zählen wir Frauen, die globale und soziale Herkunft, Menschen mit Behinderungen, sexuelle Orientierungen, unterschiedliche Religionen." Auf der anderen Seite sei die Vielfältigkeit im Mind gemeint: "Es gibt Unternehmen mit augenscheinlich diversen Mitarbeiter:innen, die allerdings alle die gleiche politische Haltung haben sowie dieselben Einstellungen zu Themen vertreten." Das sei keine echte Diversität, denn die gibt es nur, wenn auch verschiedene Meinungen vertreten sind, so die Expertin, und sie gibt ein Beispiel: "Als ich die Kommunikationskampagne für die Einführung des Euro leitete, bestand mein Kernteam aus Menschen aus 13 Nationen im Alter zwischen 18 und 67 Jahren. Das hat mir wirklich gezeigt, wie Meinungsvielfalt aussieht und warum sie so attraktiv ist."
ESG-Benefits auf mehreren Seiten
"Das wirtschaftliche Wachstum ist schon einmal eines der größten Goodies", sagt Expertin Lutz. Doch das Potenzial zum Beispiel der Frauen als Wirtschaftskraft wird vernachlässigt, sowohl in der Workforce als auch als Konsumentinnen. Wer mehr verdient, gibt auch mehr aus. So einfach ist die Rechnung. Lutz nennt weitere positive Aspekte: So helfe die erfolgreiche Umsetzung von ESG und Diversität dabei, Strukturen zu modernisieren, bessere Personalprozesse für alle zu definieren und tatsächliche Exzellenz entstehen zu lassen. "Das Unternehmen wird dadurch veränderungsfähiger und erfolgreicher. Gerade wenn Geschäftsmodelle unter Druck geraten, sind vielfältige Ideen und Lösungsansätze entscheidend", so Lutz. Jedenfalls würde das, was man schon immer getan hat, keine schnellen und notwendigen Veränderungen bringen.
Zusammenspiel Technologie & Nachhaltigkeit
Was gehört zur technologischen Nachhaltigkeit? "Alles, was ein Unternehmen produziert, auch intern", fasst Lutz zusammen. Es betreffe natürlich die CO2-Ausstöße, also faktische, umweltschädliche Aktivitäten, aber auch nachhaltiges Handeln im Sinne von: Wie gehe ich mit meinen Mitarbeiter:innen um? Wie mit den Ressourcen, wie mit meinen Investitionen? Sämtliche Unternehmensebenen seien hier eingeschlossen. Im Prinzip all das, was erfolgreiche Betriebe ausmacht. Es gehöre aber auch der Wunsch nach Transparenz dazu und der nach guter, nachhaltiger Führung. Menschen, die sich ihrer Firma auf lange Sicht verbunden fühlen, sind leistungsfähiger und seltener krank: "Arbeitnehmer:innen sollten sich bestenfalls so wohl an ihrem Arbeitsplatz fühlen, dass sie dem Betrieb auch 20 Jahre oder länger treu bleiben wollen. Auch hier hilft die Umsetzung aller ESG-Richtlinien im besten Sinne."
Folgen bei Nichteinhaltung der ESG
Junge Menschen entwickeln zunehmend ein starkes Bewusstsein dafür, wo sie arbeiten möchten. Das sollten Arbeitgeber:innen bedenken. "Heute will man dem oder der Vorgesetzten auf Augenhöhe begegnen. Aus diesem Grund sind rein hierarchische Strukturen nicht mehr möglich", ist Barbara Lutz überzeugt. Wer sich mehr auf die Technologie im Unternehmen statt auf das Soziale konzentriert, denkt massiv rangmäßig, das entspreche überhaupt nicht mehr dem Zeitgeist, so Barbara Lutz, die noch einen weiteren Punkt wichtig findet: "Auch die massive Zunahme an Transparenz wie beispielsweise durch die sozialen Medien sollte man bedenken." Sie machen es fast unmöglich, sich vor betrieblichen und rechtlichen Rahmenbedingungen zu verschließen. Ein Missachten werde schnell öffentlich publiziert und verbreitet. Und damit entstehe die große Gefahr, die Reputation, das Employer Branding des Unternehmens zu gefährden. Lutz fasst zusammen: "ESG ist wirklich kein Zahnbruch, vor dem man Angst haben muss."
Das Resümee: Environmental, Social und Governance – drei Bereiche, die letztendlich alle Unternehmen voranbringen können. Das wirtschaftliche Wachstum wird gefördert, zugleich werden innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen entwickelt. Ein Zusammenspiel, von dem letzten Endes alle profitieren sollten.
Machen wir die Arbeitswelt besser!
WOMAN Elevate und Barbara Lutz, die Gründerin des Frauen-Karriere-Index (FKi), wollen Gleichberechtigung und Vielfalt vorantreiben. Zusammen haben wir ein Gütesiegel entwickelt, das Unternehmen, die insbesondere Frauen in Verbindung mit den ESG-Regeln fördern, auszeichnet. Melden Sie sich! Nach einer ersten Prüfung bekommen Sie eine Analyse ihres Ist-Zustands und Empfehlungen für nächste Schritte. Die besten Betriebe holen wir auf unseren Plattformen vor den Vorhang. Mehr unter woman.at/guetesiegel
Wichtige Veränderungen der ESG-Regeln
"Der große Unterschied ist, dass das ‚S‘, also Social, bei ESG an Bedeutung gewinnt. Insbesondere ‚Own Workforce‘, das heißt die eigene Belegschaft, betreffend", erklärt die Expertin. Vorrangig muss noch mehr Wert auf die körperliche und mentale Gesundheit der Mitarbeitenden, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Bezahlung gelegt werden. Lutz ergänzt: "Arbeitgeber:innen müssen sich zunehmend folgende Fragen stellen: Wie divers sind die Teams aufgestellt? Wie ist die Struktur der Arbeitnehmerschaft? Aber auch: Mit wem arbeiten wir zusammen, wie sind die Arbeitsbedingungen und -richtlinien?"