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Wie Gendern mit der Sichtbarkeit von Frauen zusammenhängt

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11 min
Frau, die nach oben blickt

©iStock/yanguolin
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Sternchen können die Wahrnehmung verändern: Eine Expertin erklärt, warum Gendern für die Sichtbarkeit von Frauen unerlässlich ist.

"Die Chancen sind für mich ganz klar: mehr Anerkennung und Wertschätzung, weniger Diskriminierung sowie ein Mehr an Möglichkeiten, wer wir sein dürfen, wie wir uns identifizieren, aber auch, was wir (beruflich) erreichen können." – Susanne Hochreiter ist überzeugt, dass geschlechtergerechte Sprache eine positive Wirkung auf unsere Gesellschaft hätte. Nur wie kommen wir da hin – und endlich raus aus den ewigen Diskussionen? Die Gleichbehandlungsbeauftragte der Universität Wien im WOMAN Elevate-Gespräch ...

Wir denken und arbeiten besser, wenn wir uns gesehen und wertgeschätzt fühlen.

Susanne HochreiterGleichstellungsbeauftragte an der Universität Wien
WOMAN

Ganz ehrlich: Was können Sie in der Genderdebatte nicht mehr hören?

Susanne Hochreiter

Nicht mehr hören würde ich gern falsche Behauptungen wie jene vom "Gender-Zwang" oder dass unsere Sprache gewissermaßen unverändert seit Jahrhunderten bestehe. Mich irritiert auch, dass Fachexpertise in Bezug auf Gendern oft nicht ernst genommen wird. Arzt, Bundespräsident, Politiker, Lehrer Umfragen zeigen, dass wir bei maskulinen Ausdrücken zuerst an männliche Personen denken.

WOMAN

Inwiefern hängt Gendern mit der Sichtbarkeit von Frauen zusammen?

Susanne Hochreiter

Als Menschen sind wir Teil einer Gemeinschaft – auch sprachlich. Etwa durch unseren Namen und dadurch, wie wir angesprochen werden. Wenn wir keinen Ort erhalten, von dem aus wir sprechen und sein können, sind wir "unsichtbar". Nicht erwähnt zu werden, bedeutet also sprachlich nicht vorzukommen.

WOMAN

Welche nennenswerten Studien kennen Sie dazu?

Susanne Hochreiter

Aktuelle Forschungen widmen sich unter anderem dem Zusammenhang von Sprache und Wahrnehmung. Das Duden-Handbuch zu geschlechtergerechter Sprache bietet darüber hinaus einen guten und systematischen Überblick über die Forschung. Ein wichtiges Ergebnis ist etwa, dass Lesefreundlichkeit und Textverständlichkeit durch geschlechtergerechte Formulierungen nicht erschwert werden.

WOMAN

Inwiefern könnte Gendern auch zu mehr Chancengleichheit in Unternehmen führen?

Susanne Hochreiter

Geschlechtergerechte Sprache trägt zu einem wertschätzenden und diskriminierungsfreien Umgang miteinander bei. Es gibt viele Unternehmen, die das wissen und großen Wert auf Diversität legen. Aus gutem Grund: Menschen, die sich gesehen fühlen, sind wahrscheinlich motivierter und können ihre Potenziale besser entfalten.

WOMAN

Bedeutet das, dass es auch für den unternehmerischen Erfolg langfristig wichtig wäre, geschlechtergerechte Sprache anzuwenden?

Susanne Hochreiter

Je diverser, desto erfolgreicher. Meines Wissens zeigt sich in etlichen Analysen ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem geschäftlichen Erfolg eines Unternehmens und wie sehr dort Diversität und Inklusion gepflegt werden. Wenn wir davon ausgehen, dass wir als Menschen Anerkennung brauchen, dass wir gesehen und gehört werden möchten, dann ist eine adäquate sprachliche Praxis nicht nur ethisch geboten, sondern auch ein Erfolgsfaktor: Wir denken und arbeiten besser, wenn wir uns gesehen und wertgeschätzt fühlen.

Wir arbeiten besser, wenn wir uns gesehen und geschätzt fühlen.

Susanne HochreiterGleichstellungsbeauftragte an der Universität Wien
WOMAN

Welche Argumente sprechen aus wissenschaftlicher Sicht noch dafür?

Susanne Hochreiter

Allen voran jene Untersuchungen, die zeigen, dass es einen Unterschied macht, ob Personen, die gemeint sind, auch benannt werden. Dadurch verändert sich unsere Perspektive, was in der Realität neue Möglichkeiten schaffen kann. Denn wenn wir zum Beispiel nur von Politikern reden, ist die Vorstellung davon, dass Frauen mindestens ebenso kompetente und erfolgreiche Politikerinnen sein können, schwieriger.

WOMAN

Wenn die Auswirkungen so positiv sind: Warum haben wir so lange darauf verzichtet?

Susanne Hochreiter

"Wir" haben darauf verzichtet, weil es in dieser Debatte wesentlich um gleiche Rechte geht, um Teilhabe, Ressourcen und Macht. Feministische Forderungen nach sprachlicher Sichtbarkeit sind verbunden mit Forderungen nach Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen. Da gibt es einfach auch Widerstand von jenen, die meinen, Frauen sollen sich darauf beschränken, traditionelle Rollen zu erfüllen. Dabei wird auch die Lebensrealität von intergeschlechtlichen und Transgender-Personen negiert. Natürlich muss man anmerken: Sprachliche Praxis allein wird diese Asymmetrien und Diskriminierungen nicht beseitigen, aber sie kann einen wichtigen Beitrag leisten.

WOMAN

Woran liegt es, dass die Diskussion darüber gerade jetzt immer lauter wird?

Susanne Hochreiter

Die Gesellschaft wird auf verschiedenen Ebenen diverser. Wissenschaftlich ist klar, dass wir es nicht nur mit zwei Geschlechtern zu tun haben. Es gibt intergeschlechtliche und transgeschlechtliche Menschen sowie zunehmend mehr Personen, die mit der strikten Zweigeschlechtlichkeit nichts mehr anfangen können. Sie verstehen sich als nicht-binär. Darüber hinaus hat der Verfassungsgerichtshof mit seiner Erkenntnis klargemacht, dass es ein Menschenrecht ist, sich geschlechtlich individuell und frei auszudrücken. Das anzuerkennen, ist ein politischer Auftrag.

WOMAN

Welche Länder oder auch Institutionen würden Sie als Vorreiter in Sachen Gendern benennen?

Susanne Hochreiter

Sprachliche Strukturen sind sehr verschieden, daher muss man sich für jede Sprache und Gesellschaft genau anschauen, wie sich diese verändern können. Das Englische orientiert sich beispielsweise weniger stark am Geschlecht. Hier hat sich relativ schnell "they" durchgesetzt und wird auch verwendet, wenn man "he" und "she" vermeiden möchte. Wir haben aber – etwa in internationalen Meetings – rasch gelernt, zum Beispiel "chairperson" statt "chairman" zu sagen. Genderneutrale Pronomen gibt es inzwischen im Schwedischen, und sogar im Französischen wird damit experimentiert. Hierzulande wird gerne mit Binnen-I, Gender-Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich experimentiert.

WOMAN

Welche Maßnahmen würden Sie vorschlagen?

Susanne Hochreiter

Dass wir verschiedene Möglichkeiten geschlechterinklusiven Schreibens und Sprechens ausprobieren und prüfen: Was funktioniert gut, was weniger? Was lässt sich in welcher Situation sinnvoll anwenden? Wichtig ist mir, dass wir im Blick behalten, worum es geht: um die Anerkennung von Menschen und um gleichberechtigte Teilhabe an einer Gemeinschaft.

WOMAN

Würde uns ein generisches Femininum in Sachen Gleichstellung weiterbringen?

Susanne Hochreiter

Die Überlegung ist verführerisch, und gewiss würde eine solche Intervention in unserem Denken etwas verändern. Wenn wir aber für eine geschlechterinklusive Sprache werben, dann ist ein generisches Femininum für mich nicht der richtige Weg, weil sich wieder viele davon ausgeschlossen und nicht angesprochen fühlen würden. Der österreichische Bundeskanzler kündigte Ende Jänner an, bis 2030 ein Genderverbot in der Verwaltung durchsetzen zu wollen. (Print-Artikel erschien am 28.03.2024)

WOMAN

Warum ist der Widerstand gegen geschlechtergerechte Sprache in Österreich so groß?

Susanne Hochreiter

Das hat mehrere Gründe. Die sich seit vielen Jahren wiederholenden falschen Behauptungen, was das Gendern alles Schlimmes anstelle, sind meiner Ansicht nach einer davon. Gegner:innen behaupten zum Beispiel, es sei unästhetisch oder nicht lesbar, Gendern überbetone Geschlecht und helfe in der Realität keiner einzigen Frau – obwohl das zahlreiche Studien widerlegen. Eine andere Ursache ist ein Vorbehalt von Menschen gegenüber allem, was eine scheinbar natürliche Geschlechterordnung infrage stellt.

WOMAN

Wovor fürchten sich Personen, die sich gegen das Gendern aussprechen, Ihrer Meinung nach?

Susanne Hochreiter

Dass ihnen Freiheit im sprachlichen Ausdruck genommen wird, sie zu etwas genötigt werden, von dem sie gar nicht wissen, wozu es gut sein soll. Außerdem gibt es einfach unterschiedliche Wahrnehmungen. Manche Frauen finden, dass weibliche Formen wie Ärztin, Tischlerin eher abwertend wirken. Sie lehnen das Femininum ab, weil sie dadurch ihre Kompetenz infrage gestellt sehen.

WOMAN

Damit erkennen sie ja indirekt schon die Ungleichbehandlung durch das generische Maskulinum an.

Susanne Hochreiter

Ja, sie nehmen jedenfalls die Abwertung der weiblichen Form wahr. Das hängt auch damit zusammen, dass diese durch das "-in" sozusagen als Ableitung von männlichen Begriffen hergestellt wird, zum Beispiel bei Bäcker/-in oder Direktor/-in.

WOMAN

Wie würde unsere Zukunft denn aussehen, wenn ein Genderverbot durchgesetzt werden würde?

Susanne Hochreiter

Solche Verbote sind unmittelbar, aber auch symbolisch wirksam. Ein Genderverbot würde Menschen tatsächlich etwas vorschreiben beziehungsweise verbieten, was ja kein einziger Gender-Leitfaden in diesem Land tut. Und es ist eine klare Ansage gegen Geschlechtergerechtigkeit.

WOMAN

Mit welchem Trugschluss möchten Sie bei Gendergegner: innen gerne aufräumen?

Susanne Hochreiter

Es wäre sehr hilfreich, wenn wir uns darauf einigen könnten, die reale Geschlechtervielfalt anzuerkennen. Von dort aus können wir gemeinsam ausdiskutieren, wie wir einer angemessenen sprachlichen Repräsentation als demokratische Gesellschaft entsprechen können.

WOMAN

Und wie kommen wir da hin?

Susanne Hochreiter

Wir sind in einem Prozess des Wandels, und es ist wichtig, die Diskussion fair zu führen und die verschiedenen Argumente ernst zu nehmen.

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