
Yoko Ono sprengte Grenzen, schuf radikale Kunst – und wurde dennoch lange verkannt. Die späte Würdigung einer Visionärin.
"Sie ist die berühmteste unbekannte Künstlerin der Welt. Jeder kennt ihren Namen, aber niemand weiß, was sie macht." Das soll der verstorbene "Beatle" John Lennon einst über seine Partnerin Yoko Ono in einem Interview gesagt haben. Jahrzehntelang wurde sie auf ihre Rolle als dessen Muse und später Witwe reduziert. Sogar als Verantwortliche für das Ende der berühmtesten Band der Welt musste sie herhalten. Doch dieses Bild wird ihr in keiner Weise gerecht. Als sie John Lennon kennenlernte, war Yoko Ono bereits eine etablierte Künstlerin. Und sie ist es geblieben, bis jetzt, lange über seinen Tod hinaus. Doch wie wurde sie zu jener Frau, die ihrer Zeit stets einen Schritt voraus war, dafür aber lange nicht die gebührende Anerkennung bekam?
1933 in Tokio in eine wohlhabende Familie geboren, besuchte Yoko Ono Eliteschulen und erhielt eine klassische Musikausbildung. Doch ihre Jugend war von den Schrecken des Zweiten Weltkrieges geprägt. Während der Bombardierung Tokios erlebte sie Hunger, Angst und Zerstörung – Erfahrungen, die sie wahrscheinlich zu jener Friedensaktivistin machten, die sie bis heute ist. Kunst verstand Ono immer auch als eine Form des Überlebens. "Nur Kunst und Musik haben die Kraft, Frieden zu bringen", lautet ein Zitat der Künstlerin.
Die Avantgardistin
Im Alter von 20 Jahren zog es sie nach New York, um am renommierten Sarah Lawrence College zu studieren. Dort entdeckte sie die Fluxus-Bewegung für sich und lernte Künstler wie John Cage kennen. Ono experimentierte mit Klang, Sprache und Raum – und erfand eine neue Form der Kunst. In ihren „Instruction Paintings“ gab sie dem Publikum Anweisungen, wie es selbst Kunst erschaffen kann. Eines der bekanntesten Werke aus dieser Zeit ist "Cut Piece" (1964): Yoko Ono saß während der Performance regungslos auf der Bühne, während die Zuschauer:innen dazu eingeladen waren, Stücke ihrer Kleidung abzuschneiden. Ein radikales Spiel mit Kontrolle und Verletzlichkeit, das bis heute als Meilenstein der feministischen Kunst gilt.
Zur schicksalhaften Begegnung zwischen ihr und John Lennon kam es 1966 in der Londoner Indica Gallery. Der Musiker, damals am Höhepunkt seines Ruhms, war von Onos Kunst fasziniert. Bald wurden sie unzertrennlich – persönlich wie künstlerisch. Legendär sind zum Beispiel die "Bed-Ins for Peace" (1969), eine experimentelle Form des gewaltfreien Protests für den Frieden während des Vietnamkrieges im Hilton Hotel in Amsterdam und im Queen Elizabeth Hotel in Montreal. Doch während Lennon als Genie gefeiert wurde, schlug Yoko Ono massiver Rassismus und Misogynie entgegen. Das schreibt der international erfolgreiche Bestsellerautor David Sheff in der Biografie "Yoko", die am 26. März erscheint. "Sie wurde von Anfang an verteufelt." Selbst nach Lennons Ermordung hielt sich dieses Bild hartnäckig. Obwohl sowohl Paul McCartney als auch George Harrison öffentlich bekundeten, dass sich die Beatles nicht wegen Ono aufgelöst hätten, änderte sich daran lange wenig. Für das Stereotyp der schuldtragenden Frau gibt es mittlerweile sogar einen eigenen Namen: der Yoko-Effekt.
Nur Kunst und Musik haben die Kraft, Frieden zu bringen.
Selbstermächtigung
Yoko Ono aber ließ sich nie auf eine Rolle als Fußnote in der Beatles-Geschichte reduzieren und machte unbeirrt weiter. Im Februar feierte sie ihren 92. Geburtstag. Zu diesem Anlass wurden in der Wade Thompson Drill Hall in der Park Avenue Armory in New York 92 "Wish Trees" ("Wunschbäume") aufgestellt – die bislang größte Installation ihres fortlaufenden Kunstprojekts. Seit 1996 wird unter Leitung der Künstlerin an verschiedenen Orten ein heimischer Baum gepflanzt. Besucher:innen können einen Wunsch auf einen Zettel schreiben und an die Zweige binden. Über eine Million dieser Wünsche sind mittlerweile im Sockel des Imagine-Peace-Turms in Island vergraben. Eine Lichtinstallation, die die japanisch-amerikanische Künstlerin im Gedenken an John Lennon und den anhaltenden Einsatz für den Weltfrieden entworfen hat.


Das Künstlerpaar blieb für den Weltfrieden im Rahmen seiner "Bed-Ins" im Bett, hier in Amsterdam.
© Getty ImagesSpäter Triumph
Späte Gerechtigkeit wurde ihr 46 Jahre nach Veröffentlichung von "Imagine", dem berühmtesten Lied für eine bessere Welt, zuteil: 2017 wurde sie offiziell als Co-Autorin anerkannt. Schon 1980 hatte Lennon David Sheff verraten, dass sie den Text für die Hymne gemeinsam geschrieben hatten, "aber ich war nicht Manns genug, sie als Urheberin zu nennen". Hätte er das Lied mit einem Mann geschrieben, so der Musiker gegenüber einem BBC-Reporter, hätte er "Lennon-Bowie" angegeben. So habe er nur "Lennon" daruntergesetzt, "weil sie ja nur meine Frau ist, und deren Namen setzt man ja nicht unter so was".
Nicht zuletzt durch Retrospektiven im MoMa in New York City oder in der Londoner Tate Modern erfährt Yoko Onos Einfluss auf die Kunst zunehmend Anerkennung. Und endlich wird sie als diejenige gesehen, die sie immer war und ist: eine visionäre Künstlerin, die Konventionen hinterfragt, Grenzen sprengt und sich niemals hat definieren lassen – weder durch die Liebe zu einem berühmten Mann noch durch das Urteil der Öffentlichkeit.


Bestsellerautor David Sheff hat eine umfassende Biografie über Yoko Ono geschrieben. btb, um € 26,80.
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