Mama und Papa streiten sich mal wieder, Opa akzeptiert das Outing nicht und gemeinsame Essen werden immer seltener - Probleme, die innerhalb der Familie keine Seltenheit sind. Dort, wo innerfamiliäre Kapazitäten erschöpft sind, knüpft die Familienberatung an.
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Auch wenn man es gerne so hätte, ist nicht immer alles "picture perfect" - vor allem hinter den Kulissen spielen sich oftmals ganz andere Welten ab, die von außen nicht zu bemerken sind. Sollten Probleme und Krisen innerhalb der Familie nicht mehr selbst bewältigt werden können, so ist dringlich Hilfe von außen nötig: Familienberatung.
Was versteht sich unter einer Familienberatung?
Dank der Familienberatung wurden allein im Jahr 2021 in Österreich über 307.000 Beratungsstunden angeboten und 447.000 Beratungsgespräche geführt! Unter Familienberatung versteht man ein ergebnisoffenes, alltagsorientiertes und zeitlich begrenztes Verfahren, das sich mit diversen familiären Problemen und der Krisenintervention beschäftigt.
Ratsuchende können - und das muss nicht immer die komplette Familie involvieren - in verschiedenen Lebensbereichen professionell unterstützt werden: Beispiele sind das Überwinden von Krisen oder Konflikten, die Aneignung neuer Verhaltens- und Denkweisen sowie das Erschließen alternativer Handlungsrouten.
"Der Fokus liegt nicht nur auf der 'Familie' im klassischen Sinn. Die Begrifflichkeit Familie hat sich über die Zeit hinweg deutlich verändert, bspw. kommen heute Patchwork-Familien, Alleinerzieher:innen-Familien oder Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern deutlich häufiger vor", erklärt Mag.a Beate Bauer, Teamleiterin des Familienzentrums Wien der Caritas der Erzdiözese Wien, im gemeinsamen Gespräch. "Zur Beratung kommen Eltern, Jugendliche selbst sowie Großeltern, Onkel, Tanten oder auch Einzelpersonen, die Fragen rund um das Thema 'Familie' gerne näher bearbeiten möchten."
Wer darf eine Familienberatung durchführen?
Eine der zentralen, gesetzlichen Grundlagen für Erziehungs- und Familienberatungsstellen bildet das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Dieses schreibt unter anderem vor, dass Multidisziplinarität herrschen muss: Fachkräfte - wie Heilpädagog:innen, Erzieher:innen und Sozialpädagog:innen - verschiedener Fachbereiche sollen im Team zusammenwirken.
Nach dem Familienberatungsförderungsgesetz (FBFG) dürfen innerhalb Österreichs außerdem nur anerkannte Familienberater:innen eine solche Beratung durchführen. Dies setzt die Ausbildung an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Lehranstalt für Familienberater:innen vor.
Wo liegt der Unterschied zur Familientherapie?
Beide Begriffe klingen sich zum Verwechseln ähnlich, sollten aber keineswegs durcheinander gebracht werden: Familienberatung und Familientherapie beschäftigen sich mit denselben Thematiken, letzteres aber ist eine heilkundliche Tätigkeit. Familienberatung hingegen wird mit "gesunden" Personen durchgeführt, wobei keine Diagnosen oder psychotherapeutischen Maßnahmen getroffen werden dürfen. Die Linie zwischen "gesund" und "krank" ist hierbei jedoch nicht immer klar abgrenzbar.
Wann sollte man eine Familienberatung aufsuchen?
Eine wichtige Information vorweg: In Österreich darf jede:r Bürger:in kostenlos und anonym an einer Familienberatung teilnehmen, wobei der Schutz personenbezogener Daten dauerhaft gewährleistet wird.
Ob und wann man eine Familienberatung machen möchte, ist theoretisch freiwillig. Sollten jedoch gewisse Streitthematiken innerhalb der Familie immer und immer wieder aufkommen, so ist es empfehlenswert, eine Beratung in Erwägung zu ziehen. Die einzige Ausnahme bildet die Anordnung durch Gericht oder Jugendamt: Innerfamiliäre Probleme müssen hier bewusst gemacht, besprochen und gelöst werden.
Welche Themen werden behandelt?
Beim Begriff Familienberatung kommen einem höchstwahrscheinlich erst einmal Thematiken wie Trennung, Scheidung oder Erziehung in den Kopf. Diese werden zwar auch behandelt, bilden jedoch lange nicht alle Themencluster. 2021 wurden laut dem Bundeskanzleramt folgende Themen am häufigsten angefragt:
Trennung, Scheidung, Besuchsrecht, Unterhalt (16,3 Prozent)
psychische Probleme (13,1 Prozent)
Paarkonflikt, Kommunikation, Rollenverteilung, Sexualität (12,6 Prozent)
Erziehung, Kinderbetreuung, Schule, Ablösung von Kindern (12,1 Prozent)
Gewalt in der Familie, Missbrauch, Misshandlung (11,9 Prozent)
Schwangerschaft, Empfängnisregelung, Wunschkind (4,3 Prozent)
Sind die Möglichkeiten innerhalb der Familienberatung erschöpft und das Heranziehen einer medizinischen, psychologischen, psychotherapeutischen oder psychiatrischen Behandlung notwendig, wird die Therapie in der jeweiligen Einrichtung fortgeführt.
Wie sich Krisen auf die Familie auswirken
Die weltweite COVID-19-Pandemie hat uns in jeglichen Lebensbereichen stark getroffen und eingeschränkt. Eltern, Paare und Familien mussten sich - aufgrund von Home Office und Schooling sowie dem Wegfall von sozialem Ausgleich - an die neuen Begebenheiten und dadurch fehlende Privatsphäre anpassen. Vor allem Kinder und Jugendliche wuchsen dabei in komplett neuen Begebenheiten auf. Das Ende vom Lied: Routinen und Gewohnheiten haben sich verändert - Psyche und Charakter werden wahrscheinlich langfristig verändert bleiben. Dies zeigt sich auch innerhalb der Familienberatung.
"Wir merken in unserer täglichen Arbeit, dass die Belastungen der Familien allgemein sehr groß geworden sind. Es wurde häufiger von Zukunfts- oder Existenzängsten berichtet. Ebenso finanzielle Nöte, beengter Wohnraum oder die Angst vor dem Erkranken belasten die Klient:innen stark. Depressives Erleben, Ängste oder Einsamkeit und soziale Isolation stiegen in den letzten Jahren an", so Beate Bauer.
Der im Februar 2022 ausgebrochene Krieg zwischen der Ukraine und Russland sorgt bei der jüngeren Generation ebenfalls für Fragen, die den Erklärungshorizont der Eltern übersteigen. Auch Vertriebene - beispielhaft aus dem ehemaligen Jugoslawien oder Geflüchtete des Syrien-Krieges - suchen nun vermehrt eine Beratung auf.
Ablauf und Methoden einer Familienberatung
Bevor die eigentliche Beratung durchgeführt wird, gibt es zu Beginn ein erstes Abklärungsgespräch, um festzustellen, wie weiter vorgegangen werden sollte. Hierbei haben Berater:innen und Klient:innen außerdem die Möglichkeit, sich kennenzulernen und eine Beziehung zueinander aufzubauen. Jede:r Beteiligte muss aktiv mitarbeiten und die eigenen Bedürfnisse mitteilen, um eine erfolgreiche Beratung zu ermöglichen.
Während der eigentlichen Familienberatung gibt es einen dreistufigen Prozess: die Erfassung des "Ist-Zustandes", die Erfassung des "Soll-Zustandes" und die Verwirklichung des "Soll-Zustandes", wobei die Beratung selbst entweder präventiv, krisenbezogen oder problembezogen stattfinden kann.
"Je nachdem, welche Ausbildung die Berater:innen ausüben, werden unterschiedliche Methoden eingesetzt wie bspw. Imaginationsübungen, Angebote zum eigenen Erleben und der eigenen Wahrnehmung, Arbeiten mit Gegenständen, Bildern, Geschichten oder ähnliches", erläutert Beate Bauer bezüglich der Durchführung. Im Familienzentrum der Caritas Wien kann eine Beratung im Rahmen von 20 Einheiten in Anspruch genommen werden.
Diese Ziele sollen erreicht werden
Grob gesagt: All die bestehenden Probleme und Krisen sollen mithilfe der Beratung aus der Welt geschafft werden. Das ist aber immer leichter gesagt als getan! Das wohl wichtigste Ziel der Familienberatung ist es - gemeinsam mit allen Beteiligten - Lösungswege zusammenzutragen, wobei die Berater:innen nur als Wegweiser dienen. Die eigentliche Umsetzung der erarbeiteten Lösung(en) liegt in den Händen der Familienmitglieder.
Im Laufe des Prozesses ist es nicht unüblich, dass sich die Ziele verändern. So wird vor jeder Sitzung erneut besprochen, was die aktuellen Absichten sind und wer an der jeweiligen Beratung teilnehmen sollte.
Wie findet man eine geeignete Anlaufstelle?
Innerhalb Österreichs existieren momentan 387 Familien- und Partnerberatungsstellen - Tendenz steigend, wobei die Angebote auch online und über Telefonate in Anspruch genommen werden können. Diese werden vom Bundeskanzleramt in der Sektion Familie und Jugend gefördert, sodass Betroffene nichts zahlen müssen. Der Internetaufruf des Bundeskanzleramtes klärt hierbei auf, dass für jeweils etwa 22.500 Einwohner:innen derzeit im Durchschnitt eine Familienberatungsstelle zur Verfügung steht. Wo genau sich die Beratungsstellen befinden, kann hier nachgeschaut werden.
Eine der vielen Einrichtungen ist das Familienzentrum der Caritas der Erzdiözese Wien, das bereits seit über 20 Jahren besteht. Der Schwerpunkt dessen liegt bei der Bewältigung von Sorgen, seelischen Belastungen und Erkrankungen. Mit "open2chat" wird seit neuestem eine Online-Begleitung für Jugendliche von Jugendlichen angeboten.