Logo

Doktor Wald hilft immer

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
4 min

©VGN
  1. home
  2. Balance
  3. Kolumne

Schnell, zuverlässig und rezeptfrei 

Eigentlich sollte man im Mai die ganze Zeit in den blauen Himmel starren, sich verlieben, in weißen Jeans auf Seepromenaden flanieren, mit Freunden beim Heurigen sitzen, Picknickkörbe befüllen, gute Bücher unter Kastanienbäumen lesen und auf Erdbeerfeldern liegen, für immer.

Das geht aber nicht, wenn man gerade für die Matura lernen muss. Oder wenn man sich am Alltag abarbeitet: Der Beste beklagt, er fühle sich zu sehr fremdbestimmt. Dass Job und Familie auch an meinen Kräften zehren, merke ich an unruhigem Schlaf, an einer akuten Blasenentzündung und daran, dass ich anderen gegenüber zusehends pampig werde. So mag ich mich nicht.

Playlists sind persönlicher als Pulswerte

Erholung finde ich im Wald. Offensichtlich suchen gerade viele Menschen dort Erholung, denn allein bin ich nie. Mir begegnen Hipster auf spritzigen Mountainbikes, Männer mit Hüten und Hunden, die immer mit mir „spielen wollen“ (die Hunde, nicht die Männer – ich hasse das, aber das ist eine andere Geschichte), Wanderer mit Rucksäcken, in deren Außentaschen Trinkflaschen stecken, und Frauen in Leggings mit Walking-Stöcken. Der Wald ist großzügig: er nimmt sie alle auf.

Manche schauen weg, wenn ich an ihnen vorbeihusche. Andere lächeln, es entsteht eine Sekunden-Nähe, die sich sofort wieder verflüchtigt und trotzdem bleibt etwas hängen. Der Wald verbindet. Der Bärlauch ist gerade am Verblühen, rundum Grün in allen Schattierungen.

In dem Gurt, den ich um mein Shirt geschnallt habe, befinden sich Schlüssel, Handy und Kopfhörer. Manchmal gehe ich nur in den Wald, um ungestört Musik hören zu können. Nein, meine Playlist würde ich nie teilen. Playlists sind persönlicher als Pulswerte. Der Beste sagt, ich laufe gar nicht, ich tanze. Oft nehme ich die Ohrstöpsel aber auch raus und höre dem Wald zu. Still ist er nie.

Kurz durchatmen – und danach ist es immer besser

Am liebsten bin ich im Wald, nachdem es geregnet hat, wenn der Boden noch feucht ist, aber nicht so matschig, dass man in den Lacken versinkt. Die Luft ist dann besonders rein: sie tut den ausgetrockneten Lungenflügeln und der welken Haut gut.

 Abends fallen die Lichtstrahlen so tief von der Seite ein, dass die Baumstämme lange Schattenstriche werfen. Am liebsten würde ich die Laufschuhe ausziehen und mit meinen Füßen den weichen Moosteppich spüren – aber mit meiner Blasenentzündung traue ich mich das nicht. 

 Oft ist es nur ein kurzes Durchatmen, eine kleine grüne Runde vor dem Abendessen. Aber danach ist es immer besser. Und wenn man sich’s genau überlegt: der Mai hat ja gerade erst begonnen.

Über die Autor:innen

Logo
-20% auf das WOMAN-Abo

Hol' dir WOMAN im Jahresabo und spare -20%

Ähnliche Artikel