Leiden hauptsächlich Frauen an Magersucht?
©Elke MayrEine Magersucht - in der Fachsprache als "Anorexie" bekannt - liegt dann vor, wenn mit Absicht ein Gewichtsverlust gewünscht und aufgrund dessen die Essensaufnahme verweigert wird. Allein in Österreich leiden circa 7500 Jugendliche an der gefährlichen Essstörung. Hier erfährst du mehr über die Symptome, Folgen und Therapiemöglichkeiten.
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- Worum handelt es sich bei einer Magersucht?
- Die häufigsten Ursachen und Auslöser einer Magersucht
- Was sind Symptome der Essstörung?
- Welche psychischen und physischen Folgen gibt es?
- Wie kann man Betroffene einer Magersucht unterstützen?
- Was für Therapiemöglichkeiten kann man bei Anorexie in Erwägung ziehen?
"Ich war mit 14 Jahren so stolz darauf, Kleidung aus der Kinderabteilung kaufen zu müssen, weil mir XS zu groß war" - Selina wies bereits im Alter von 12 Jahren ein gestörtes Essverhalten auf, konnte die Magersucht jedoch überwinden. Heute hat sie sich mit Anfang 20 dazu bereit erklärt, mit mir über ihre damalige Magersucht zu sprechen.
Vor allem in der Pubertät, während der es nicht ganz leicht ist, den eigenen Körper zu akzeptieren und zu lieben, kann sich eine simple Diät schnell zu einer ernsthaften Essstörung entwickeln. Dies trifft auch auf die Magersucht zu, bei der Betroffene bewusst mit dem Essen stoppen.
Worum handelt es sich bei einer Magersucht?
Bei der Magersucht - die auch als "Anorexie" bekannt ist - dreht sich alles um den starken Gewichtsverlust. Betroffene dieser Essstörung haben regelrecht Panik davor, durch Mahlzeiten zuzunehmen und dick zu sein - und das, obwohl bereits ein Untergewicht vorliegt. Um ihrer Angst entgegenzuwirken, verweigern die Erkrankten jegliche Nahrungsaufnahme und nehmen weiterhin ab. Dies löst zu Beginn positive Gefühle wie Euphorie aus, welche sich schnell in hohe Reizbarkeit oder depressive Stimmungen umwandeln können.
Wenn das Hungern nicht ausreicht, wird zusätzlich zu anderen Mitteln gegriffen: Abführ- und Entwässerungsmittel, Sport, Diäten oder Erbrechen - letzteres würde Bulimie beschreiben. Eine Magersucht liegt dann vor, wenn man mindestens 15% unter dem für die Größe und des Alters gesunden Gewichts liegt. Wer sich behandeln lassen möchte und auf Unterstützung der Krankenkasse hofft, braucht in Österreich die e-card. Alle notwendigen und zweckmäßigen Diagnose- und Therapiemaßnahmen werden hierbei zum Großteil von der zuständigen Sozialversicherung übernommen.
Magersucht kann rein theoretisch jede:n treffen. Dennoch erkranken laut dem Robert Koch-Institut vermehrt Frauen und Mädchen an der Essstörung - meist, wenn sie sich in der Pubertät befinden. Auch Leistungssportler:innen weisen ein erhöhtes Risiko auf. Eine Heilung braucht im Durchschnitt circa sechs Jahre. Da Anorexie die psychische Krankheit mit der höchsten Mortalität ist, muss sich Hilfe gesucht werden. Ebenso weisen Betroffene oft Suizidgedanken auf.
Wo liegt der Unterschied zur Bulimie?
Die Bulimie ist wie auch die Magersucht eine Essstörung, bei der ein Gewichtsverlust im Vordergrund steht. Übersetzt bedeutet Bulimie so viel wie "Ochsenhunger" - was auch schon den kleinen, aber feinen Unterschied hervorhebt: Im Gegensatz zur Magersucht treten bei der Ess-Brech-Sucht unkontrollierte Heißhungerattacken auf, wobei die Mahlzeiten im Nachhinein wieder erbrochen werden. Dies lässt sich als "Purging-Typ" einer Essstörung bezeichnen.
Die häufigsten Ursachen und Auslöser einer Magersucht
Obwohl wir in einem doch sehr fortgeschrittenen Zeitalter leben, kann noch immer keine genaue Ursache von Magersucht definiert werden - dafür spielen einfach zu viele verschiedene und individuelle Faktoren eine Rolle. Umweltfaktoren und Genetik bilden hier eine Wechselwirkung - Magersucht kann nämlich vererbt werden. Gesellschaftliche Einflüsse sind ebenfalls relevant: Vor allem in der westlichen Welt herrscht das Schönheitsideal eines schlanken Körpers, auch wenn sich dieses dank der Body-Positivity-Movements langsam legt.
Lässt sich die Magersucht auf biologische und körperliche Faktoren zurückführen, bedeutet dies, dass bereits in der Kindheit ein gestörtes Essverhalten oder strenge Diäten vorlagen. Sollte Verlustangst, eine Trennung - sei es die eigene oder die der Eltern - oder Mobbing bestehen, kann das die Anorexie ebenso begünstigen.
"Mein Hauptgrund war schlimmes Mobbing. Ich hatte während der Schulzeit eine Phase, in der ich viel gegessen habe - übergewichtig war ich aber nie. Nachdem meine Schulkamerad:innen mich damit aufzogen, habe ich aus Frust noch mehr gegessen. Irgendwann hat sich in meinem Kopf ein Schalter umgelegt. Nach dem Motto: Jetzt zeige ich es denen und nehme ab", erzählt Selina über den Beginn ihrer Magersucht, " ... meine späteren Psycholog:innen haben mir außerdem gesagt, dass die Essstörung ein Ausdruck meines verdrängten Traumas war."
Was sind Symptome der Essstörung?
Vorab: Nur weil jemand den Nachtisch weglässt, sehr gesund isst oder sich öfter übergeben muss, besteht noch lange keine Magersucht. Bitte beobachtet daher genau euer Umfeld und stellt keine eigene Diagnose. Symptome, die vorkommen können, sind folgende:
Versagensangst
Extremes Kalorienzählen
Angst, übergewichtig zu sein
Heißhungerattacken, die auf das niedrige Gewicht zurückzuführen sind
Missbrauch von Abführmitteln
Auffällig hohe sportliche Aktivität
Gebrauch von Appetitzüglern
Weigerung an der Teilnahme von gemeinsamen Mahlzeiten
Kleinschneiden der Nahrung
Häufiges Frieren
Essen nach bestimmten Zeitplänen
Selina fügt hinzu: "Ich hab mich permanent gewogen. Mir hat kein Ziel gereicht, so dass ich mir einfach stets neue ausgedacht habe. Erst 60, dann 55, dann 45 Kilogramm. Sogar Tomaten mussten abgewogen und die wenigen Kalorien eingetragen werden. Für ein Brötchen habe ich teilweise vier Stunden gebraucht und dabei Panikattacken bekommen. Auch der Hund hat oft meine Mahlzeiten bekommen."
Kann offiziell eine Diagnose festgestellt werden?
Ja, das ist definitiv möglich. Um Magersucht final feststellen zu können, wird von den zuständigen Ärzt:innen eine ausführliche Anamnese erhoben. Hinzukommt eine neurologische sowie körperliche Untersuchung. Bei Kindern und Jugendlichen wird außerdem darauf geachtet, ob bisher eine altersgemäße Entwicklung stattfand.
Untersuchungen, die für die Diagnose herangezogen werden, sind beispielsweise ein Ultraschall des Bauches, eine Überprüfung der Nieren- und Leberwerte, eine Urinprobe sowie die Kontrolle eines Osteoporose-Risikos. Außerdem müssen andere Krankheiten ausgeschlossen werden. Bulimie, Depressionen und Magersucht können hingegen auch oft gemeinsam auftreten.
Welche psychischen und physischen Folgen gibt es?
Leider bringt eine Magersucht viele (Spät-)Folgen mit sich, die teilweise - je nach Krankheitsgrad - für immer bestehen bleiben. Ein Rückfall ist jederzeit möglich. Um euch einen groben Überblick zu verschaffen, haben wir die gängigsten Folgen zusammengefasst:
Depressionen, Zwangsstörungen, Angststörungen
Juckende, trockene Haut
Störungen im weiblichen oder männlichen Hormonstoffwechsel wie Verlust der Libido und Potenz sowie Ausbleiben der Menstruation
Störungen im Magen-Darm-Bereich
Osteoporose
Verzögerung der Pubertät und der körperlichen Entwicklung
Haarausfall
Herz-Kreislauf-Störungen
Zahn- und Nierenschäden
"Im Jahr 2015 bin ich fast daran gestorben. Mein Tiefgewicht lag bei 32 Kilogramm. Ich hatte Herzprobleme und mir sind Haare gewachsen, damit sich mein Körper anderweitig wärmen kann", fügt Selina hinzu. Eine solche feine, flaumartige Behaarung nennt sich "Lanugohaar".
Wie kann man Betroffene einer Magersucht unterstützen?
Familienmitglieder und Freund:innen können zwar keine Heilung ermöglichen, dürfen dennoch anderweitig Unterstützung leisten. Hierbei ist die richtige Kommunikation das Wichtigste: "Meine Mutter hatte vorher nie Kontakt zu Essstörungen. Da ist auch mal die Waage geflogen, weil sie es nicht verstehen konnte. Man sollte keine Vorwürfe machen. Ich habe oft gehört, dass ich mir einfach aussuchen könnte, wieder zu essen. Wenn es so einfach wäre, wäre wohl keine:r krank", so Selina über die Reaktion ihrer Familie.
Selina geht außerdem darauf ein, dass man vorsichtig mit den eigenen Worten umgehen sollte. Sätze wie "Oh, du hast heute gut gegessen" erzielen nämlich genau das Gegenteil eines guten Gefühls, weil Erkrankte einer Magersucht - auch, wenn sie in Behandlung sind - eben noch immer ein niedriges Gewicht halten wollen. "Mir wurde von vielen alten Freund:innen, mit denen ich eigentlich nicht mehr viel zu tun hatte, Glücksbringer mitgebracht. Ich habe während meiner Therapie auch viele Briefe von Mitschüler:innen bekommen."
Um Betroffene anderweitig zu supporten, kann neben lieben Worten auch die Begleitung zu Selbsthilfegruppen erfolgen. Diese bieten die Möglichkeit eines gegenseitigen Austausches, bei der eine starke Schulter sicherlich von Vorteil ist.
Was für Therapiemöglichkeiten kann man bei Anorexie in Erwägung ziehen?
Betroffene einer Magersucht können ohne externe Hilfe nur schwer einen Ausweg finden und benötigen eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Behandlung. Diese umfasst drei Säulen: Innerhalb der ersten Säule geht es um das Essverhalten der Erkrankten - es sollen akute Symptome gelindert, ein Normalgewicht und gesundes Essverhalten erreicht werden. Die zweite Säule beschäftigt sich mit der psychotherapeutischen Aufarbeitung der Magersucht. Um Rückfällen vorzubeugen, wird die dritte Säule herangezogen. Dabei werden mögliche Trigger und Auslöser betrachtet.
Die Behandlung setzt sich aus Psychotherapie in Form von Einzel- oder Gruppensitzungen zusammen. Bei der Psychotherapie wird außerdem zwischen der Verhaltenstherapie und der Familientherapie unterschieden. Mindestens einmal pro Woche muss allerdings eine Einzeltherapiestunde absolviert werden, bei der tiefenpsychologische Methoden zum Einsatz kommen.
"Man muss ein gewisses Gewicht erreichen, damit überhaupt eine Therapie gemacht werden kann - weil das Gehirn nicht mehr richtig funktioniert. Deswegen stand die Gewichtszunahme an erster Stelle", erklärt mir Selina über ihre Therapiesitzungen.
Wo kann eine solche Therapie gemacht werden?
Die Psychotherapie darf unter anderem von niedergelassenen Fachärzt:innen für (Jugend-)Psychiatrie, Spezialambulanzen für die Behandlung von Essstörungen, Kassenambulanzen oder Spitalambulanzen für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychotherapeut:innen sowie Ärzt:innen mit Weiterbildung in psychotherapeutischer Medizin durchgeführt werden. Meist erfolgt zuvor eine Überweisung durch die Hausärzt:innen. Die eigentliche Behandlung findet meist in bestimmten Kliniken statt. "Bei Essstörungen würde ich eine spezialisierte Klinik ans Herz legen. Ich hatte eine Ernährungsberatung, Diätassistentin, und einen gescheiten Essplan", bestätigt Selina.
Schwebt man nicht in Lebensgefahr, kann auch eine ambulante Behandlung mit externen Therapiesitzungen herangezogen werden. Betroffene bleiben hier weiterhin zu Hause wohnen. Bildet man jedoch einen Notfall, so muss eine stationäre Behandlung auf (un-)bestimmte Zeit erfolgen. Liegt eine teilstationäre Behandlung vor, verbringen Patient:innen die Nächte und Wochentage zu Hause, müssen an Wochentagen aber in Tageskliniken behandelt werden.
Wichtig: Solltest du an Magersucht leiden oder eine:n Betroffene:n kennen, kannst du dich in Österreich von Montag bis Donnerstag, 12 bis 17 Uhr, unter 0800 20 11 20 (ausgenommen Feiertage) kostenlos und anonym beraten lassen.