
Julia Nimke wagte sich an das für viele schier Unbezwingbare – den korsischen Fernwanderweg "GR20". Wie die Berliner Fotografin Körper und Geist auf die Probe stellte und am Ende alles ganz anders kam. Ihre Impressionen.
Dass sich im kleinen Dorf Calenzana im Nordwesten Korsikas Menschen aus der ganzen Welt tummeln, ist nicht verwunderlich: In der Nähe befindet sich der Startpunkt des berühmten "GR20". Ein Weitwanderweg mit weit mehr als einfachen Höhen und Tiefen. Schroffen Schluchten folgen steile Bergpässe, felsige Gipfel, kristallklare Wasserläufe und dichte Wälder. Ohne Schwindelfreiheit, Trittsicherheit, Kondition, Erfahrung und Selbstsicherheit keine Chance.
Als die Berliner Fotografin Julia Nimke 2022 mit ihrer Partnerin nach Korsika fliegt, ist es das zweite Mal, dass sie sich auf den Weg nach Calenzana machen – mit einem Ziel: Conca, das Ende des "GR20". Der Versuch ein paar Jahre davor scheiterte schon auf der ersten Etappe. Zu schweres Gepäck. Zu schlecht die Ausstattung. Zu kurz die Vorbereitung. "Ab diesem Zeitpunkt war der Antrieb da, irgendwann wirklich oben sein zu wollen: in den Bergen, in der unglaublich schönen Landschaft. Ich wollte mehr als nur in Küstennähe sein."


Im September 2022 machte sich die heute 34-jährige Berlinerin mit ihrer Partnerin auf den Weg zum korsischen "GR20". Und das zum zweiten Mal.
© Julia NimkeKopfsache
Aber hinter der wilden Kulisse lockte die erfahrene Wanderin noch mehr: "Es ist immer wieder erstaunlich, zu sehen, wozu der Körper fähig ist, was man schafft – auch im Kopf. Und immer wieder seine Grenzen auszutesten", erzählt die 34-Jährige. Nach ihren Wanderungen auf dem schottischen "West Highland Way", dem irischen "Ring of Kerry" und dem schwedischen "Kungsleden" sollte es nun der schwierigste Fernwanderweg Europas sein. "Schon allein die Betitelung war angsteinflößend", gibt sie zu.
Zu Recht: Auf rund 180 Kilometern Länge und 12.000 Meter Höhenunterschied erstreckt sich der "Grande Randonnée", der die Mittelmeerinsel, 80 Kilometer westlich des italienischen Festlandes gelegen, durchquert – von Norden nach Süden, so, wie ihn auch die meisten bezwingen. "Der nördliche Teil ist der schwierigere. Deshalb startet ein Großteil die Route dort, um das Anspruchsvollste am Anfang hinter sich zu bringen." Dass ihre Route im flacheren, leichter begehbaren Süden schließlich doch abrupt zu Ende sein würde, wissen sie und ihre Partnerin nicht, als sie Ende September 2022, kurz vor Saisonende, zum Wandern aufbrechen.
Die Frage war stets: Wohin setze ich meinen Fuß als Nächstes?
Challenge accepted
Die Tour beginnt schwierig: mit einem Anstieg von 275 auf 1.570 Höhenmeter eine Feuertaufe für Beine und Psyche. Freiwillig abzubrechen, war allerdings für sie auf der gesamten Strecke keine Option. Der Weg führt an unberührter Natur vorbei, an uralten Kiefer- und Pinienbäumen. Oben, über der Vegetationsebene, dominieren raues Geröll und felsige, alpine Bergen. Dazwischen bietet sich immer wieder ein Blick aufs Meer.
Den im Hochsommer sonst stark frequentierten Weg teilt sich das Paar mit weniger Abenteuerlustigen als üblich. "Schnell waren wir eine Gruppe von etwa zehn Leuten, die man an den verschiedenen Etappen wieder getroffen hat: an den Bademöglichkeiten, kleinen Refuges (Anm. Berghütten mit Verpflegung und Nächtigungsmöglichkeit), Rastplätzen." Der Austausch mit der "Trail-Family" ist etwas, an das sie sich noch heute, zwei Jahre später, gerne zurückerinnert: "Abends saßen wir gemeinsam am Tisch, tauschten uns über Schönes, aber auch Heftiges aus. Es fühlte sich so gut und natürlich an." Nur: "Unsere Beine sahen übel aus. Alle hatten überall blaue Flecken. Jede:r, den wir getroffen haben, ist irgendwann an irgendeiner Stelle gestürzt."


Das "Refuge Petra Piana" auf 1.843 Höhenmetern – eine der unzähligen bewirtschafteten Berghütten auf der Route: Sie dienen als Treffpunkt, Schlafstelle und zur Verpflegung.
© Julia NimkeUps & Downs
An manchen Tagen ging es bis zu 1.630 Meter bergauf, dann 990 Meter karges, steiles Terrain bergab. Stets mit der Frage im Kopf: Wohin setze ich meinen Fuß als Nächstes? "Es war ermüdend." Aber "eigentlich hatte ich mehr Respekt vor den Abstiegen und davor, in die Tiefe zu schauen", erzählt die Kreative, die sich auf Reise-, Porträt-und Lifestylefotografie spezialisiert hat, rückblickend.
Jeden Morgen allerdings, wenn die Dämmerung der Nacht in den Tag überging, die Berge angeleuchtet wurden und sie aus dem Zelt blickte, schien jede Strapaze des Vortages fast vergessen. "Da wurde mir wieder bewusst, wofür sich die ganze Anstrengung lohnt."


Zwischen dem rauen Gebirgsmassiv eingebettet: Melo- und Capitellosee. Sie zählen zu den schönsten Bergseen der Insel.
© Julia NimkeNach neun Tagen ...
... und insgesamt 101 zurückgelegten Kilometern (zehn Etappen, fünf vor Ende) war jedoch Schluss: Ein gewaltiges Sturmtief zog über die gebirgige Mittelmeerinsel. Zu lebensgefährlich, um weiterzumachen. "Es wurde auf einmal unfassbar kalt, die Zelte wurden weggefegt. Später erfuhren wir von anderen Wanderern, die weitergegangen sind, dass teils so hohe Windgeschwindigkeiten herrschten, dass sie beinahe umgestoßen wurden." Auch ein Todesopfer forderte der Sturm am Berg.
"Es war die richtige Entscheidung, abzubrechen", ist sich die 34-Jährige heute sicher. Und noch etwas steht für die Berlinerin außer Zweifel: Es ist ein Ort, der nicht nur aufgrund seiner Naturgewalten, sondern auch wegen seiner unglaublichen Landschaften demütig macht und an den sie eines Tages zum dritten Mal zurückkehren will: für die letzten Etappen ihrer großen Wanderung.


Rund 15.000 Leute gehen jährlich den "Grande Randonnée". Während er in den Sommermonaten besonders gut besucht wird, ist es im September und Oktober, kurz vor Saisonende, ruhiger.
© Julia MinkeZu Fuß auf heimischem Terrain
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