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Die Biologie der Untreue

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Paar im Bett
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Phänomen Seitensprung: Wer geht fremd und warum? Liegt uns Untreue im Blut oder sogar in den Genen? Ist gegen Eifersucht ein Kraut gewachsen oder ist romantische Liebe ein Auslaufmodell? Wie die Fremdgeh-Forschung immer mehr süße Geheimnisse lüftet ...

Das ist wie Weihnachten im September, freut sich der Anwalt aus Los Angeles. Und der amerikanische Jurist erklärt im Gespräch mit der Nachrichtenagentur auch gleich, warum er und seinesgleichen im goldenen Herbst eine rosa Brille tragen: „Als direkte Folge dieser Sache werden viele Scheidungen eingereicht werden.“ Diese „Sache“ ist eine Affäre, die im August weltweit und auch in Österreich für Schlagzeilen gesorgt hat: Hacker hatten die intimen Daten von über 30 Millionen Nutzern des Seitensprung-Portals Ashley Madison erbeutet und dessen Kunden mir nichts, dir nichts im Internet an den Pranger gestellt. Neben den direkten Folgen – von den erwähnten Scheidungen über einige dokumentierte Selbstmorde bis hin zu Online-Häme an allen Ecken – hat diese Affäre aber auch noch einen anderen Effekt: Seitensprung und Untreue sind wieder in aller Munde. Kaum ein Treffen unter Freunden, bei dem nicht ein entsprechendes „G’schichtl“ zum Besten gegeben wird. Vor allem zwei Fragen sorgen nun für wilde Diskussionen: Wie viele machen „es“ wirklich? Und vor allem: Warum?

Blowjobs & Babysitterinnen

Je nach Umfrage, genauer Fragestellung und Land, schwanken die im wahrsten Sinn des Wortes nackten Zahlen dazu sehr stark. Vor allem gibt es bei entsprechenden Studien wohl ein Problem mit der Ehrlichkeit: Wer gibt einen Seitensprung tatsächlich zu? Wer schmückt sich mit angeblichen Bettgeschichten, selbst wenn in diesen Betten in Wahrheit nur tote Hose herrscht? Bei einer Österreich-Umfrage eines Kondomherstellers aus dem Jahr 2012 gaben beispielsweise 15 Prozent der Männer und vier Prozent der Frauen an, ihren Partner derzeit zu betrügen.
Schon der legendäre Kinsey-Report aus den 50er-Jahren war zu ersten – damals für die US-Amerikaner schockierenden – Zahlen gekommen. Demnach hatte jeder zweite verheiratete Mann und jede vierte verheiratete Frau entsprechende Seitensprung-Erfahrungen vorzuweisen. Seither dürften die Ladys weiter aufgeholt haben.
Apropos USA: Einer der berühmtesten Seitensprünge der letzten Jahrzehnte ist wohl die Affäre Bill Clintons mit seiner Praktikantin Monica Lewinsky. Zur Erinnerung: Der damalige Präsident der Weltmacht hatte lange Zeit und letztlich erfolglos versucht, sein Gspusi samt Blowjob im Weißen Haus zu leugnen. Oder: Arnold Schwarzenegger und seine Haushälterin, Ben Affleck und die Babysitterin, Kristen Stewart und der Regisseur – die Liste prominenter Seitensprünge ließe sich schier endlos fortsetzen.

Begehrt, bestätigt, befriedigt

Ob Promi oder Normalbürger – nahezu alle verfügbaren Untersuchungen bestätigen, was ohnehin alle Welt zu wissen glaubt: Männer stellen die Mehrheit der Seitenspringer. Auch wenn heute immer mehr gebundene Frauen zu ihren „Geschichten“ stehen. Frauen wie die Fotografin Doris*, die sehr offen über ihre jahrelange Affäre spricht. „Begehrt zu werden war sicher das Hauptmotiv“, ist sich die attraktive Enddreißigerin und Mutter sicher. Gleichzeitig wäre es aber auch darum gegangen, eine gewisse emotionale Distanz zu ihrem Mann zu schaffen und „aus dem Moment“ zu leben. Bemerkenswert: „Während meiner Affäre war auch das Sexleben mit meinem Mann spannender als jetzt.“ Heute – die Affäre ist Vergangenheit – blickt Doris ohne Reue zurück: „Ich bereue nichts, es war schön.“
Auch Akademikerin Alexandra* sieht das ähnlich. Befragt nach dem gemeinsamen Nenner für die Handvoll Affären, die sie in 15 Ehejahren mittlerweile angesammelt hat, überlegt sie kurz: „Wahrscheinlich ist es mir hauptsächlich um Bestätigung gegangen.“ Dass sie mit einer der Affären „den besten Sex ihres Lebens“ gehabt haben will, macht trotzdem nachdenklich. Aber ist Sex tatsächlich immer das Hauptmotiv für einen Seitensprung?

Testosteron-Test

Psychologen der Universität Göttingen in Deutschland unterstützen diese Vermutung. Sie kamen zu dem Schluss, dass sexuelle Unzufriedenheit in der bestehenden Partnerschaft bei drei von vier Männern ausschlaggebend für einen Seitensprung ist. Doch was ist Ursache, was eine Folgewirkung? Eine Umfrage einer großen Online-Partneragentur wiederum zeigt, dass Frauen oft andere Beweggründe haben: Hier nannte jede Zweite mangelnde Aufmerksamkeit durch den Mann an ihrer Seite als Hauptmotiv für ihren Seitensprung, während es bei den Männern tatsächlich mehrheitlich um das „eine“ ging.
Und da ist noch ein Unterschied: Fotografin Doris, die viel mit Freunden beiderlei Geschlechts über das Thema spricht, beschreibt ihn so: „Bei Frauen merkt man, dass sie auf diesen speziellen Mann und seinen Charakter stehen. Meine männlichen Freunde mit Affären hingegen sprechen nur vom Sex und den körperlichen Vorzügen ihrer Liebhaberinnen.“ Tatsache ist: Nicht alles, was nach Klischee klingt, muss auch eines sein. Forscher wie der britische Psychologe David Perrett glauben, dass Frauen im Gesicht eines Mannes lesen und so eine Auswahl treffen können. Die gängige Theorie: Prinzipiell bevorzugen Frauen fürsorgliche, eher feminine – und letztlich treuere – Partner. Die große Ausnahme: In der fruchtbaren Zeit um den Eisprung haben maskuline Männer, deren Immunsystem gesündere Kinder verspricht, die besseren Karten. Und mit solchen Männern gehen die Ladys dann auch eher fremd. Wie aber erkennt umgekehrt eine Frau, ob der Mann an ihrer Seite zu den gefährdeten Testosteron-Boys gehört? Ganz einfach: zum Beispiel an kantigen, breiten Kieferknochen. Und dann gibt es auch noch einen verblüffend simplen Finger-Test.

Immer der Nase nach

Aber auch eine ganz bestimmte Gruppe von Genen (der sogenannte Haupthistokompatibilitätskomplex, kurz: MHC), die entscheidend für die individuelle Ausprägung unseres Immunsystems ist, verdient unsere Aufmerksamkeit. Die Theorie: Je unterschiedlicher der MHC eines Mannes und einer Frau ist, desto besser ist das für das Immunsystem und somit für die Gesundheit eines gemeinsamen Kindes. Das „Sich-Riechen-Können“ und der Kuss-Check vor dem Sex (nach dem das weibliche Interesse oft schlagartig erlahmt) könnten darauf hindeuten, dass Frauen einen Mann mit entsprechenden Genen irgendwie erkennen können. Mehr noch: Männer mit unterschiedlichem MHC sind bei Seitenspringerinnen besonders beliebt, wie unter anderem US-Forscherin Christine Garver-Apgar nachweisen konnte. Doch die Suche nach den besten Genen für den eigenen Nachwuchs, die im Kleid sexueller Anziehung daherkommt und notfalls auch außerhalb einer Partnerschaft stattfindet, ist in den letzten Jahrzehnten schwieriger geworden. Offenbar nicht zuletzt deshalb, weil mittels (Hormon-)Pille verhütende Frauen ihren Sinnen und vor allem ihrer Nase nicht mehr trauen können.

Das „Treue-Hormon“

Und wo wir schon bei den Hormonen sind: Auch diese biochemischen Botenstoffe haben in puncto (Un-)Treue ein wichtiges Wort mitzureden. Das gilt nicht zuletzt für die „Treue-Hormone“ Oxytocin und Vasopressin. Ein verblüffendes Experiment mit zwei eng verwandten Mäuse-Arten zeigt, was Sache ist: Während Bergwühlmäuse nach dem Sex in der Regel wieder getrennte Wege gehen, bleiben Präriewühlmäuse einander auch danach treu. Jetzt kommt’s: Verpasst man den treuen Präriemäusen allerdings eine chemische Blockade für das Oxytocin, so lassen auch sie ihren Partner nach dem Sex sitzen. Sprich: Es ist wohl genau dieses Hormon, das „Mausi“ treu macht. Könnte aber ein ähnlicher Effekt auch in menschlichen Bindungen eine Rolle spielen? Eine australisch-skandinavische Forschergruppe glaubt, in den Daten von mehr als 7.000 Zwillingspaaren tatsächlich die Saat für Seitensprünge gefunden zu haben. Genauer gesagt in einem Gen namens „AVPR1A“, das für die Wirksamkeit von Vasopressin verantwortlich ist. Sind die Wissenschaftler auf der richtigen Spur, so wäre eine der Quellen für Untreue gefunden. Vereinfacht gesagt: Wer die entsprechende Genvariante hat, ist scheinbar deutlich öfter in fremden Betten unterwegs. Und das gilt in diesem speziellen Fall besonders für Frauen. Kleiner Trost: Wie andere genetische Veranlagungen muss auch das „Untreue-Gen“ keineswegs aktiv sein. Und ja: So etwas wie Charakter und einen freien Willen gibt es ja auch noch.

Wunderbare Sperma-Vermehrung

Dennoch: Über die männliche Versuchung zur Abwechslung, vor der auch toller Sex im Ehebett oder noch so perfektes Aussehen kein zuverlässiger Schutz sind, sollte sich frau wohl trotzdem keinen Illusionen hingeben. Domenica Niehoff, Deutschlands wohl berühmteste und mittlerweile verstorbene Prostituierte, brachte das Phänomen sinngemäß einmal so auf den Punkt: „Er ist mit einer wunderschönen, schlanken Blondine verheiratet. Und dann kommt er zu mir und vögelt eine mollige Schwarzhaarige.“ Die gängige Erklärung: Männer wollen ihr Erbgut möglichst breit streuen. Was im Alltag nach einer ziemlich plumpen Ausrede klingt, könnte allerdings einen wahren Hintergrund haben, wie amerikanische Forscher jetzt in Experimenten zeigen konnten. Und das klingt dann so: Wenn ein Mann eine neue, unbekannte Frau ins erotische Visier genommen hat, reagiert sein Körper eindeutig auf die neue Chance. Und produziert schlagartig mehr und besseres Sperma als innerhalb der Beziehung. Diese unmissverständliche Reaktion auf mangelnde erotische Abwechslung (der sogenannte „Coolidge-Effekt“) legt nahe, dass Mutter Natur ihre Söhne vielleicht doch irgendwie auch mit neuen Sexpartnerinnen zusammenbringen will. Im Tierreich ist der kürzlich in den USA auch bei Menschen nachgewiesene Effekt schon länger bekannt. Doch Menschen sind natürlich keine Tiere und sehr wohl imstande, sich auch gegen Triebe und Instinkte zu entscheiden.

Untreue als Chance

Rein biologisch gesehen mehren sich aber die Hinweise darauf, dass Treue letztlich doch etwas anderes ist als sexuelle Exklusivität auf Lebenszeit. Klingt unromantisch? Nicht unbedingt. Vor allem dann nicht, wenn die Liebe auf einem festeren Fundament steht und nicht so leicht im Treibsand der Triebe versinken kann. Oft sind aufgedeckte Affären die Chance für einen Neubeginn. Dass selbst Seitensprünge eine große Liebe nicht zerstören können, passt auch perfekt zu einem Gedanken, den der französische Philosoph Albert Camus einmal so formuliert hat: „Einen Menschen zu lieben, heißt einzuwilligen, mit ihm alt zu werden.“

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