
Schauspielerin Ursula Strauss im großen WOMAN-Gespräch über mutige Entscheidungen und die Kunst, Vergänglichkeit anzunehmen.
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Die Vögel zwitschern im Hintergrund, als wir Ursula Strauss an einem Donnerstagnachmittag Anfang März via Zoom erreichen. „Ich hab heute einen freien Tag und bin in meinem Elternhaus am Land“, sagt die Schauspielerin in die Kamera. Wie passend, dass sich auch ihr nächstes Filmprojekt um eine Auszeit dreht: In der Tragikomödie „Altweibersommer“ (Kinostart: 4. April) fahren die drei Freundinnen Astrid (Ursula Strauss), Elli (Pia Hierzegger) und Isabella (Diana Amft) gemeinsam auf Urlaub – und alles läuft ganz anders als geplant (siehe Seite 46).
Mal feinfühlig, mal taff: Vor der Kamera ist die vielfach ausgezeichnete Schauspielerin für ihre authentischen Frauenfiguren bekannt – und sehr beliebt. In der Krimiserie „Schnell Ermittelt“ brilliert sie seit 2009 als unkonventionelle Kommissarin Angelika Schnell. Als wohlhabende Galeristin Dorit Sund ist Strauss außerdem zurzeit in der zweiten Staffel von „Biester“ zu sehen (montags, 20:15 Uhr, ORF 1). Bei all ihrer Vielseitigkeit kommt die Frage auf: Wie bleibt man bei sich, wenn man ständig jemand anderen spielt? Und was lernt sie von ihren unterschiedlichen Spielfiguren?
Mir ist die Endlichkeit des Seins schon sehr lange bewusst. Der Tod ist ein natürlicher Teil des Lebens und hat etwas Magisches an sich.

Neue Rolle
In „Altweibersommer“ geht es um drei Freundinnen, die in den Urlaub fahren – eine davon hat Krebs. Was lernt man im Film über Zusammenhalt?
Dass echte Freundschaften wahnsinnig viel aushalten und auf eine Art selbstverständlich sind, was manchmal schon fast erschreckend ist. Es ist eine andere Ebene von Beziehung. Wenn man mit einem Menschen wirklich befreundet ist und quasi in seinem Herzen wohnt, dann ist das ein weites Zelt.
Die drei gehen mitunter harsch miteinander um. Was muss eine Freundschaft aushalten?
Absolute Ehrlichkeit und dass man auch mal anderer Meinung ist. Und sie muss Humor haben und auch aushalten können.
Welche Bedeutung hat es für Sie privat?
Freundschaften sind extrem wichtig. Ich habe ganz tolle Freundinnen, die mich auch schon sehr, sehr lange begleiten. Aber ich habe auch toxische Freundschaften erlebt, so wie wahrscheinlich jeder Mensch. Dabei erinnere ich mich ganz stark an meine Pubertät, wo das noch so eine zerstörerische Kraft hatte. Das habe ich Gott sei Dank hinter mir gelassen. Heute habe ich sehr tolle Frauen an meiner Seite. Dafür bin ich sehr dankbar, weil gewisse Dinge nur Freundinnen wirklich verstehen.
Woran denken Sie da zum Beispiel?
An alles, was mit dem weiblichen Körper zu tun hat. Die ganzen verschiedenen Stadien im Leben einer Frau. Ich bin jetzt 50, in meinem Fall wäre es der Wechsel, wobei ich einen verfrühten Wechsel hatte und das deshalb schon länger vorbei ist. Aber allein, was es bedeutet, wenn Hormone einschießen, zum Beispiel. Oder sexuelle Übergriffe und Grenzüberschreitungen. Das kann man, glaube ich, nur nachvollziehen, wenn man in einem weiblichen Körper wohnt. Damit meine ich nicht, dass ein männlicher Körper nicht genauso übergriffig behandelt werden kann, aber das System dahinter ist ein anderes. Und selbstredend auch die Arbeit in der Familie, ob das jetzt das Aufziehen der Kinder oder die Pflege der Älteren betrifft. Das sind sehr oft Dinge, die an den Frauen haften.


Wandelbar: Wo Ursula Strauss mitspielt sind nahbare Frauenfiguren zu erwarten.
© Rafaela PröllMale Gaze
Pia Hierzegger stand für „Altweibersommer“ als Schauspielerin und Regisseurin vor und hinter der Kamera. Bemerken Sie einen Unterschied, wenn eine Frau beim Film den Ton angibt?
Für mich liegt der Unterschied in der Persönlichkeit, nicht im Geschlecht. Als Regisseur oder Regisseurin musst du Führungsqualitäten haben. Es ist eine Charakterfrage, ob jemand trotz großer Zurückgenommenheit Stärke ausstrahlt und man einfach so eine natürliche Autorität spürt. Oder ob man seinen Willen autoritär nachdrücken muss. Das habe ich bei Frauen und bei Männer n erlebt. Positiv wie negativ. Pia strahlt zum Beispiel so eine natürliche Autorität aus, weil sie unheimlich klug und ein wahnsinnig warmherziger und liebenswerter Mensch ist, der für alle ein Ohr hat.
Filmemacherin Eva Spreitzhofer hat im WOMAN-Interview über den Male Gaze, also die männliche Perspektive, mit der Frauen im Film oft dargestellt werden, gesprochen. Sie ist überzeugt, dass man aktiv gegen-wirken muss. Haben Sie das Gefühl, dahingehend verändert sich etwas?
Es ist wichtig, dass dieses Thema diese Aufmerksamkeit bekommt. Damit Geschichten oder Figuren geschrieben werden, die Frauen aller Altersgruppen betreffen und sie nicht nur als Projektionen eines Male Gaze vorkommen. Da tut sich zwar etwas, aber es könnte noch viel, viel mehr passieren. Es hat ja auch mit dem Male Gaze zu tun, dass für Frauen ab dem 40. Lebensjahr Sexualität aus irgendeinem Grund keine Rolle mehr spielen soll. Wenn ich bei Dreharbeiten erlebt habe, dass in einem Film sexuelle Narrative von Frauen ab 40 doch vorkamen, dann wurde es sehr oft aus weiblicher Sicht erzählt. Oder eine Autorin oder Regisseurin war involviert. Da würde ich mir mehr Selbstverständlichkeit wünschen – denn ich habe als Beziehungsmensch oder als sexuelles Wesen ja auch nicht aufgehört zu existieren.
Das Alter ist also nach wie vor ein Auswahlkriterium für gewisse Rollen?
Ja, leider. Ich bin jetzt in einer Altersgruppe, in der einem die Rollen nicht mehr ständig zufliegen. Dabei gehöre ich zu den Privilegierten, die regelmäßig arbeiten können. Aber es gibt viele Frauen, die dann plötzlich keine Aufträge mehr bekommen, was furchtbar ist und an der Lebensrealität von uns allen vorbeigeht.
Was halten Sie von Schauspielerinnen wie etwa Nicole Kidman, die zwar mit 57 im Kino zu sehen ist, aber augenscheinlich versucht, ihr Alter durch Schönheitseingriffe auszuradieren?
Ich tue mir schwer damit, aber das ist Nicole Kidmans Entscheidung. Jede Frau soll mit ihrem Gesicht und ihrem Körper machen können, was sie möchte. Es stimmt mich nur ein bisschen traurig, denn ich habe das Gefühl, dass die Leute, ob Männer oder Frauen, einem Schönheits-und Jugendwahn zum Opfer fallen. Das ist zum Teil dem Druck in unserer Branche geschuldet, in der es nicht akzeptiert wird, Zeichen des Alterns im Gesicht oder am Körper zu tragen.
Es hat mit dem Male Gaze zu tun, dass für Frauen ab dem 40. Lebensjahr Sexualität keine Rolle mehr spielen soll.
Über Vergänglichkeit
„Altweibersommer“ führt einem die menschliche Vergänglichkeit ehrlich vor Augen. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Mir ist die Endlichkeit des Seins schon sehr lange bewusst. Ich musste mich bereits von vielen Freunden und Familienmitgliedern verabschieden. Ich bin am Land aufgewachsen und habe meine erste Leiche mit acht gesehen. Mit 18 habe ich meine Oma bis zum letzten Atemzug begleitet. Das ist also nichts Neues für mich. Der Tod ist ein natürlicher Teil des Lebens und hat etwas Magisches an sich.
Was fasziniert Sie daran?
Ich glaube fest daran, dass Menschen entscheiden, ob sie es einem gestatten, bei diesem Moment dabei zu sein. Ich durfte es schon des Öfteren und empfinde das als großes Privileg. In dem Moment bleibt die Zeit stehen, und es öffnet sich ein Tor zu einer anderen Dimension. Es wird einem wieder so bewusst, wie wahnsinnig kostbar das Leben ist und wie schwer es ist, loszulassen.
In einem Interview haben Sie gesagt: „Auf der Reise hin zu unserem Abschied ist das Einzige, das wirklich spannend ist, dass man ständig lernt und sich entwickelt.“ Wie versuchen Sie sich das zu bewahren?
Wir entwickeln uns ja jeden Tag weiter, weil wir ein Stück weit mehr Erfahrungen machen. Ich mache Yoga, und das hilft mir dabei, eine geistige Klarheit zu kriegen. Manchmal versteht man ja nicht, warum einem gewisse Dinge passieren. Es ist phasenweise vielleicht nur anstrengend. Aber dann löst sich der Knoten irgendwann, und man erkennt rückblickend, wofür es gut war.


In „Altweibersommer“ (ab 4. April im Kino) spielt Ursula Strauss die loyale Freundin Astrid.
© Film AGMutige Entscheidungen
Wie schafft man es, bei sich selbst zu bleiben, wenn man so viele verschiedene Rollen spielt?
Das Gute ist: Wenn der Arbeitstag vorbei ist, bin ich ja ich selber. Ich versuche zwar, mich in andere reinzuversetzen, aber bin selbst sehr stark verwurzelt. Ich habe das Glück, in meiner Familie sehr viel Normalität und Liebe geschenkt bekommen zu haben.
Sind Sie eher ein Kopf- oder ein Bauchmensch?
Früher habe ich die Entscheidungen ausschließlich aus dem Bauch heraus getroffen. Mittlerweile ist es so, dass meine erste Reaktion zwar intuitiv ist, ich in meinem Entscheidungsprozess aber besonnener und auch langsamer geworden bin. Wobei ich auch noch immer in Dinge hineinstolpere, die sich dann zum Glück oft als etwas Tolles herausstellen.
Rückblickend: Was haben Sie über mutige Entscheidungen gelernt?
Dass sich Mut in den allermeisten Fällen total auszahlt. Es bedeutet ja auch, für andere und sich selbst einzustehen. Sich mehr zu trauen und dadurch mehr bei sich selbst zu sein. Wenn ich das schaffe, macht mich das wahnsinnig glücklich.