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Erster Sommerurlaub ohne Kind

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Unser Road-Trip durch Schottland

Das erste Bild, das die Tochter (16) aus Brighton schickt, zeigt ein Stück Zwiebeltarte auf weißem Porzellan, Cappuccino mit reichlich Kakaopulver und ein Erdbeertörtchen. Man sieht darauf auch die Buchseite eines englischen Romans und eine zarte Hand mit dunkelblau lackierten Fingernägeln. Das Teenager-Mädchen lässt es sich offensichtlich gut gehen.

So wie seine Eltern, die derweil etwa 600 Kilometer weiter nördlich in Schottland urlauben. First stop: Edinburgh. Man kann in dieser Stadt nicht viel falsch machen, außer sie gemeinsam mit den Touristenschwärmen in einer Hop-On-Hop-Off-Bustour zu erkunden und in der Royal Mile hängenzubleiben.

Wir probieren Haggis – einmal reicht!

Wir spazieren also lieber durch den botanischen Garten, begutachten schrille Läden zwischen Old und New Town und besuchen historische Plätze wie den Holyrood Palace oder die Britannia, jene Yacht, auf der einst Prinz Charles und Lady Di flitterten. (Wissens-)Durst kann auch in den Pubs gestillt werden kann, in denen sich alles auf die entscheidende Frage reduziert: Ale oder Whisky?

Der Beste isst gleich am ersten Tag Haggis – eine schottische Spezialität bestehend aus Schafsmagen, gefüllt mit Herz, Leber, Lunge, Nierenfett, Mehl und Zwiebeln – und ist satt für die nächsten zwei Wochen. Die Schotten sind so freundlich, dass man ihnen fast alles verzeiht – den Dialekt, ihre Vorliebe für Einhörner, wenn sie im Pub Phil Collins spielen und sogar, dass ihre Wettervorhersagen nie stimmen. An den meisten Tagen erlebt man ohnedies alle vier Jahreszeiten.

„Hunger is no excuse!“

Viel Regen auch gerade in Brighton: Leider, schreibt die Tochter, sind ihre Converse komplett nass und sie würde gerne neue Schuhe kaufen, weil noch dazu die Heizung am Campus kaputt ist und ich verstehe sie total, aber den Besten ärgert das: „Warum hat sie ihre Laufschuhe nicht mit genommen?“ Auch das verstehe ich.

Nach Edinburgh geht’s Richtung Nord-Osten. Zum Glück haben wir die Quartiere vorab gebucht, es ist schwer genug, nach 19 Uhr gutes Essen zu finden. Im entzückenden Cruden Bay ist alles „closed.“ Endlich finden wir 15 Kilometer außerhalb unseres Dörfchens ein Lokal, das noch offen hat. Es ist gefüllt bis auf den letzten Platz. Die Restaurant-Chefin sieht uns streng an:
„Do you have a reservation?“
„Unfortunately not. But we are incredibly hungry.“
Die Chefin schaut jetzt noch strenger:
„That’s no excuse!“
Dann schallendes Gelächter und bald darauf die beste homemade Lasagne.

Unser Bed & Breakfast sieht aus wie sich kleine Mädchen ihre Puppenhäuschen wünschen und zum Frühstück gibt es selbst gebackenes Brot. Ich muss die italienische Besitzerin unbedingt nach dem Rezept fragen. Im Urlaub glaube ich fest daran, dass ich dieses Brot zu Hause tatsächlich nachbacken werde. Im Alltag ist es dann leider so, dass ich es nicht einmal schaffe, gutes Brot zu kaufen. „Falsch, du schaffst es daheim nicht einmal, mir zu sagen, dass ich Brot kaufen soll“, sagt Beste. Und leider hat er Recht.

Seelenfrieden im Norden, Highlife in Brighton

Jedenfalls setzt hier, an dieser verschlafenen Küste, die Erholung ein. In der Früh ist es am Strand noch sehr frisch – wir rollen trotzdem unsere Yoga-Matten aus und trauen uns sogar kurz in die Nordsee. Je entschleunigter wir werden, desto bunter scheint es in Brighton zuzugehen. Wir hören von Strandpartys, vielen neuen Freundschaften, Kinobesuchen und Ausflügen nach London. So muss es wohl sein, wenn man mit fast 17 gerade die große Welt entdeckt.

Auf Skye haben wir ein tiny house gemietet, mit Fenstern vom Boden bis zur Decke, durch die morgens und abends das flache Sonnenlicht hereinstrahlt – wenn es nicht gerade regnet. Beim Wandern übertreibt der Beste wie immer ein bisschen und schleppt mich auf gefühlt jeden Berg, dafür trägt er den Rucksack mit Wechselshirts, Regenjacken, Hauben, Schals, Vinegar Chips, Trinkflaschen und Cadbury Chocolate und macht atemberaubende Fotos. Ich übernehme die Arbeit des DJ und wir hören Van Morrison, Paolo Nutini, Gerry Cinnamon und das neue Blur-Album, während wir die Insel abfahren und dann weiter nach Glencoe.

Das Tal von Glencoe ist ein Outdoor-Paradies, jedoch ziemlich überlaufen. Schroffe Berge, tragische Geschichte (hier fand 1692 einer der brutalsten Massenmorde der Geschichte statt) und nach zwei Nächten in einem völlig überbezahlten, heruntergekommenen Hotel freuen wir uns auf den letzten Stop: die Halbinsel Kintyre, wo sich Sir Paul McCartney noch zu Beatles-Zeiten eine Farm als Zufluchtsort vor den Fans kaufte, um mit seiner Frau Linda dort die Kinder aufzuziehen, die Wings zu gründen und Vegetarier zu werden.

Hier hat Paul McCartney mit Elton John gefeiert

Im entlegenen Dorf Clachan beziehen wir ein besonders charmantes B&B. Die Besitzer haben 16 Jahre lang in London zwei Restaurants betrieben und nun dieses Farmhouse mit viel Style-Gespür restauriert. Ich erzähle ihnen, dass ich eigentlich nur wegen Paul McCartney hier bin: „Das Bio-Heu vom Nachbarn stammt von seiner Farm“ sagen sie.

Es bleibt nur noch ein Tag, um die Halbinsel mit seiner kleinen Stadt Campbeltown (zwei Pubs, drei Whisky-Brennereien) zu erkunden. Die Einheimischen sind stolz darauf, dass sich der Ex-Beatle ausgerechnet hier niedergelassen hat, obwohl er sich seit etwa zehn Jahren nicht mehr blicken hat lassen. Fast jeder weiß eine Geschichte von ihm zu erzählen: „In diesem Pub ist er einmal mit Elton John und Rod Stewart versumpft!“ Darauf noch ein Guinness!

Gesunde Meeresluft, weidende Schafe, blühende Heidelandschaften: die Südspitze der Insel, das Mull of Kintyre, ist gerade einmal 20 Kilometer von der Nordküste Irlands entfernt. „… my desire is always to be here“, singt McCartney in seinem Welthit über diesen wunderschönen Flecken Erde. Doch leider: jetzt, wo ich es schaffe, auf der richtigen Seite des Autos einzusteigen, fahren wir schon wieder nach Hause.

Ein paar Tage nach unserer Rückkehr holen wir dann endlich die Tochter vom Flughafen ab. Sie hat mit viel mitgebracht aus Brighton – Geschichten, die wir nicht zur Gänze hören werden, unzählige Schnappschüsse, die wir nicht alle sehen werden, einen Koffer voller Schmutzwäsche, ein paar britische Pfund und ein Geschenk für mich: eine Beatles-Wärmeflasche mit „Yellow Submarine“-Motiv. Ich habe versucht, mir meine Rührung nicht anmerken zu lassen, für coole Mütter gehört sich so was nicht.

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