
Ihr Name ist wie kaum ein anderer mit dem Themen Klimaschutz verbunden: Helga Kromp-Kolb forscht seit über 40 Jahren dazu.
©Susanne EinzenbergerDie Natur gibt uns noch eine Chance, meint Helga Kromp-Kolb, eine der renommiertesten Klimaforscherinnen des Landes, beim WOMAN ELEVATE Circle. Warum unser Einfluss größer ist, als wir denken – und was wir jetzt tun müssen.
Was kann ich allein schon bewirken? – Eine Ausrede, die Meteorologin Helga Kromp-Kolb, 76, oft unterkommt. ”Ich höre das auf allen Ebenen, aber es ist einfach nicht wahr. Wir alle haben einen Wirkungskreis, und es macht einen Unterschied, wie ich mich verhalte“, sagt eine der renommiertesten Klimaforscherinnen Österreichs. ”Letztlich gehen wir alle wählen, und unsere einzelne Stimme ist völlig bedeutungslos, sollte man meinen, aber es gibt keine einzige, die dort mehr Gewicht hat. Das heißt, es sind lauter bedeutungslose Stimmen, die in Summe dann doch ein Ergebnis liefern, mit dem man glücklich sein kann oder nicht, aber wir versuchen, den Ausgang zu beeinflussen.“ Genau so sei das auch bei der Klimakrise. Mit ihrem unermüdlichen Engagement und ihrer Fähigkeit, komplexe Themen verständlich zu übersetzen, motiviert Kromp-Kolb seit über 40 Jahren zum klimafreundlichen Handeln – auch beim WOMAN ELEVATE Circle ...
Frau Kromp-Kolb, wenn Sie ein positives Bild von unserer Zukunft zeichnen: Wie schaut sie in zehn Jahren aus? Und was müssen wir dafür heute ändern?
Ein Wissenschaftler, der sich sehr intensiv damit beschäftigt hat und zum Ergebnis gekommen ist, es ist zu spät, ist Jem Bendell. Er hat ziemlich verzweifelt das Fach verlassen – das ist zwar kein sehr gutes Beispiel, aber seine Überlegungen sind durchaus viel wert. Er sagt, wir sollten uns drei Fragen stellen. Die erste ist: Was ist uns wirklich wichtig, was wollen wir auch in der Katastrophe behalten? Und das ist nicht etwas, was eine Person entscheidet, sondern das sollte von der Gesellschaft ausverhandelt werden. Die zweite Frage ist schwieriger: Was lassen wir los? Und wie machen wir das? Die groben Schätzungen zeigen, dass, wenn wir wirklich Netto-Null-Emissionen erreichen wollen, uns halb so viel Energie zur Verfügung stehen wird. Global betrachtet werden wir zum Beispiel Küstenstädte loslassen müssen, weil der Meeresspiegel steigt. Viel hängt auch vom Individualverkehr ab. Nach Brüssel oder Paris werden wir wahrscheinlich nicht mehr fliegen. Schon gar nicht nach Salzburg. Und die dritte Frage lautet: Was haben wir schon mal gekonnt, was wir wieder lernen sollten? Von anderen Kulturen könnten wir uns zum Beispiel abschauen, dass wir der Natur das Recht eines Subjekts in unserem Rechtssystem geben. Dann würden wir wahrscheinlich vieles retten können, was jetzt nicht möglich ist, weil wir immer begründen müssen, dass irgendwer die Natur braucht. Wir brauchen sie aber alle, weil sie ungefähr die Hälfte unserer Emissionen aufnimmt. Wenn wir die Natur zupflastern, Moore trockenlegen und Wälder roden, dann wird sie diese Hälfte nicht mehr aufnehmen können, und dann stehen wir noch schlechter da.
Vor einem Jahr hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erstmals ein Land wegen mangelndem Klimaschutz verurteilt. Die Schweiz wurde dazu aufgefordert, stärkere Maßnahmen zu setzen. Lässt sich die Klimakrise juristisch lösen oder ist das reine Show-Politik?
Es hängt davon ab, ob wir nach wie vor demokratische Staaten sind, die sich an Vereinbarungen halten oder nicht. Wenn wir die Regeln, die wir uns selbst gegeben haben, zunehmend ignorieren, haben solche Urteile keine besondere Bedeutung. Wir sehen jetzt in den USA Anzeichen, wie sich so etwas abspielen kann. Mein Vater war Diplomat, Soziologe und Psychologe und hat im Jahr 1971 ein Buch geschrieben: ”Amerikas Zukunft, Europas Schicksal“. Darin hat er überlegt, was passieren würde, wenn Amerika zur Diktatur werden würde. Das war jetzt nicht irgendein Fantasiegespinst, sondern eine Analyse über die grundlegenden Probleme der amerikanischen Gesellschaft, die nicht angegangen werden. Weder von den Demokraten noch von den Republikanern. Ich habe ihm damals widersprochen: Nach Hitler – wer sollte so was wollen? Aber er meinte, Hitler ist auch nicht durch eine Volksbewegung an die Macht gekommen, sondern indem er Schuldige gefunden hat, die er für alle unsere Übel verantwortlich gemacht hat, und Finanziers, die ihn aus eigennützigem Interessen unterstützt haben. Wenn man sich jetzt Trump anschaut, gibt es Parallelen.
Mit Trump zeichnet sich auch eine Trendumkehr in der globalen Umweltpolitik ab? Er tut die Klimakrise als Meinung Einzelner ab, ist aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ...
Ich halte es für gefährlich, nur nach Amerika zu schauen und zu sagen, dort wird der Klimawandel von Herrn Trump geleugnet. Da brauchen wir gar nicht aus Österreich hinausgehen. Im Grunde haben wir hier schon dasselbe Problem. Vielleicht in einer milderen Ausformung, aber ein richtiges Bekenntnis – ja, wir haben die Wissenschaft verstanden, und jetzt müssen wir danach handeln – sehe ich hierzulande auch nicht. Wir tun immer nur das Allernotwendigste, und sobald wir einen großen Schritt nach vor gemacht haben, wird er wieder irgendwann zurückgenommen. So werden wir das Problem nicht bewältigen. Und irgendwann wird die Dynamik zu stark, und wir werden die Krise nicht mehr lösen können.
Die Hoffnung lebt noch. Und Hoffnung ist, was dazu motivieren kann, das Richtige zu tun.
Sie haben bereits den persönlichen Einflussbereich betont und wie wichtig es ist, mit positivem Beispiel voranzugehen. Welchen Hebel sehen Sie bei Unternehmen?
Gerade in der Wirtschaft ist es natürlich nicht ganz so leicht, weil man einerseits im eigenen Betrieb so nachhaltig wie möglich agieren sollte, aber andererseits nicht das Geschäft gefährden möchte. Das heißt, man muss den Spagat schaffen und die Rahmenbedingungen so verändern, dass man mehr machen kann. Ich glaube, das ist eine Verantwortung, die noch nicht alle verstanden haben.
Durch die ESG-Verordnung der EU müssen Unternehmen erstmals ihr Verhalten offenlegen. Was bringt das?
Bei diesen Sachen ist immer die Frage, ob man es wirklich ernst nimmt oder nur als To-do versteht, wo man sein Hakerl machen muss, weil es sich gehört oder weil Kund:innen eben darauf schauen. Genauso ist es bei den nachhaltigen Entwicklungszielen. Man kann sagen: ”Ja, jetzt schauen wir halt, damit wir irgendwas Vernünftiges zu berichten haben.“ Oder man sieht es als Chance: ”Das ist jetzt unsere Gelegenheit, zu überprüfen, wo wir unsere Schwächen haben und wo wir uns verbessern können.“ Das ist das Entscheidende. Mache ich das Ganze als Papierübung oder beeinflusst es meine Haltung? Und zwar nicht nur meine, sondern die des gesamten Betriebs.
Was braucht es, damit wir endlich vom Reden ins Tun kommen? Reine Aufklärung und Extremwetterereignisse, wie sie sich auch hierzulande häufen, reichen offensichtlich nicht …
Wir spielen uns sehr viel gegenseitig die Schuld zu: von Land zu Land oder zwischen Wirtschaft, Politik und der Bevölkerung. Dabei müssen wir verstehen, dass es nur gemeinsam geht. Jeder hat seine Aufgaben. Als Individuum ist für mich etwa vollkommen klar: Ich kann nicht in einer Schule über Klimaschutz reden und dort mit dem Auto vorfahren. Ich muss leben, was ich rede. Aber wir müssen auch von der Politik und Wirtschaft fordern, dass das klimafreundliche Leben leichter wird.


Klimaschutz beginnt im Kopf: Helga Kromp-Kolb plädiert mit kluger Vehemenz dafür, eigene Gewohnheiten zu hinterfragen und dann klimafreundlich zu verändern, um einen Beitrag für die Umwelt zu leisten.
© Nicole ViktorikSie beschäftigen sich seit über 40 Jahren mit diesen Themen. Wie schützen Sie sich vor Zukunftspessimismus?
Pessimismus ist keine Option! Abgesehen davon, dass es sich als Pessimistin ganz schlecht lebt – wenn Sie nur das Negative sehen, werden Sie nie glücklich werden –, er lähmt auch. Ich würde mich zwar auch nicht als Optimistin bezeichnen, weil ich kann wirklich niemandem sagen, es wird schon werden, wir sind am richtigen Weg, es geht schon – aber ich glaube, die Hoffnung lebt noch, dass es werden kann. Und ich glaube, Hoffnung ist das, was einen dazu motivieren kann, das Richtige zu tun. Deshalb kann ich mich auch vor einen Hörsaal mit jungen Menschen stellen und sagen: ”Ja, es ist schlimm, aber dieses und jenes könnten wir gewinnen, wenn wir es richtig machen.“
Welche positiven Errungenschaften verstärken Ihre Hoffnung?
Es gibt vieles, das gut läuft, aber wir sprechen zu wenig darüber, weil wir uns, und ich schließe mich durchaus ein, in die Fehler verbeißen, die gemacht werden. Ich schätze zum Beispiel die technologischen Entwicklungen und die erneuerbaren Energien, dieser Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Oder wenn wir an die Pandemie denken – die Geschwindigkeit, mit der die Umwelt sich erholt hat, als sie ein bisschen Atempause von uns allen bekommen hat, war überwältigend. Die Natur ist unheimlich widerstandsfähig, wir müssen ihr nur die Chance geben, sich zu entwickeln. Und es gibt eine Jugend, die politisch interessiert ist, weil sie sieht, dass es ohne dem nicht geht. Das stimmt mich zuversichtlich.
Was ist Ihr dringendster Rat an die Österreichische Bundesregierung?
Mut zu haben, mit der Bevölkerung zu reden. Ich habe vorhin über Amerika gesagt, dass soziale Probleme nicht angegangen werden. Bei uns ist es ähnlich – zwar auf einem anderen Niveau, aber die Wahlergebnisse zeigen, dass es eine ganz große Unzufriedenheit gibt. Und ich halte es für wichtig, dass Politiker:innen wieder mit der Bevölkerung in Kontakt kommen. Sei es über Bürger:innenräte oder wie auch immer – wir brauchen als Gesellschaft eine Vision: Wo wollen wir hin? Das müssen wir gemeinsam erarbeiten. Es bringt nichts, wenn wir von oben herab regiert werden oder es vor allem darum geht, dass Parteien untereinander diskutieren. Eine gemeinsame Lösung wird nur möglich sein, wenn man die Menschen mitnimmt. Wir haben immerhin ein paar Grundwerte, die wir teilen, und wenn wir die herausarbeiten könnten, glaube ich, würden wir auch wieder einen anderen politischen Stil finden, und dann könnten wir wirklich sprunghaft Fortschritte machen. Es würde jeder irgendwo nachlassen müssen, aber es würde auch jeder bei ein paar Sachen, die ihm wirklich wichtig sind, weiterkommen.
Über die Autor:innen

Melanie Zingl
Melanie ist seit 2007 bei der Verlagsgruppe News (VGN) tätig. 2016 wurde sie Leitende Redakteurin und 2018 Stellvertretende Chefredakteurin. Seit 2024 ist Melanie Chefredakteurin bei WOMAN. Ihr erklärtes Ziel: "Make the World more WOMAN. Weil wir davon überzeugt sind, dass eine gleichberechtigte Welt eine bessere ist."