Ein guter Platz zum Arbeiten
Ich wohne in der lebenswertesten Stadt der Welt mit der vielleicht besten Kaffeehauskultur – aber noch nie kam es mir in den Sinn, in einem Café zu arbeiten.
Bis vor wenigen Tagen. Mein Ziel: ein Jugendstilcafé im 16. Bezirk, das ich besonders gerne mag (vielfältiges Zeitungsangebot, gute Küche, engagiertes Personal) und in dem ich früher ab und zu mit meiner Tochter war – als sie noch mit mir wegging. Wir haben uns mit ihren Schulbüchern, Heften und Stiften an einen der kleinen Marmortische gesetzt und Englisch gelernt. Did we like it? Yes, we did!
Jetzt sind Weihnachtsferien und es ist wenig los. Ein Pärchen frühstückt und plaudert miteinander (so etwas gibt es noch!). Eine ältere Dame hat eine Kardinalschnitte vor sich und eine Pelzhaube auf ihrem Kopf, aus der zwei Kabeln hängen, die mit ihrem Handy verbunden sind. Was sie wohl hört? Klassische Musik, einen Podcast, AC/DC?
Ich bin bei mir, aber nicht allein.
Es ist kurz nach elf Uhr. Ich bestelle eine Melange, logge mich ins W-Lan und beginne, einen Text zu redigieren. Das Erstaunliche: obwohl mich daheim kleinste Geräusche wie Teller klappern oder Radiomusik stören, kann ich mich in dieser heimeligen Halb-Öffentlichkeit wunderbar konzentrieren. Die anderen Gäste sehe ich nicht; aber ich kann sie spüren. Jeder ist für sich und man ist dennoch nicht allein. Ich komme gut voran. Und bin beseelt von einem Gedanken, den ich auch schon einmal gegenüber meinem Chef geäußert habe: man könnte unser Magazin doch überall produzieren (gutes W-Lan vorausgesetzt!); warum also nicht gleich an einem schönen Strand im Süden, mit Blick aufs Meer?
In meinem enthusiastischen Flow poste ich eine Story auf Instagram, in der man die hohen Fenster, den dunklen Parkettboden, Teile der Schank und die Deckenleuchten meiner neuen Schreib-Werkstatt sieht. Dazu texte ich, so ein bisschen im „Emily in Paris“-Style: „...so in HERZ-SYMBOL with this café...“
Hallo, wir kennen uns von Facebook!
Ich weiß, megapeinlich! Mein Posting wie auch die Serie; aber das Lästern darüber ist eines der wenigen Dinge, die mich aktuell noch mit meiner Teenager-Tochter verbinden, also bitte verzeihen Sie das einer schrulligen, sentimentalen Mutter, danke!
Kurz darauf poppt eine Nachricht auf: „ha, auch gerade da ;-)“
Ich blicke von meinem Laptop hoch, sehe mich um. Ich kenne den Absender vom Namen, aber nicht persönlich. Tatsächlich sind nun fast alle Plätze besetzt. Aber wer hat mir geschrieben? Ich tippe: „wo???“ Und prompt kommt die Antwort: „Sitz in der anderen Ecke.“ Mein suchender Blick bleibt an einem Mann hängen, der prompt auf mich zukommt: „Wir kennen uns von Facebook“, lacht er. Und, richtig: wir waren unseren Postings zufolge schon öfter an den gleichen Orten (aber noch nie zur gleichen Zeit) und haben uns dafür „Likes“ gegeben beziehungsweise Kommentare hinterlassen. Er wohne in der Nähe und komme immer wieder gerne hier her. Weil: guter Platz zum Arbeiten.
Gut möglich also, dass wir uns bald wiedersehen. Oder vielleicht sogar an einem schönen Strand im Süden, mit Blick aufs Meer?
Kristin Pelzl-Scheruga ist Chefredakteurin von Lust aufs LEBEN.